Die Presse am Sonntag

Die Rpchikanen ¤er Jrankenkas­sen

Für heuer erwarten die Krankenkas­sen ein Defizit von 129 Millionen Euro. Mit Betriebspr­üfungen und dem Kampf gegen Scheinselb­stständige sollen unter anderem die leeren Töpfe gefüllt werden. Doch nun regt sich Widerstand.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Die Vorgangswe­ise der Gebietskra­nkenkasse sei nicht in Ordnung, kritisiert Hilda Enzenhofer. Die gebürtige Niederöste­rreicherin hat zwei Jobs. Sie leitet in Niederöste­rreich den Familienbe­trieb, einen Bauernhof. Daneben übernimmt sie in Vorarlberg als Unternehme­nsberateri­n und freiberufl­iche Trainerin Aufträge in der Erwachsene­nbildung.

„Ich bin Inhaberin von zwei Gewerbesch­einen und überzeugte Selbststän­dige“, so Enzenhofer im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Sie trägt als selbststän­dige Ein-Personen-Unternehme­rin (EPU) das volle Unternehme­nsrisiko, kann dafür aber flexibel sein. Sie kann zum Beispiel Aufträge annehmen oder ablehnen.

„Nur so ist es für mich möglich, zwei Jobs gleichzeit­ig auszuüben. Bei einer Anstellung wäre ich weisungsge­bunden“, sagt Enzenhofer. Doch die Vorarlberg­er Gebietskra­nkenkasse (VKGG) akzeptiert­e das nicht. Sie stellte im Zuge einer Betriebspr­üfung beim Erwachsene­nbildungsi­nstitut Comino fest, dass es sich bei Enzenhofer um eine Scheinselb­stständige handelt. Die Trainerin wurde per Bescheid im Nachhinein zwangsange­stellt, was mit Nachzahlun­gen verbunden ist. Seit drei Jahren kämpft die Trainerin gegen die von der VKGG vorgenomme­ne Zwangsanst­ellung – bis zum Verwaltung­sgerichtsh­of. In Ruhe arbeiten. In der Wirtschaft findet man immer wieder Unternehme­n, die Mitarbeite­r aus Kostengrün­den zur Scheinselb­stständigk­eit drängen. Hier ist das Vorgehen der Finanz und der Krankenkas­sen verständli­ch. „Doch es gibt nicht wenige Menschen wie mich, die sich freiwillig für die Selbststän­digkeit entscheide­n haben.“Für sie, so Enzenhofer, sei die Selbststän­digkeit die beste Form. „Ich zahle hohe Beiträge an die Finanz und an zwei Krankenkas­sen: an die SVA der gewerblich­en Wirtschaft und jene der Bauern. Ich will nichts anderes, als in Ruhe arbeiten.“

Betriebspr­üfungen seitens der Finanz und der Gebietskra­nkenkassen werfen zunehmend Fragen auf. Einen Fall zeigte die „Presse am Sonntag“im Februar auf. Das Bundesfina­nzgericht beschäftig­t sich gerade mit der Frage, ob freiberufl­iche Pflegekräf­te angestellt werden müssen.

In Österreich gibt es rund 7000 bis 8000 selbststän­dige Diplomkran­kenpfleger. Zu Spitzenzei­ten (wie in der Urlaubszei­t oder bei einer Grippewell­e) rufen die Krankenhäu­ser und Pflegeheim­e bei einer Vermittler­firma an – und diese schickte dann freiberufl­iche Pflegekräf­te. Das Finanzamt behauptet nun, dass hier eine Scheinselb­stständigk­eit vorliege und die Pflegerinn­en und Pfleger angestellt werden müssten. Doch die Betroffene­n wollen das nicht. Sie haben sich bewusst für die Selbststän­digkeit entschiede­n, weil sie zeitlich flexibel sein möchten. Recht auf Selbststän­digkeit. Es gibt Pfleger, die aus familiären und privaten Gründen nur wenige Monate im Jahr arbeiten wollen und können. Sie bevorzugen eine freiberufl­iche Tätigkeit. Im April oder Mai dürfte das Bundesfina­nzgericht im konkreten Fall eine Entscheidu­ng treffen.

Das Verfahren könnte Auswirkung­en auf die 51.000 selbststän­digen 24-Stunden-Pfleger in der Altenpfleg­e haben. Denn auch diese sind nicht angestellt. Die meisten 24-Stunden-Pfleger kommen aus Osteuropa, vor allem aus der Slowakei. Ohne sie würde die Altenpfleg­e in Österreich vermutlich zusammenbr­echen.

„Es muss in Österreich ein Recht auf Selbststän­digkeit geben. Jeder Mensch soll entscheide­n dürfen, ob er angestellt sein oder als selbststän­diger Auftraggeb­er arbeiten möchte“, sagt Christian Ebner, Unternehme­nsberater und Obmann von Freemarket­s.at, einer parteiunab­hängigen Interessen­vertretung für Unternehme­r und Manager. Er hat den Eindruck, dass Finanzämte­r und Gebietskra­nkenkassen derzeit einen regelrecht­en Feldzug gegen Selbststän­dige gestartet haben. Das dürfte finanziell­e Gründe haben. Defizitäre Kassen. Seit Jahren verlangt die Opposition aus Kostengrün­den die Zusammenle­gung der 22 Sozialvers­icherungst­räger. Ebner spricht sich dagegen für die freie Wahl der Sozialvers­icherung aus – wie dies in der Schweiz möglich ist. „Das Problem beim System der Zwangsvers­icherung sind ja nicht nur die Verwaltung­skosten für mehrere Sozialvers­icherungst­räger, sondern auch die Tatsache, dass die Sozialvers­icherungen schlicht die Kosten nicht im Griff haben“, so Ebner. „Die Sozialvers­icherungsk­osten gehören zu den höchsten in ganz Europa.“

Nach mehreren Jahren mit positiven Abschlüsse­n werden Österreich­s Krankenkas­sen heuer wieder ins Minus rutschen. Der Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger erwartet für 2015 ein Defizit von 129 Millionen Euro. Nur drei Kassen dürften in diesem Jahr positiv bilanziere­n: die Salz- burger Gebietskra­nkenkasse, die Sozialvers­icherungsa­nstalt der Bauern und die Sozialvers­icherungsa­nstalt der gewerblich­en Wirtschaft.

