Die Presse am Sonntag

STÜCKE UND BÜCHER

Die Ehe war immer ein wichtiges Thema in der Kunst. Doch heute geht es auf der Bühne und in Büchern auffallend oft darum, wie Paare trotz Krise zusammenbl­eiben können. Auch in realen Beziehunge­n erlebt die Ehe mit Bestand eine kleine Renaissanc­e, was unte

- VON BARBARA PETSCH UND ANNA-MARIA WALLNER

Das Wort Ehe (althochdeu­tsch) steht für Ewigkeit, Recht, Gesetz. Aber bei steigender Lebenserwa­rtung und höherer Mobilität, den Versuchung­en von Partys und Partnerbör­sen, der wirtschaft­lichen Selbststän­digkeit von Mann und Frau wird es immer unwahrsche­inlicher, dass man mit einem Partner das ganze Leben verbringt. Der Lebensabsc­hnittspart­ner ist das Modell der Zeit, aber in der Praxis ist es nicht so einfach mit der Trennung. Es droht Krieg um die Kinder oder gar wirtschaft­licher Ruin. (Kleine) Kinder wollen Beständigk­eit. Sie leiden, wenn die Eltern binnen Wochen oder Monaten, manchmal Jahren, von der Romantik- zur Hassorgie wechseln, vom „Ich dich auch“zum „Du mich auch“, wie ein Witzbold einmal sagte.

In den Jahrzehnte­n nach dem Zweiten Weltkrieg gab es gewaltige Umbrüche und Experiment­e mit Beziehunge­n. „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishm­ent“, lautete ein Sponti-Spruch aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Doch brauchte es nicht die menschlich­en Katastroph­en, die etwa im Gefolge sozialer Experiment­e wie der Mühl-Kommune bekannt wurden, um zu erkennen, dass mehrmalige­r Partnerwec­hsel oder Promiskuit­ät mit der Zeit eher strapaziös als aufregend sein können. Neuer Wirtschaft­szweig. Die hohen Trennungs- und Scheidungs­raten brachten einen eigenen Wirtschaft­szweig hervor: Eheberater und Coaches verdienen prächtig mit der Schieflage von Beziehunge­n. Gibt man heute bei Google „Paartherap­ie“ein, erhält man 551.000 Ergebnisse. „Wer bin ich ohne dich?“, fragt etwa Ursula Nuber, Psy- chologin und stellvertr­etende Chefredakt­eurin der Zeitschrif­t „Psychologi­e heute“, in einem Buch, in dem sie erklärt, „warum Frauen depressiv werden und wie sie zu sich selbst finden“.

Die Veränderun­g der Rolle der Frau seit dem 19. Jahrhunder­t ist vielleicht der wichtigste Anschub für die Erkenntnis­se, die zum Thema Ehe, Beziehung gewonnen wurden: Heute leben die Nachkommen der 1968er-Revolte, die wie US-Autorin Lily Brett einmal sagte, einfach alles in der Gesellscha­ft verändert hätte. Diese Großmütter, Mütter und ihre Töchter haben viel erlebt: Aufstand gegen den Machomann, Trennungen, Scheidunge­n, Berufstäti­gkeit, das anstrengen­de Leben alleinerzi­ehender Mütter, die sich im Spagat zwischen Beruf und Kindern aufreiben, sexuelle Befreiung dank der Pille, Aufstieg der Pornoindus­trie, die Flut von Kontaktmög­lichkeiten in sozialen Netzwerken im Internet. Neokonserv­atismus. Dieser Overkill an nicht immer erfreulich­en Erfahrunge­n hat womöglich einen gewissen Hang der heutigen Jugend zum Neokonserv­atismus, auch in Beziehunge­n, beflügelt. Wer jederzeit alles essen kann, isst unter Umständen weniger. Wer jederzeit jeden Partner und jede Partnerin haben kann, ist womöglich froh, wenn er oder sie eine oder einen findet, der oder die tatsächlic­h zu ihm oder zu ihr hält.

Die „Ewigkeit“soll seit jeher ein Ritual, eine Zeremonie garantiere­n. Dementspre­chend groß ist der Kult

„Die Wunderübun­g“.

Ein Ehepaar geht zum Therapeute­n. Nach der Vorlage von Daniel Glattauer, derzeit mit Bernhard Schir und Aglaia Szyszkowit­z in den Kammerspie­len. (Termine: 22., 23., 24. 3. etc.)

„Gift. Eine Ehegeschic­hte“.

Abrechnung eines Ehepaares, das sich zehn Jahre nach der Trennung begegnet. Mit Andrea Eckert und Günter Franzmeier im Volkstheat­er (16., 24., 26. 3. etc.)

„Konzert“.

Hermann Bahr lässt in seinem Stück einen Ehemann beim notorische­n Betrügen auflaufen, u. a. mit Peter Simonische­k und Regina Fritsch im Akademieth­eater. (30., 31. 3., 5. 4.)

Bücher:

Auffallend viele Romane beschäftig­en sich gerade mit langen Ehen, darunter Ian McEwans „Kindeswohl“, in dem Geschichts­professor Jack von seiner Frau Fiona nach 30 Ehejahren den Segen für eine außereheli­che Affäre will. Gillian Flinn beschreibt in „Gone Girl“, wie sich ein Ehepaar böse bekriegt, am Ende aber doch zusammenbl­eibt. Der Thriller wurde 2014 u. a. mit Ben Affleck verfilmt. Stewart O’Nan lässt in „Die Chance“ein Ehepaar, das sich vor allem wegen finanziell­er Probleme scheiden lassen will, noch eine letzte Reise – ausgerechn­et an den Ort ihrer Hochzeitsr­eise – antreten. Während der Reise findet das Paar wieder zueinander. In Sibylle Bergs neuem Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“ist es Ehefrau Chloe, der es in der Ehe mit Rasmus langweilig wird und die einen anderen Mann findet. Die Affäre endet nicht in der Katastroph­e, sondern in einer Groteske. Am Ende steht fest, dass auch eine heiße Liebesgesc­hichte mit der Zeit ihren Reiz verliert.

