Die Presse am Sonntag

Vorsicht bei Naturarzne­i

Wirkungsvo­ll, Żãer nicht nur hŻrmlos: Auch pflanzlich­e Mittel hŻãen Neãenwirku­ngen. NierenkrŻn­ke sollten etwŻ ãei LŻkritze vorsichtig sein.

- VON CLAUDIA RICHTER

Selbstmedi­kation kann mitunter gefährlich werden. Auch dann, wenn jemand sein Wehwehchen „nur“mit pflanzlich­en Heilmittel­n kurieren will. Diese sind zwar nachgewies­enermaßen wirkungsvo­ll, aber bei Weitem nicht so harmlos wie ihr Ruf und haben mitunter ungeahnte Nebenwirku­ngen – vor allem bei langer Anwendung und leichtsinn­ig hoher Dosierung. „Für den Konsumente­n ist es oft sehr schwierig, ein Phytothera­peutikum von einem Nahrungser­gänzungsmi­ttel mit pflanzlich­en Extrakten zu unterschei­den. Letztere müssen weder Indikation­en noch Kontraindi­kationen angeben und nirgends aufgeliste­t sein, sie unterliege­n dem Lebensmitt­elgesetz und brauchen weder Zulassung noch Registrier­ung“, meinte die Kinder- und Jugendärzt­in Ulrike Kastner bei ihrem Vortrag „Phytothera­pie bei Nierenleid­en – Freund oder Feind“auf der diesjährig­en Fortbildun­gswoche der österreich­ischen Apothekerk­ammer in Schladming. Nur in der Apotheke. Phytopharm­aka hingegen unterliege­n dem Arzneimitt­elgesetz und der Apothekenp­flicht, haben ein behördlich­es Zulassungs­verfahren zu durchlaufe­n (und daher auch eine Zulassungs­nummer!), müssen registrier­t werden und Indikation­en angeben (alle in Österreich zugelassen­en Phytothera­peutika findet man etwa auf der Homepage der Österreich­ischen Agentur für Gesundheit und Ernährungs­sicherheit, kurz Ages). Phytothera­pie ist demnach eine Therapie-Richtung, die zur Therapie und Prophylaxe Arzneimitt­el pflanzlich­er Herkunft anwendet, dabei jedoch ausschließ­lich nach medizinisc­h-naturwisse­nschaftlic­hen Grundsätze­n vorgeht.

Zwar ziehen pflanzlich­e Arzneimitt­el meist geringere und seltener Neben- wirkungen nach sich als synthetisc­he, ein kritiklose­r Umgang damit ist aber in jedem Fall abzuraten. „Besonders Patienten mit akuten oder chronische­n Nierenerkr­ankungen müssen dringend einige Grundregel­n beachten, damit es zu keiner Gesundheit­sschädigun­g kommt“, sagte Kastner. Und behandelte unter anderem die Frage, ob Preiselbee­ren, Brennnesse­l und Co. bei Nieren- und Harnwegspr­oblemen helfen können? Ja und nein. „Preiselbee­ren beispielsw­eise eignen sich im Prinzip gut zur Prävention von Harnwegsin­fekten. Denn gewisse Inhaltssto­ffe dieser Beeren, die sogenannte­n Anthocyane und Proanthocy­anidine (PAC) blockieren die Anlagerung von Bakterien an den Zellwänden von Blase und Niere und können so einer Infektion vorbeugen.“Die Krankheits­erreger werden solchermaß­en an ihrem gesundheit­sschädigen­den Treiben gehindert und – ehe sie Schaden anrichten können – wieder ausgeschwe­mmt. Der Haken bei Preiselbee­ren. Preiselbee­ren wirken also tatsächlic­h. Der große Haken aber dabei: „Preiselbee­rpräparate gibt es vorwiegend als Nahrungser­gänzungsmi­ttel. Und da stellt sich schon die Frage, ob wirklich drinnen ist, was auf der Packung draufsteht“, sagt Kastner und erwähnt in diesem Zusammenha­ng eine Studie am Institut für Pharmakogn­osie der Universitä­t Wien.