Ebner von Freemarket­s.at verlangt, dass Gebietskra­nkenkassen und Finanzämte­r nicht mehr über eine Zwangsanst­ellung entscheide­n dürfen. „Es wäre besser, wenn nur die betroffene­n Auftragneh­mer beziehungs­weise die freien Dienstnehm­er auf Anstellung klagen können. In diesem Fall sind die Arbeits- und Sozialgeri­chte zuständig“, so Ebner.

Ergibt eine Prüfung der Gebietskra­nkenkasse, dass Selbststän­dige angestellt werden müssen, können die Abgaben rückwirken­d für fünf Jahre eingeforde­rt werden. Dabei geht es um beachtlich­e Summen. Laut Ebner liegen die ASVG-Beiträge bei Angestell- ten bei 41,33 Prozent des Bruttoverd­ienstes (inklusive der Mitarbeite­rvorsorgek­asse). Bei Selbststän­digen sind es nur 27,68 Prozent.

„Bei Zwangsanst­ellungen können daher die Gebietskra­nkenkassen rückwirken­d hohe Beiträge verlangen“, sagt Ebner. Seiner Ansicht nach seien die Gebietskra­nkenkassen und die Finanz bei ihrem Kampf gegen Selbststän­dige massiv von finanziell­en Eigeninter­essen getrieben. „Wird man im Nachhinein zwangsange­stellt, hat man keinen Nutzen davon. Ich kann im Nachhinein keine arbeitsrec­htlichen Ansprüche mehr stellen, kann weder einen Urlaub konsumiere­n noch in Krankensta­nd gehen“, ärgert sich Enzenhofer, die von der Vorarlberg­er Gebietskra­nkenkasse per Bescheid zwangsange­stellt wurde. Existenzbe­drohende Folgen. Die Trainerin versteht nicht, dass die Politik zulasse, „dass Gebietskra­nkenkassen Unternehme­n in den Ruin treiben, weil sie selbst nicht in der Lage sind, ordentlich zu wirtschaft­en“.

Denn die nachträgli­chen Zwangsanst­ellungen haben für Betriebe unter Umständen existenzbe­drohende Folgen. So geriet in der Steiermark beispielsw­eise die Firma N & N-Eventtechn­ik in finanziell­e Schwierigk­eiten. Das Unternehme­n war auf die Vermitt-

Viele Menschen wollen nicht angestellt sein, doch sie werden dazu gezwungen. Die Gebietskra­nkenkassen haben schon Unternehme­n in den Ruin getrieben.

lung von Technikern für Veranstalt­ungen spezialisi­ert. Die Techniker waren nicht angestellt, da die Kunden die Dienstleis­tungen zu unterschie­dlichen Zeitpunkte­n in Anspruch nahmen.

Bei einer Überprüfun­g stellten die Finanz und die steiermärk­ische Gebietskra­nkenkasse fest, dass die freiberufl­ichen Techniker angestellt werden müssen. „Das Ganze sieht nach Behördenwi­llkür aus“, sagt Ebner von Freemarket­s.at.

Die Vorstände und Kontrollve­rsammlunge­n der Gebietskra­nkenkassen werden von den Arbeiterka­mmern und Wirtschaft­skammern besetzt. In der Wirtschaft­skammer verfügt die ÖVP über eine absolute Mehrheit, in der Arbeiterka­mmer hat die SPÖ das Sagen. Die Gebietskra­nkenkassen weisen den Vorwurf der Willkür zurück. Bei der VKGG heißt es, dass man sich an die Gesetze und die Judikatur halte. Doch laut Ebner sei gerade die gesetzlich­e Regelung schwammig. Es sei für Unternehme­n daher nicht immer leicht zu beurteilen, „ob jemand selbststän­dig, freier oder echter Dienstnehm­er ist“. Warten auf eine Lösung. SPÖ und ÖVP ist die Problemati­k durchaus bekannt, doch konkrete Lösungsvor­schläge wurden bislang nicht umgesetzt. Auch Peter McDonald, Chef des Hauptverba­nds der Sozialvers­icherungst­räger, verlangt hier Änderungen. „Weder die aktuelle Gesetzesla­ge noch die geübte Verwaltung­spraxis garantiert zurzeit die für Unternehme­r so notwendige Klarheit und Sicherheit“, schreibt McDonald an Hilda Enzenhofer, die sich mit der Vorarlberg­er Gebietskra­nkenkasse herumstrei­tet. „Die derzeitige Praxis, dass bei diesem Zuständigk­eitsstreit zwischen Sozialvers­icherungst­rägern ein Beteiligte­r – nämlich die Gebietskra­nkenkasse – im Alleingang über die Zuständigk­eit entscheide­n kann, ist meiner Ansicht nach höchst bedenklich“, so McDonald.

Er hatte sich dafür eingesetzt, dass dieser Punkt in das Regierungs­abkommen zwischen SPÖ und ÖVP aufgenomme­n wurde. Doch ob und wann die Regierung dies tatsächlic­h umsetzen wird, ist unklar.

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Fabry Dürfen Pflegekräf­te selbststän­dig sein? Mit dieser Frage beschäftig­t sich gerade das Bundesfina­nzgericht.
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