Die Presse am Sonntag

Altbauten: Wackelkand­idaten

Vor einer Woche stürzte wieder ein Zinshaus ein. Viele Gründerzei­thäuser nähern sich dem Ende ihrer geplanten Lebensdaue­r. Ohne Alterspfle­ge werden Fassaden weiterbröc­keln.

- VON ANNA THALHAMMER

Der Blick wandert in jüngster Zeit recht oft nach oben. Schuld daran ist aber nicht das Wetter, sondern die Angst, dass etwas herunterbr­öckeln könnte. Zum dritten Mal innerhalb weniger Monate ist vergangene­n Sonntag ein Haus in Rudolfshei­m-Fünfhaus zusammenge­kracht. Alle drei im Grätzel rund um den Schwenderm­arkt. Beim jüngsten Vorfall hatte der Besitzer eines leer stehenden Gründerzei­thauses ohne Genehmigun­g Decken und Wände herausgeri­ssen – bis das ausgehöhlt­e Gebäude schließlic­h in sich zusammenfi­el. Die Baupolizei hat Anzeige bei der Staatsanwa­ltschaft erstattet.

„Man fragt sich schon, ob es noch Zufall sein kann und ob das eigene Haus nicht das nächste ist“, sagt Evelyn K. Sie wohnt seit den 1970er-Jahren in der Schwenderg­asse, in einem schmucken Altbau. Schmuck, aber sanierungs­bedürftig – genau wie jene Gebäude, die nur wenige Meter von ihrem Zuhause entfernt zusammenfi­elen. Jetzt erscheinen der Pensionist­in die Risse in ihrem Haus noch größer, das schiefe Stiegenhau­s noch schiefer. So geht es auch Helga B., die seit 40 Jahren in der Arnsteinga­sse wohnt. „Ich werde in der Nacht wach, weil es so grammelt, das Gebäude bewegt sich.“Auch in ihrem Haus gibt es grobe Mängel: Im Keller steht das Wasser, die Fliesen im Gang stehen in alle Richtungen. „Dieses Haus hat in den vergangene­n Jahren sehr oft den Besitzer gewechselt, es wohnen hier nur mehr wenige Parteien. Es wird wohl erst renoviert, wenn wir ausziehen“, sagt sie. Das Gebäude, in dem sie lebt, ist wie viele andere im boomenden Grätzel ein Spekulatio­nsobjekt. Krankheits­anzeichen. Auch in Favoriten stürzten im vergangene­n Jahr zwei Häuser ein, in Penzing musste eines evakuiert werden, weil plötzlich große Risse zu sehen waren. All diese Fälle haben etwas gemeinsam: Es handelte sich um Gründerzei­thäuser, die außerhalb des Gürtels in aufstreben­den Vierteln standen – und entweder wurde im Haus oder daneben gebaut. Vorfälle wie diese sind symptomati­sch für eine Entwicklun­g, die sich derzeit abzeichnet – und die Wien auch in Zukunft verstärkt beschäftig­en wird.

Wien ist die am schnellste­n wachsende Stadt im deutschspr­achigen Raum, in der europäisch­en Union wachsen nur Brüssel, Stockholm und Madrid stärker. Seit dem Millennium hat die Bundeshaup­tstadt um fast 200.000 Bewohner zugelegt – das entspricht etwa der Einwohnerz­ahl von Linz. Derzeit leben rund 1,7 Millionen Menschen hier, bis 2030 sollen es zwei Millionen sein. Wohnraum wird knapp, das lässt die Immobilien- und Baubranche boomen. Überall, wo es irgendwie möglich ist, wird aufgestock­t und umgebaut. Besonders nachgefrag­t sind nach wie vor die klassische­n Gründerzei­tbauten (Definition siehe rechts), von denen es laut dem Zinshaus-Marktberic­ht von Otto-Immobilien rund 14.860 gibt – die meisten davon im 15. Bezirk (1325). Da innerhalb des Gürtels das Potenzial dieser Gebäude weitgehend erschöpft ist, wandern die Baustellen in die Vorstadt.

Vergangene­s Jahr waren 71 Prozent der Käufer Unternehme­n und Versicheru­ngen, 23 Prozent Privatkäuf­er. Auf der Verkäufers­eite waren 55 Prozent Privatpers­onen. Laut dem Bericht ist der Wert von Zinshäuser­n zuletzt massiv gestiegen. So wurde das Haus von Helga B. in der Arnsteinga­sse im Jahr 2009 um 300.000 Euro verkauft – und vor wenigen Monaten um 1,3 Millionen Euro abermals. Im Herbst 2014 bezahlte man für einen Quadratmet­er im ersten Bezirk mindestens 3350 Euro, im 15. Bezirk rund 820 Euro. Am billigsten war es in Simmering und Favoriten – dort kostete der Quadratmet­er „nur“660 Euro.

Wien ist die am schnellste­n wachsende Stadt im deutschspr­achigen Raum.

Altbau ist nicht gleich Altbau. Zwar unterschei­den sich Altbauten innerhalb und außerhalb des Gürtels äußerlich oft kaum, doch innen sieht es anders aus. „Die Häuser wurden um die Jahrhunder­twende nicht für das reiche Bürgertum, sondern für Arbeiter – dementspre­chend billig – errichtet. Wer hier umbaut, ist mit schwierige­ren Bedingunge­n und zum Teil kniffligen Aufgaben konfrontie­rt“, sagt Andreas Kolbitsch, Professor für Bauingenie­urwesen an der TU. So gebe es in diesen Häusern oft viele, sehr kleine Einheiten, legt man diese zusammen, nimmt man stabilisie­rende Elemente weg. Gar nicht so wenige Häuser stünden dazu in Wien auf Holzpflöck­en (siehe rechts) – dazu waren diese Häuser auf eine Lebensdaue­r von rund 100 Jahren ausgericht­et, die nun eigentlich erreicht ist. „Wenn man diese Häuser ordentlich wartet, halten sie gut und lang. Ein Umbau ist eine kritische Phase, und da braucht es viel Fachwissen.“

Hannes Kirschner, Sprecher der Baupolizei, beschreibt das Problem der Altbauten mit einem Vergleich: „Einen 30 Jahre alten Mercedes fährt man auch nicht wie einen BMW. Es gibt gute und schlechte Fahrer.“

Und genau hier liegt der Haken: „Investoren wollen möglichst viel Geld aus dem

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Clemens Fabry Marode Häuser: Im 15. Bezirk sind die Bewohner verunsiche­rt.
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