»Weil alles so schön ist, und so kurz«
Die Literaturstudentin Marina Keegan wurde nur 22 Jahre alt. Ihre zauberhaften Geschichten in klarer Sprache wurden in den USA gefeiert und sind nun auf Deutsch erschienen.
Marina Keegan schrieb Geschichten wie andere in ihrem Alter Status-Updates auf Facebook. Es gibt da diese Zeile in einem ihrer Gedichte: „Und ich weine, weil alles so schön ist, und so kurz.“Es mag pathetisch klingen, diesen einen Satz auf ihr Leben umzulegen, aber es ist doch interessant, dass die 22-Jährige solche Sätze geschrieben hat. Als hätte sie gewusst, wie wenig Zeit ihr bleiben wird.
Wenige Tage nach ihrem Literaturabschluss in Yale, auf dem Weg zum 55. Geburtstag ihres Vaters im Mai 2012, verunglückte Marina Keegan. Ihr Freund saß am Steuer und war weder betrunken noch zu schnell gefahren, aber während der Fahrt von Boston nach Cape Cod am Steuer eingeschlafen. Das Auto überschlug sich zweimal, der Fahrer blieb unverletzt, Marina Keegan starb. Ihre Eltern veröffentlichten ein Jahr später einen Band mit den Geschichten ihrer Tochter, der in den USA sehr viel Beachtung fand und nun auf Deutsch vorliegt.
Die titelgebende Geschichte, „Das Gegenteil von Einsamkeit“, ist es auch, die Keegan, die u. a. für den „New Yorker“geschrieben hat, zu Lebzeiten bekannt gemacht hat. Es ist ihre Uni-Abschlussrede, in der sie das Gegenteil von Einsamkeit zu beschreiben versucht. Ein Gefühl, für das es ihrer Meinung nach kein Wort gebe, das sie aber während ihrer Studienzeit in Yale gefunden zu haben glaubte: „Das Gefühl, dass da Leute sind, die alle an einem Strang ziehen. Die auf deiner Seite sind. Wenn die Rechnung bezahlt ist und du noch am Tisch bleibst. Wenn es vier Uhr nachts ist und niemand ins Bett geht.“Keegans Text war vor allem das Gegenteil der üblichen „Alles wird schlimmer“-Texte frustriert-verwöhnter Jungerwachsener. Und trotz des naiv-ungeduldigen Ansatzes einer sehr privilegierten Studentin war er frei von Kitsch und gut geschrieben. Noch ein Unfalltod. Genau so, unsentimental und in klarer Sprache, sind auch Keegans andere Geschichten verfasst. Oft geht es darin um das Scheitern – von Beziehungen oder großen Plänen. Erstaunlich, wie gut eine Anfang Zwanzigjährige Einsamkeit und Distanz in (langjährigen) Partnerschaften be- Marina Keegan: „Das Gegenteil von Einsamkeit“Übersetzt von Brigitte Jakobeit S.-Fischer-Verlag 285 Seiten 19,60 Euro schreiben kann. Beinah unheimlich ist, dass es in einer der berührendsten Geschichten, „Kalte Idylle“, ausgerechnet um den Unfalltod eines jungen Menschen geht. Eine junge Frau schildert, wie jener junge Mann bei einem Unfall ums Leben kommt, mit dem sie seit einiger Zeit liiert war. Seine Eltern bitten sie, die Grabrede zu halten. Über die Exfreundin ihres Geliebten kommt sie an dessen Tagebuch heran und erkennt bei der Lektüre schmerzhaft, dass der Mann, mit dem sie zaghaft eine Beziehung begann, mit ihrer Vorgängerin viel mehr verbunden war als mit ihr.
Der Tod kommt überhaupt häufig in Keegans Texten vor – und das immer sehr plötzlich. In „Vorlesen“ist es die ehemalige Tänzerin Anna, die einem sehbehinderten jungen Mann täglich Bibelstellen, Gebrauchsanleitungen und Kreditkartenabrechnungen vorliest, und von ihren eigenen unheilbaren Krankheiten überzeugt ist. Am Ende aber ist es ihr Ehemann, der plötzlich bei der Arbeit stirbt. In „Aufs Korn genommen“beschreibt Keegan, welche Dinge sie sich an ihr Sterbebett bringen lassen will: „Eine Rolle gefüllte Kekse, Hühnerpastete, eine große Salamipizza, . . .“Das alles würde sie in ihren letzten Minuten langsam und genüsslich verzehren.
Keegans Literaturprofessorin Anne Fadiman schreibt im Vorwort: „Marina war einundzwanzig und klang wie einundzwanzig: eine gescheite Einundzwanzigjährige.“Das stimmt – und stimmt auch wieder nicht. So sehr sie mit ihren präzisen Schilderungen über Beziehungen und Abschiede überrascht, so oft blitzt die jugendliche Naivität hie und da durch. Das Lesevergnügen schmälert das aber nicht. Marina Keegans Buch bleibt der jugendlich-drängende, kluge Appell an junge wie ältere und ebenso sehr alte Menschen, das Leben zu genießen. In ihrer Yale-Abschlussrede schrieb Keegan: „Die Vorstellung, dass es für etwas zu spät ist, erscheint mir komisch. Zum Totlachen.“Traurig und unheimlich liest sich der Satz mit dem Wissen über ihr plötzliches Lebensende.