Bejing Punk
Im konfuzianisch-kommunistischen China hat sich eine Kunst- und Kulturszene mit Lust am Experiment entwickelt, mit Hip-Hop und Punk, Hardrock und Riot-Grrrl-Szene.
Liu Donghong, der 33-jährige kettenrauchende Sänger der Bluesrockband Shazi mit den schulterlangen Haaren, sagt im 2005 gedrehten Film „Beijing Bubbles“, dass er mit der chinesischen Gesellschaft nichts zu tun haben will. Bei einem Spaziergang auf dem Tian’anmen-Platz erzählt er kryptisch von den guten und schlechten Dingen, die sich hier ereignet haben. Und wird danach – vor einer Bar sitzend – deutlicher: Er spricht dann auf Chinesisch davon, wie er und die Angehörigen seiner Generation nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Juni 1989 gegenüber allen möglichen Autoritäten ein tiefes Misstrauen entwickelt haben: Staat, Lehrer, Autoritäten, ja sogar die eigenen Eltern – plötzlich seien für ihn alle gleich gewesen. „Sie zählten nichts mehr“, sagt er.
Susanne Messmer, eine der Filmemacherinnen, erklärt in einem Essay im Begleitbuch zur „Beijing Bubbles“DVD, was im China der Gegenwart vor sich geht: „Was uns in den westlichen Gesellschaften schon lang als selbstverständlich gilt – dass man sich spätestens in der Pubertät abnabelt und seiner eigenen Wege geht –, dieses Phänomen ist in China noch sehr jung. Rebellische, aufmüpfige Gesten, Trotz, Verstoß gegen die vorherrschenden Moralvorstellungen, die Lust zu schockieren – all das, was bei uns längst zum Kanon aller Jugendkulturen gehört und in allerletzter Zeit manchmal beinahe schon wieder als allzu konventionell empfunden wird, scheint in China zum ersten Mal von jenen voll ausgekostet zu werden, die heute jung sind.“ Nichts ist gleich. Dieser jugendliche, ungestüme Individualismus liegt in China unter einem mehrlagigen Firnis versteckt. Denn nach dem Menschenbild von Konfuzius lebt der Mensch eingebettet in die Matrix von Familie, Gesellschaft, Staat und in strenger Hierarchie: Vom Einzelnen wird bedingungsloser Gehorsam verlangt, der Einzelne hat seine Interessen jenen der Gemeinschaft unterzuordnen. Die nächste Schicht: der Kommunismus mit chinesischen Charakteristika. Alle hatten gleich zu sein. Bis zur Öffnungspolitik von Deng Xiaoping in den 1980/90ern trugen alle die gleiche Kleidung: billige Leinenschuhe und unifor- me Zweiteiler im Schnitt von Sun Yat-sen (Sun Zhongshan), Gründer der chinesischen Republik 1912. Selbst im Denken und Fühlen wurde Uniformität eingefordert. Und in der Gegenwart? „Es mag [. . .] daran liegen, dass heute, wo es darum geht, aufzuholen und kein Entwicklungsland mehr zu sein, sich nur wenige in China die Zeit für Abweichung und Rebellion nehmen können.“
Aber seit Mitte der Achtzigerjahre hat sich in China ein Rock’n’Roll-Biotop entwickelt, vor allem Beijing ist bekannt für seine Kunst- und Kulturszene mit Lust am Experiment, für Hip-Hop und Punk, Hardrock und RiotGrrrl-Szene. Zu der Szene gehören auch Houhai Dashayu (Queen Sea Big Shark), eine der erfolgreichsten chinesischen Indie-Rockbands. Röhrende Gitarren, Drums, Bass, ein Keyboard, das klingt wie aus den 1980ern, ein Drummer, der ziemlich reinhaut. Die Band spielt in ihrem Proberaum in einem Hipster-Komplex in der Gulou Dong Dajie, wo Plattenlabels, Musikklubs und Studios untergebracht sind. Der Bassist Wang Jinghan trägt Brillen mit Gläsern dick wie Aschenbecher, Cao Pu, der Gitarrist, hat eine Mini-Melone auf dem Kopf, trägt ein schwarzes T-Shirt. Der Drummer ist wie bei jeder Band der Coolste, wie er mit seinem Boy-Band-Haarschnitt, dem Riesentattoo am Oberarm und im Unterhemd dasitzt und die Drumsticks auf die Felle drischt. Sängerin Fu Han könnte die blonde (wobei die Haarfarbe wechselt), asiatische Version des feministischen Riot Grrrls Carrie Brownstein sein, der Indie-Rockerin der bis 2006 aktiven und kürzlich wiederbelebten Neunzigerjahre-Band Sleater-Kinney.