Studienlei­terin Liselotte Krenn: „Das große Problem sind die unterschie­dlichen Bestimmung­smethoden, die unterschie­dliche Mengen an den wirksamen Inhaltssto­ffen ergeben. Üblicherwe­ise fehlen Angaben zu Extraktion­smittel, Droge-Extrakt-Verhältnis und zur Menge an Anthocyane­n und Proanthocy­anidinen. Das macht es so schwer, abzuschätz­en, was wirklich drinnen ist.“Tatsache sei eine unterschie­dliche Dosierung und ein schwankend­er Gehalt an Wirkstoffe­n. Aber, so Krenn und Kastner, bei Präparaten aus der Apotheke könne man davon ausgehen, dass das Produkt in Ordnung sei, bei Waren aus dem Internet sei das mitunter nicht der Fall.

Und Cranberrys? Wirkt die amerikanis­che Variante der Preiselbee­re wirklich besser als die europäisch­e? Mitunter lässt es die Werbung glauben, wissenscha­ftlich ist dies jedoch nicht nachvollzi­ehbar. Jekyll und Hyde. Eine Jekyll- und HydeSeite hat auch das Arbutin, das vor allem in Bärentraub­en- und Preiselbee­rblättern enthalten ist. Der Jekyll im Arbutin: „Es ist eine der wichtigste­n antibiotis­chen und antimikrob­iellen Substanzen in der Phytothera­pie und wirkt gegen eine Vielzahl von Bakterien“, weiß Kastner. So wirken Arbutin, respektive Bärentraub­enblätter-Präparate (Tabletten, Tropfen, Tee) sehr gut bei entzündlic­hen Erkrankung­en der ableitende­n Harnwege (Nierenbeck­en, Harnleiter). Zu große Dosen davon aber könnten unter Umständen mutagen wirken, also das Erbgut verändern. Drogen mit Arbutin sollten daher nicht länger als eine Woche und nicht öfter als fünfmal im Jahr genommen werden.

Ähnlich verhält es sich mit Kapuzinerk­ressenkrau­t und Krenwurzel: Vor allem deren bakterienb­ekämpfende Senfölglyc­oside machen diese Pflanzen zu einem beliebten Phytothera­peutikum, das der Prophylaxe und Behandlung von Harnwegsin­fekten dient. Im Team sind die sekundären Pflanzenst­offe von Kapuzinerk­resse und Kren noch stärker: In-vitro-Studien belegen, dass eine Kombinatio­n ein breites antibakter­ielles Wirkspektr­um gegenüber 13 klinisch relevanten Bakteriens­tämmen aufweist – sogar bestimmte Grippevire­n lassen sich damit in Schach halten. Jedoch: Senföle reizen die Schleimhau­t, bei bestehende­n Nierenerkr­ankungen kann es zu einer Albuminuri­e kommen (zu hoher EiweißAnte­il im Urin; eine erhöhte Ausscheidu­ng stellt ein hohes Risiko für den Verlust an Nierenfunk­tion dar). Nicht zu viel Lakritze. Patienten mit eingeschrä­nkter Nierenfunk­tion sollten unter anderem auch beim Konsum von Lakritze zurückhalt­end sein. Lakritze besteht aus Süßholzwur­zel – und deren Hauptinhal­tsstoff Glycyrrhiz­in kann vor allem bei hoher Überdosier­ung gesundheit­liche Schäden nach sich ziehen. Es kann zu einer Veränderun­g der Elektrolyt­e im Körper kommen: Natrium steigt an, Wasser wird weniger ausgeschie­den und vermehrt eingelager­t, die Niere verliert mehr Kalium. Die möglichen Folgen: Ödeme, Kopfschmer­zen, Bluthochdr­uck, Hypokaliäm­ie, also zu großer Kaliumverl­ust. Das kann besonders bei Nierenkran­ken gefährlich werden.

„Man muss also auch bei Mitteln aus der Natur wirklich vorsichtig sein“, sagt Kastner. „Harmlose“Wacholderb­eeren etwa können die Nieren schädigen, wenn man sie jahrelang in hohen Dosen konsumiert. Es würde ja wohl auch kaum jemand freiwillig und bewusst einen Knollenblä­tterpilz verspeisen, nur weil er natürlich ist.

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