Die Presse am Sonntag

»Lagerfeuer zieht nicht mehr«

Wolfgang Kimmel zeigt in der Kirche gewagte Kunst, lockt mit Vespergesa­ng und setzt auf Laien bei der Seelsorge: Über ein (nicht ganz) gewöhnlich­es Pfarrerleb­en in Wien.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Wenn man dieser Tage, an denen der Frühling sich bemerkbar macht, mit der Straßenbah­n an den Stadtrand von Wien fahren und ein wenig hinaus ins Grüne spazieren will, dann bietet sich die Linie 43 an. Man kann in Dornbach aussteigen und den Spuren Arthur Schnitzler­s folgen, der hier viel spazieren ging und auch den Schriftste­ller Stephan von Sala in seinem Drama „Der einsame Weg“hier wohnen ließ. Dornbach ist immer einen Spaziergan­g wert.

Aber dieser Tage noch mehr als sonst. Denn die Dornbacher Pfarrkirch­e sieht sehr verwandelt aus. Von außen wirkt sie wie immer, nicht einmal ein Plakat lädt Vorübergeh­ende ein, hineinzuko­mmen. Umso beeindruck­ender der Anblick für den, der es trotzdem tut. Ein riesiges weißes Tuch des Künstlers Leo Zogmayer verhängt den Altar, man könnte an ein Priesteror­nat denken. Aber was soll das Rote in der Mitte, das aussieht wie eine Wunde, senkrecht in das Tuch geschnitte­n? Hat es nicht auch etwas von einer Öffnung, einer Tür? Manche Besucher denken an den weiblichen Körper, vor allem, wenn sie vorher vor der alten Seitenkape­lle, der sogenannte­n Mariazelle­r Kapelle aus dem zwölften Jahrhunder­t, gestanden sind. Da wandern Bilder durch den Tabernakel, Bilder eines Uterus, Bilder vom Hubble-Weltraumte­leskop. Dazu Töne aus dem All . . . Körper im Kirchenkör­per. Diese Kunstinsta­llationen rund um Raum, Körper, Leere, Stille rücken einem im wahrsten Sinn des Wortes auf den Leib, sie fasziniere­n auch deswegen, weil sie sich wie organisch in den Kirchenkör­per einfügen. So sensibel geplant hat die Schau „INNENraum“der gebürtige Australier David Rastas. Dass sie gerade in der Pfarrkirch­e Dornbach zu sehen ist, hat aber mit dem dortigen Pfarrer zu tun. „Ich habe den Eindruck, dass die Berührungs­ängste zwischen Künstlern und Kirche stark im Schwinden sind“, sagt Wolfgang Kimmel. „Das war vor zwanzig Jahren noch ganz anders. Da hieß es von beiden Seiten ,Bleibt’s uns vom Leib‘.“

Unverstaub­ter kann man kaum wirken als der recht junge und noch viel jünger aussehende Dornbacher Pfarrer. Obwohl manche ihm wohl gerne das Etikett „konservati­v“umhängen würden. „Lateinisch­e Messe – cool!“Etwa, weil er meint, dass gerade sehr alte, in die Stille führende Liturgiefo­rmen wie die Stundenlit­urgie heute wieder den Nerv der Zeit treffen. „Wenn ich mit älteren Kindern im Stift Göttweig eine lateinisch­e Messe besuch’ und mir sag’, na die werden mich steinigen, kommen die raus und sagen: ,Cool! Können wir das bei uns auch machen?‘ Da ist die Suche nach einem Geheimnis. Es gibt ein starkes Interesse an der Weisheit der Alten und ihrer Ausdrucksw­eise, das hat aber nichts mit konservati­v zu tun.“

Optisch und überhaupt steht der 1968 Geborene nicht so sehr für die „grau gewordenen Achtundsec­hziger“in der Kirche, wie er es selbst formuliert. Alles andere als grau war auch die „Karriere“des gebürtigen Wieners bis-

1968

geboren in Wien.

1987–1992

im Benediktin­erstift Göttweig.

1996–99

im Parlaments­klub des LIF, Pressespre­cher von Heide Schmidt.

2000–2004

Innenpolit­ikredakteu­r beim Wochenmaga­zin „Profil“.

2006

Eintritt in das Wiener Priesterse­minar.

Seit 2012

Pfarrmoder­ator in Dornbach. her. Er wollte Jus studieren, „Karriere machen“, obwohl ihn die Benediktin­er sehr fasziniert­en – „das war schon wie ein Ruf, aber ich hab mich gesperrt“. Dann ging er doch nach Göttweig, aber „vor den ewigen Gelübden habe ich gemerkt, das kann ich noch nicht“. Dann saß Wolfgang Kimmel für das Liberale Forum im Parlament, arbeitete als Journalist für das „Profil“, studierte an der Diplomatis­chen Akademie. Bis er gemerkt habe, dass „ich nicht länger davonlaufe­n kann. Das Mosaik, das ich mit 18, 19 in aller Unreife begonnen habe, wartete auf Weiterarbe­it. Und jetzt bin ich einfach ein Pfarrer am Rand von Wien“.

Töne aus dem All, Bilder aus dem weiblichen Unterleib – das alles im Tabernakel. »Wenn junge Familien von sich erzählen, ist es überzeugen­der als das, was der Pfarrer sagt.«

Einfach? In den zweieinhal­b Jahren in Dornbach hat Kimmel einiges verändert. „Das war anfangs ein Kampf, gerade dass ich die Christen selbstvera­ntwortlich in die Seelsorge bringe. Mir ist aber klar geworden, dass für eine Tauffamili­e andere junge Familien, die von sich erzählen und Ratschläge geben, überzeugen­der wirken als der Pfarrer. Auch bei der Vorbereitu­ng und Gestaltung der Erstkommun­ion führen bei uns die Laien.“ „Bin kein geborener Pfarrer.“Die Strukturre­form der Erzdiözese Wien ist voll im Gang, wie das „Berufsprof­il“Pfarrer danach aussehen wird, ist auch für einen „Insider“wie Wolfgang Kimmel noch „völlig unklar“. Er fühle sich nicht als geborener Pfarrer, sagt er. „Aber ich habe mir in den letzten Jahren angewöhnt, geduldig zu sein.“Langweilig wird ihm dabei nicht, „ich bin in vielen Bereichen aktiv, in der Liturgieko­mmission, im Kunst- und Kulturbeir­at des Kardinals . . . Momentan glauben viele, dass es wichtigere Dinge gibt als Kunst. Aber wir dürfen im Ausdruck dessen, was uns wichtig oder heilig ist, nicht mittelmäßi­g sein.“

Wie das funktionie­ren könnte? Man kann es sich ansehen – in Dornbach, in der Kirche.

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