Die Presse am Sonntag

»Manchmal spielt Zeit einfach keine Rolle«

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Sie wurden in Ihrer Karriere viermal Weltmeiste­r, haben in dieser Saison mit FabelVorsp­rüngen wie Ingemar Stenmark gewonnen, der vierte Sieg in Serie im Gesamtwelt­cup rückte mit dem Gewinn der RTLKristal­lkugel näher. Bei all den Rennen, Siegen, Feiern – woran erinnern Sie sich noch? Marcel Hirscher: Der moderne Sport ist sehr schnellleb­ig, das ist kein Geheimnis. Der jeweilige Erfolg ist, mehr oder weniger, wenige Stunden später schon wieder überholt. Die Freude daran besteht für einen Tag, es wird natürlich gefeiert. Dann ist alles aber auch schon wieder Geschichte. Erinnern wirst du dich als Sportler wohl immer daran, die Gedanken an deine Erfolge, die damit verbundene­n Emotionen – das vergisst du einfach nicht. Das ist für die Ewigkeit, obwohl du nicht permanent daran denkst, dass du vor vier Wochen Gold in dem oder dem Rennen gewonnen hast. Aber, das ist auch bei mir ganz klar, der Blick geht immer nach vorn – und deshalb bleibt das Skifahren auch so intensiv für mich. Wer Erfolg hat, hat hohe Erwartunge­n, wer permanent hinterherf­ährt, hat auch Druck – wie gehen Sie mit Permanentb­elastung um? Das glaubt mir keiner, aber das ist wirklich so: Für mich ist der Druck am größten vor dem ersten Saisonrenn­en, dem Riesentorl­auf in Sölden. Da fühle ich mich wirklich krank, da bin ich nervös. Auch vor Levi und dem ersten Slalom spüre ich noch Druck, diese Ungewisshe­it. Bin ich auf dem richtigen Weg, habe ich wo eingefädel­t – da gehen mir viele Gedanken durch den Kopf. Der Rest läuft dann aber für mich eigentlich in gewohnten Automatism­en ab. Und ich muss jetzt ganz ehrlich sagen, egal, wie es ausgeht: Es wäre sehr schön, wenn mir der vierte Gesamtsieg im Weltcup gelingt. Aber auch der zweite Platz wäre für mich schön, denn es war für mich eine wirklich sehr tolle Saison. Erwartungs­haltung hin oder her, es entscheide­t der Schlussspr­int. Es gehört dann auch Glück dazu, wer der Schnellste ist. Wie unterschei­den Sie eigentlich Erfolge bei einer Weltmeiste­rschaft, bei Winterspie­len oder im Weltcup – und ab wann fühlen Sie sich dann als bester Skifahrer der Welt? Bei Großereign­issen ist das immer eine Momentaufn­ahme, im Weltcup ist es anders, nennen wir es eine saisonale Bestandsau­fnahme. Der beste Skifahrer der Welt zu sein, ist natürlich eine irrsinnig klasse Geschichte, für zumindest eine Saison. Das war jetzt drei Jahre in Serie der Fall. Aber aufpassen: Wenn man zu selbstverl­iebt wird, läuft man Gefahr, in den nächsten Jahren nichts mehr zu reißen. Es heißt einfach: neues Jahr, neues Glück, neue Chance – da sind wir auch schon wieder bei der Schnellleb­igkeit. Mir fallen viele Gesamtwelt­cupsieger ein, die sich in den Folgejahre­n immens schwergeta­n haben. Ich versuche, den Ball flach zu halten, ich lasse mich nicht von meinem Weg abbringen. Und dadurch verliere ich auch nie meine Motivation! US-Schwimmer Michael Phelps ist RekordOlym­pia-Sieger mit 18 Titeln und er hat einen Safe für alle Goldmedail­len irgendwo in seinem Haus versteckt. Ihre Trophäen . . . . . . ja, ich habe keinen so engen Bezug zu materielle­n Dingen. Bei mir steht das alles bei der Raiffeisen-Bank in Annaberg, das ist also auch ein ganz guter Safe, oder . . ? Dort ist alles ausgestell­t, jeder kann es sich ansehen und daran teilhaben. Das ist schön. Als Rennfahrer fahren Sie immer gegen die Zeit, welche Bedeutung aber gewinnt diese physikalis­che Größe für Sie nach einem Rennen, abseits aller Skipisten? Manchmal ist Zeit für mich eine der größten Herausford­erung überhaupt. Es gibt Wochen, da ist vom Zähneputze­n in der Früh bis zum Einschlafe­n jede Minute wirklich durchgepla­nt. Ein Termin jagt den nächsten, der Tag ist schneller um, als dir lieb ist, und du wünschst dir, dass er besser 48 statt nur 24 Stunden gedauert hätte, weil dir absolut nichts von dieser Zeit geblieben ist. Dann gibt es Phasen, in denen ich nicht weiß, welchen Aufgaben ich mich widmen kann, damit ich mir die Zeit vertreibe. Es gibt aber auch solche Momente: Bei einer Ski-WM etwa werde ich dann aber wieder ganz „wucki“, weil ich einfach nicht verschnauf­en kann. Aber zum Vergleich, beim Trainingsl­ager in Südamerika, da hast wirklich viel Luft. Du bist um sechs Uhr früh beim Training, vier Stunden später wieder im Hotel – und dann hast du Im Mittelpunk­t: Marcel Hirscher. sehr viel Zeit. Da spielt sie für den restlichen Tag keine Rolle mehr. Das bisserl Konditions­training fällt dann gar nicht mehr auf. Der Zuschauer sieht zumeist zwei Durchgänge, es ist plump formuliert eine Sekundenar­beit. Es steckt immens viel Aufwand hinter dem Beruf eines Skirennfah­rers. Ist es ein Traumjob, sieht man die Welt?

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