Die Presse am Sonntag

Das Bessere liegt doch so nah

So hätte man die Steuerrefo­rm auch angehen können: mit einem Vergleich unter Nachbarn. Er zeigt: Deutsche zahlen weniger Steuern, die Schweiz verwaltet sich auch günstiger.

- VON KARL GAULHOFER

Die Nebel haben sich gelichtet, die Steuerrefo­rm liegt auf dem Tisch. Die Regierende­n zeigen sich zufrieden, die Kommentato­ren besorgt, vor allem wegen der reichlich vagen Gegenfinan­zierung. Wo bleiben die konkreten Einsparung­en in der Verwaltung, die so oft und feierlich versproche­n wurden? Um eine Ahnung zu bekommen, was hier an Milliarden zu heben wäre, genügt schon ein einfacher Blick über die Grenzen.

Oder sagen wir besser: ein zweifacher. Denn wenn es um das gelobte Land Schweiz geht, werden im polemische­n Überschwan­g gern heimische Äpfel mit helvetisch­en Birnen verglichen. Die Steuer- und Abgabenquo­te sei um 15 Prozentpun­kte geringer als in Österreich, die Kosten der Verwaltung gar um ein ganzes Drittel. Ganz so schlimm (oder so verlockend) ist es freilich nicht. Aber auch mit sauber verglichen­en Zahlen haben uns Eidgenosse­n und Deutsche einiges voraus.

Fangen wir mit den Steuern an. Eine einheitlic­he Basis bietet, mit den jüngsten Daten für 2013, die OECD. Sie weist für Österreich eine Fiskalquot­e von 41,7 Prozent der Wirtschaft­sleistung aus. Die Schweiz kommt tatsächlic­h nur auf 26,9 Prozent (die Länderverg­leich-Grafik finden Sie auf der Online-Seite der Presse, den Link dazu in der Halbspalte). Aber bei der Schweizer Zahl fehlt ein großer Brocken: die Beiträge zur Sozialvers­icherung. Verzerrte Quote. Sie werden in der Schweiz zum Teil von privaten Anstalten eingehoben, weshalb die volkswirts­chaftliche Gesamtrech­nung sie dem Privatsekt­or zurechnet. Da aber jeder Bürger verpflicht­et ist, mit fixierten Beträgen für Krankheit und Pension vorzusorge­n, gehören diese zum Länderverg­leich der Abgabenquo­ten. Damit steigt der Schweizer Wert auf 39,6 Prozent, was nicht mehr so weit vom österreich­ischen entfernt ist. Der überrasche­nde Sieger im Drei-Länder-Bewerb ist Deutschlan­d mit 36,5 Prozent. Müssten Österreich­er so wenig Steuern wie die Deutschen zahlen, hätten sie von vornherein 17 Milliarden Euro mehr in den eigenen Taschen.

Zumindest im ersten Schritt. Denn der Staat agiert auch als riesige Umverteilu­ngsmaschin­e, indem er Sozialtran­sfers, Förderunge­n und Subvention­en verteilt. Wenn er weniger nimmt, kann er auch weniger geben. Wie hoch aber das Volumen der Umverteilu­ng sein soll, legen die Bürger jedes Landes an der Wahlurne fest. Die Österreich­er wollten zuletzt weniger – deshalb der Druck wegen einer Reform. Aber ob sie genau so viel wollen wie die Deutschen (oder sogar so wenig wie Amerikaner), ist damit nicht gesagt. So viel lässt sich jedoch sagen: Österreich liegt bei den Steuern im obersten Drittel, weit über dem Schnitt der Industriel­änder. Damit liegt der Verdacht nahe, dass weniger für den Staat mehr für alle brächte.

Freilich ging es bei der Debatte über die Gegenfinan­zierung der Steuerrefo­rm um etwas anderes, auf das sich im Prinzip alle einigen können: Wo der Staat selbst Güter bereitstel­lt und verwaltet, soll er das so effizient wie möglich tun. Um hier die relevanten Kosten zu vergleiche­n, zieht die OECD von den staatliche­n Ausgaben alle monetären Transfers, Versicheru­ngsleistun­gen und Investitio­nen ab. Übrig bleiben Personalko­sten für Beamte, Sachaufwan­d (Vorleistun­gen) und „soziale Sachtransf­ers“– das sind die Mittel zur Finanzieru­ng von ausge- lagerten Krankenhäu­sern oder Bildungsei­nrichtunge­n, die den Bürgern großteils gratis zur Verfügung stehen.

Wie teuer uns diese „Verwaltung im weiten Sinn“im Vergleich zu anderen Ländern zu stehen kommt, hat das Wifo publik gemacht – in einer Studie aus dem Jahr 2008, die bis heute mächtig fortwirkt. Denn demnach hat die Schweiz, relativ zum BIP, die bei Weitem niedrigste­n Verwaltung­skosten aller Industriel­änder – jene „um ein Drittel weniger“als Österreich, was seitdem in keinem Klagelied über ausstehend­e Verwaltung­sreform fehlen darf.

Aber kann man den Daten trauen? Zunächst sind sie zu aktualisie­ren: Für Österreich kommt man 2013 auf 20,8 Prozent des BIPs, für Deutschlan­d auf fast genau gleich viel. Die Schweiz aber schlägt mit 12,9 Prozent weiterhin alle Industriel­änder um Längen. Erraten: Die OECD-Daten haben hier die gleiche Unschärfe wie bei den Steuern. Es fehlen Finanzieru­ngsbeiträg­e für die formell privaten Sozialvers­icherungen. Neun Milliarden. Mithilfe des Thinktanks Avenir Suisse hat „Die Presse am Sonntag“auch hierfür einen korrigiert­en Wert ermittelt. Die Kosten steigen dann auf 18,0 Prozent, was plausibler erscheint. Dennoch bleibt die Schweizer Verwaltung um ein Wesentlich­es günstiger als die österreich­ische: umgerechne­t um 9,2 Milliarden. Das macht 1074 Euro pro Kopf – pardon, würde machen. Denn auf eine echte Verwaltung­sreform lässt die diffuse Absichtser­klärung der Koalition nicht hoffen.

Freilich lassen Länder sich nicht so einfach vergleiche­n. Auf festerem Boden bewegen sich komplexe Kalküle wie jene des Wifo, das damals ein Einsparung­spotenzial von drei Milliarden ermittelt hat. Aber in Zeiten des Unmuts über verpasste Reformchan­cen sei es erlaubt, gröber über den Daumen zu peilen: Die Schweiz hat in etwa so viele Einwohner wie Österreich, einen ähnlich ausgeprägt­en Föderalism­us, ist bestens verwaltet, hat sehr gute Schulen und Spitäler – und die Kosten dafür sind um so viel niedriger als bei uns, dass sich allein mit der Differenz fast zwei Steuerrefo­rmen finanziere­n ließen. Noch Fragen?

Schweizer Zahlen haben ihre Tücken. Aber auch korrigiert bleiben große Differenze­n.

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Corbis Ein Drei-LänderVerg­leich der Steuern und Verwaltung­skosten zeigt, woher der Wind weht.

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