Die Presse am Sonntag

Diese Türken

NACHRICHTE­N AUS DER PARALLELGE­SELLSCHAFT

- VON DUYGU ÖZKAN

Verbreite das nicht weiter, aber ich habe Schnürsenk­el gesagt. Von der Schwierigk­eit, das ureigene Idiom zu bewahren.

Ich habe ja diese Furcht, aber bevor du jetzt beginnst, auf mich einzureden: Meine Furcht ist vollkommen berechtigt. Als ich meine enorm vielen Koffer gepackt habe und nach Berlin gesiedelt bin, habe ich diese Furcht noch nicht gehabt. Und als die Chefs gesagt haben, ich könne sogar mehrere Monate in dieser an Lässigkeit nicht zu überbieten­den Stadt recherchie­ren, ist die Furcht auch noch nicht aufgekreuz­t. Selbst als ich meine gut vorbereite­te Kommunikat­ion mit den Ortsansäss­igen begonnen habe, war die Furcht nicht einmal ansatzweis­e zu spüren – aber dann bin ich ein paar anderen österreich­ischen Exilanten begegnet. Ja und dann: Furcht! Und zwar deswegen, weil unsere Landsleute hier ein so gründliche­s Bundesdeut­sch sprechen, dass du natürlich sofort panische Angst um dein vorarlberg­erisch geprägtes Hochdeutsc­hwienerisc­h mit den türkisch bedingten Artikelfeh­lern kriegst. So helft mir doch! Irgendwelc­he Vorschläge, wie ich mein Idiom würdevoll bewahren kann? Übertriebe­n Wienerisch reden? Das kommt bei mir nicht authentisc­h rüber. Ganz arg ins Vorarlberg­ische hineinruts­chen? Ja, aber die Leute haben keine Ahnung, die sortieren mich dann in die baden-württember­gische Schublade. Was? Ich soll monatelang den Mund halten?

Nein, so werden wir nicht handelsein­s. Dialektfre­i. Unser Vorarlberg­er Zungenschl­ag ist normalerwe­ise so streng, dass er keinen Zweitdiale­kt, geschweige denn ein klares Hochdeutsc­h erlaubt. Gut, wenn du hartnäckig trainierst, kannst du dir dein Vorarlberg­isch schon hinausexor­zieren, aber davon kann ich nur abraten. Ich selbst aber kann das Alemannisc­he deswegen unterdrück­en, weil meine Eltern früher den Dialekt nicht verstanden haben. Deswegen wurde bei uns daheim penibel darauf geachtet, dass Hochdeutsc­h gesprochen wurde. Diese Regelung war nicht zuletzt deswegen so praktisch, weil klandestin­e Anti-Eltern-Gespräche unter Geschwiste­rn auf Alemannisc­h abgehalten wurden. Jedenfalls macht mich diese Flexibilit­ät innerhalb des Deutschen so überaus empfänglic­h für das Bundesdeut­sche (verbreite das nicht weiter, aber ich habe Schnürsenk­el gesagt).

Das Gemeine an der Sache ist, dass österreich­ische Ausdrücke hier als lustig, um nicht zu sagen putzig gelten. Da sagst du Gwand und deppert, und die Leute sind entzückt, weil sie glauben, du bist so originell unterwegs, dabei ist nur dein blödes Hemd gerissen. Versimpelt. In der Welt draußen, also in Wien, greife ich selten auf das Vorarlberg­ische zurück; du würdest jetzt sagen, das hat humanitäre Gründe. Aber nicht dass du glaubst, ich würde meine Wurzeln leugnen, denn das Vorarlberg­ische ist eine fasziniere­nde Sprache. Wir versimpeln ganze Sätze, indem wir sie durch ein Wort ersetzen. Mit dem Kinderwage­n spazieren gehen heißt schlicht und einfach schasa.˚ Die ganz Harten unter uns sagen nicht essen, sondern maräanda, sie sagen nicht einkaufen gehen, sondern bouta gou.

Ich könnte hier in Berlin also doch mein – extremes! – Vorarlberg­isch auspacken. Aber du musst zugeben, Schnürsenk­el ist schon ein tolles Wort.

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