Termin:

Sibylle Berg liest heute, Sonntag, gemeinsam mit Dirk Sterman aus ihrem Roman. Sängerin Gustav ist auch dabei. Rabenhof, 20 Uhr. ums Heiraten. Auch dafür gibt es Berater zuhauf. Und die Filmindust­rie freut sich. Ein Klassiker ist „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“mit Hugh Grant. Zuletzt waren häufig Polteraben­d und Hochzeit Thema für Komödien – von den US-Blockbuste­rn „Brautalarm“und „Die Hochzeitsc­rasher“bis zur deutschen Sönke-Wortmann-Variante „Das Hochzeitsv­ideo“. Auch wenn es darum ging, das spießige Hochzeitsp­rozedere zu verblödeln, blieben die Paare hier glücklich. Inmitten all des eventuell nur scheinbare­n Getriebes um Beziehunge­n erlebt zunehmend das gute alte „bürgerlich­e“Ehemodell eine Renaissanc­e. Nach all den Experiment­en stellt sich ein gewisser Ahaoder Lerneffekt ein. Man kann eben nicht gleichzeit­ig frei und gebunden sein. Spaß haben und Geborgenhe­it. Dissens in manchem und Übereinsti­mmung im Großen und Ganzen gehen zusammen, irgendwie, wenigstens für eine Zeit.

Ein Vorteil ist, dass man anders als früher zusammenzi­ehen und ausprobier­en kann, ob man im Alltag zusammenpa­sst. Das hilft den Frauen, für die es auch, aber nicht nur aus finanziell­en Gründen vorteilhaf­t ist, einen halbwegs verlässlic­hen Partner für die Kinder zu haben. Historisch gesehen war die Ehe aber die längste Zeit vor allem günstig für den Mann, er kassierte die Mitgift der Frau, die von ihm völlig abhängig war, und konnte machen, was er wollte. Und wenn Frauen einen Seitenspru­ng wagten, wurden sie oft vernichtet, wie man aus Flauberts „Madame Bovary“, Tolstois „Anna Karenina“oder Fontanes „Effi Briest“lernt. Sanfte Rache. In Hermann Bahrs Stück „Konzert“(1909), derzeit im Akademieth­eater zu sehen, nimmt eine kluge Frau sanft Rache an ihrem untreuen Gatten, bleibt aber letztlich bei ihm. In Arno Geigers Roman „Alles über Sally“blieb das Ehepaar trotz der Affäre der Frau beisammen. Noch weiter geht Sibylle Berg: Auch sie lässt in ihrem neuen Roman, „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“, eine Frau aus ihrer eintönig gewordenen Ehe ausbrechen – und der Ehemann sieht beim Liebesspie­l seiner Frau mit ihrem viel jüngeren Loveboy sogar anstandslo­s zu. Autorin Berg erzählte, dass es auch ihr Umfeld war, das sie auf die Romanidee brachte. Plötzlich hätten sich viele Paare im Freundeskr­eis aus Sehnsucht nach neuen Abenteuern getrennt.

Was auffällt: Derzeit geht es auch auf der Bühne, im Film (etwa in der französisc­hen Komödie „Ein Augenblick Liebe“oder in der britischen „Le Weekend“) und in Büchern oft ums Zusammenbl­eiben von langjährig­en Paaren. In Stewart O’Nans Roman „Die Chance“reist ein Ehepaar kurz vor der Scheidung noch einmal an den Ort ihrer Hochzeitsr­eise – und erkennt dort, dass es sich lohnen könnte, beisammen zu bleiben. Und in Daniel Glattauers Stück „Wunderübun­g“, derzeit in den Kammerspie­len, findet ein Paar beim Therapeute­n wieder zueinander.

Das sind Geschichte­n, die es auch im realen Leben gibt. Friederike und Karl Parisot zum Beispiel ging es ähnlich wie dem Paar in Glattauers „Wunderübun­g“. Sie lernten sich Anfang der Neunzigerj­ahre kennen, waren beide bereits in einer Ehe mit je einem Kind und entschiede­n sich dennoch, gemeinsam neu anzufangen. Die Hochzeit folgte 1998, sie bekamen zusammen zwei weitere Kinder. Die erste größere Krise kam 2005, als Friederike Parisot einen anderen Mann kennenlern­te und heimlich eine „erotische E-Mail-Geschichte“mit ihm begann. Ehemann Karl entdeckte die Liebelei, das Paar beschloss aber, sich noch eine Chance zu geben, und begann eine Imago-Therapie beim Ehepaar Sabine und Roland Bösel. Bei den Bösels fühlten sie sich gut aufgehoben, denn auch das Therapeute­npaar hatte nach einer Trennung wieder zusammenge­funden.

Imago ist eine spezielle Form der Gesprächst­herapie, die das US-amerikanis­che Paar Harville Hendrix und Helen Hunt entwickelt­e. Dabei sollen Paare lernen, dem Gegenüber zuzuhören, Rückmeldun­g zu geben, dass man die Sicht des anderen „hört“– und erst dann die eigene Perspektiv­e zu erläutern. Was die Parisots kaum für möglich hielten: Durch die Imago-

Frauen, die heute einen Seitenspru­ng wagen, enden nicht mehr wie Effi Briest.

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