Nachtfahrt
An diesem Märzmorgen lag der Frühling quasi in der Luft. Nun, da endlich auch der Rollsplitt beseitigt worden war, der die Stadt wochenlang in Staub gehüllt hatte. Das gleißende Sonnenlicht ließ selbst die grauesten Fassaden, von denen schon der Putz abbröckelte, weniger grau und verwittert erscheinen. Bäume und Sträucher waren noch kahl. Schaute man jedoch genauer hin, durfte man sich an den ersten zarten Knospen erfreuen.
Mehr noch: Gestern, am Sonntag, hatte Franz Enter im Wienerwald den ersten Bärlauch der Saison gepflückt. Die jungen Blätter schmeckten ihm sowieso am besten. Überhaupt, nachdem er sie zu frischem Pesto verarbeitet und mit einer rekordverdächtigen Menge Spaghetti genossen hatte. Auch das Zwitschern der Vögel verriet, dass die Natur allmählich wieder zum Leben erwachte.
Selbst bei Enter machte sich so etwas wie gute Laune bemerkbar. Auf seiner Fahrt ins Wiener Landeskriminalamt ertappte er sich dabei, dass er die groovige Melodie auf Superfly.fm mitpfiff. Obwohl ihm momentan nicht einfiel, wie der Interpret der Soulnummer aus den Siebzigern hieß. Dennoch pfiff er beschwingt weiter und wippte dazu mit dem Kopf, mehr oder weniger im Takt. Bis er den Dienstwagen an der roten Ampel beim Schottentor anhalten musste. Im cremefarbenen Mini zu seiner Rechten bemerkte er die dunkelhaarige Schönheit, die zu ihm herübersah, während sie sang und er mitschunkelte. Als wäre ihm das allein nicht schon peinlich genug gewesen, lächelte sie ihn auch noch an. Oder lachte sie ihn aus?
Die große dunkle Sonnenbrille a` la Hollywood-Diva verhinderte, dass er ihren Blick entschlüsseln konnte. Räuspernd wandte er sich ab. Vermutlich hätte es seine Gesichtsfarbe mit dem roten Ampellicht aufnehmen können, wäre dieses nicht just im selben Moment erloschen und die Ampel auf Grün gesprungen.
Als der Kriminalinspektor im LKA eintraf, hatte er sich wieder im Griff. Schließlich hatte er einen Ruf als Grantscherben zu verlieren. Seine gute Laune war wenig später ohnedies dahin, als ihn der Anruf des Kollegen vom Raubdezernat ereilte. „Servus,
HONIGWABE
Claudia Rossbacher
hat in Städten von Teheran bis Osaka gelebt und als Model, Texterin und Kreativdirektorin gearbeitet. Seit 2006 schreibt sie Kurzkrimis und Kriminalromane. Ihr erster Alpenkrimi „Steirerblut“wurde 2013 verfilmt, „Steirerkreuz“2014 mit dem „Buchliebling“ausgezeichnet. Derzeit erobert ihr neuestes Werk, „Steirerland“, die österreichischen Bestsellerlisten. Franz. Du, der Taxler, der vorgestern in der Nacht niedergeschlagen und ausgeraubt worden ist, ist heute Früh auf der Intensivstation verstorben“, informierte er Enter, der damit einen neuen Fall ausfasste. „Zehn Uhr im Konferenzraum.“Zweifellos war der Kollege heilfroh, dass nun die Mordgruppe ermitteln würde, nachdem der Schwerverletzte den Folgen einer Gehirnblutung erlegen war. Wien verzeichnete deutlich mehr Eigentumsdelikte als Kapitalverbrechen. Dementsprechend hatten die Kollegen vom Raub alle Hände voll zu tun.
Als Erstes sah sich Enter die Tatortfotos auf der Pinnwand im Konferenzraum an. Auch ohne den noch ausständigen Obduktionsbefund ging er davon aus, dass das bis auf einen Haarkranz kahlköpfige Opfer am Steuer seines Taxis von hinten erschlagen worden war. Der Täter musste von der Rückbank aus einige Male zugeschlagen haben, um sein Opfer auszuschalten. Die Datenauswertung der letzten Fahrt legte nahe, dass das Taxi zuvor in Neuwaldegg herangewinkt worden war. Bei der Funktaxizentrale war keine entsprechende Wagenbestellung eingegangen. Danach hatte sich der Fahrgast über die Höhenstraße kutschieren lassen und seinen Chauffeur irgendwie dazu gebracht, am Tatort bei der Einfahrt zum Forstweg anzuhalten, ohne dass dieser Verdacht geschöpft und einen Notruf abgesetzt hatte. Vielleicht hatte er vorgegeben, seine Blase dringend entleeren zu müssen, lautete Enters spontaner Gedanke.
Nach und nach betrachtete er die Gegenstände, die der Fahrer auf seiner letzten Reise mitgeführt hatte. Die Fächer der Brieftasche waren leer. Die Visitenkarten verrieten nicht nur seinen Namen und die Handynummer, sondern auch, dass es in seinem Taxi Superfly.fm zu hören gab, was Enter ausgesprochen sympathisch fand. Schade, dass es die Guten immer viel zu früh erwischte. Wenn Enter einmal mit dem Taxi fuhr, wurde er zuverlässig so lange mit Schlagermusik oder orientalischem Gedudel beglückt, bis er um Gnade winselte oder ausstieg. „Habt ihr die Anrufe auf seinem Handy überprüft? Vielleicht hat ihn der Täter telefonisch nach Neuwaldegg beordert.“
„Haben wir. Der Taxler hat das letzte Mal um 22.21 Uhr mit einem Be-
BUCHSTABENBUND kannten telefoniert. Der hat eine halbe Stunde später noch einmal versucht, ihn zur erreichen, konnte ihm aber nur mehr auf seiner Mobilbox eine Nachricht hinterlassen.“
„Kann ich sie mal abhören?“, fragte Enter und griff zum Handy im Plastikbeutel. Er lauschte der Stimme des Anrufers, der um Rückruf am nächsten Tag bat, während im Hintergrund schon wieder diese Soulnummer lief, die Enter am Morgen mitgepfiffen hatte. Verdammt noch mal, wie hieß der Interpret bloß? Der Name lag ihm auf der Zunge.
Enter sah sich den Führerschein an, dann den Rechnungsblock, eine angebrochene Packung Taschentücher und Pfefferminzkaugummis, die der Taxler dabeigehabt hatte. Ob außer dem Geld etwas fehlte, konnte niemand sagen. Auch sein Bekannter nicht. „Habt ihr den letzten Anrufer überprüft?“„Ja, er war zur Tatzeit zu Hause und hat mit seiner Freundin Horrorfilme angesehen.“„Und die Frau hat sein Alibi bestätigt?“
Der Kollege nickte. „Hat die Tatortgruppe etwas gefunden? Eine Tatwaffe vielleicht?“, fragte Enter.
„Schön wär’s, aber nein. Spuren waren zuhauf in dem Taxi. Aber keine, die sich eindeutig einem Täter hätten zuordnen lassen.“Zeugen gab es bisher ebenfalls keine. Enter seufzte. Wenn der Zufall das Opfer seinem Raubmörder in die Hände getrieben hatte, würde sich die Suche nach ihm ausgesprochen schwierig gestalten, befürchtete er.
Plötzlich aber kam der Geistesblitz. „Curtis Mayfield!“, fiel ihm endlich der Name ein. Alle Augenpaare richteten sich auf ihn. Enter grinste. „Curtis Mayfield, der Soulsänger.“
„Ja, und?“„Und ich glaube jetzt zu wissen, wer der Täter ist.“
Warum glaubt Enter das? Lösung der vergangenen Woche: Er verdächtigt Fischer, den Mann vom Baumarkt. Denn dieser bietet Straub eine Farbe an, die auch die kräftigsten Brauntöne überdeckt. Doblhofer hat aber gar nicht erwähnt, dass mit brauner Farbe gesprüht wurde.
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