Queen Sea Big Shark begann zwischen 2004 und 2005. Nachdem die Bandmitglieder eine Liveshow besucht hatten, sagten sie sich: „Das wollen wir auch.“Der seltsame Name der Band kommt daher, dass Sängerin Fu Han mit ihrem Freund beim Queen-SeaTeich in Beijing herumspaziert ist, wo sie bei einem Restaurant einen seltsamen Aufkleber sahen, auf dem poten-
Das Buch:
„Die pazifische Epoche“bietet einen Schnelldurchlauf der Geschichte Asiens, eine Analyse des Aufstiegs des Kontinents in den vergangenen Jahrzehnten und die Kosequenzen für Europa sowie Reportagen aus dem quirligen, jungen Asien. Deuticke-Verlag 304 Seiten 21,90 Euro.
Der Autor:
Thomas Seifert, geboren 1968 in Ried im Innkreis, Studium der Biologie, ist stv. Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der »Wiener Zeitung« und arbeitete viele Jahre im Außenpolitikressort der „Presse“. zielle Diebe gewarnt wurden. Unterschrieben war dieser Aufkleber mit Queen Sea Big Shark.
Beijing ist seit Jahren das Mekka der Rock- und Punkrock-Szene, um das Jahr 2000 herum gab es einen Big Bang, und nicht nur Beijings Musikuniversum dehnte sich seither explosiv aus, sondern auch die Kreativ-, Design- und Modeindustrie. „Vor zehn Jahren haben sich in China nicht viele junge Menschen für Musikfestivals oder Underground-Musik interessiert“, sagt Fu Han, „aber seit 2000 können sich die Menschen über eine Vielzahl von Medien über die verschiedensten Musikstile informieren.“ Die Pioniere. In der jugendkulturellen Antike Chinas, der Prä-Internet-Epoche, hörten Teens und Twens Musikkassetten mit Westmusik (Pink Floyd, Nirvana etc.), was illegal war. Fu Han wuchs in einer Beijinger Danwei-Werkssiedlung auf, wo die meisten traditionelle chinesische Musik hörten, sie selbst hörte in ihrer Jugend westliche und japanische Musik. Das japanische Elektropop-Trio Yellow Magic Orchestra etwa liebte sie – eine Band, die in ihrer Heimat ähnliches Ansehen genießt wie Kraftwerk, deutsche Pioniere der Elektro-Musik in Europa. Fu Hans Mutter ist Klavierlehrerin, eine ähnliche Karriere hatte sie für Fu Han vorgesehen. Aber sie hatte anderes im Sinn und vergötterte Madonna, die Backstreet Boys, später Heavy Metal, Hardcore und Punk.
Die Post-1990er sind die Post-Internet-Generation, sagt Fu Han, Leute, die in den 1970ern geboren sind, wurden vom Internet nicht beeinflusst. „Unsere Generation hat ein großes Ding erlebt, als wir fünfzehn oder so waren“, sagt sie und spricht damit das Tian’anmenMassaker nicht direkt an. Die Post1990er seien direkter und dynamischer, sagt die Sängerin: „Ich denke, dass sie ziemlich frei sind, sobald sie erst einmal die Prüfungen für die Universitätszulassung geschafft haben.“Gitarrist Cao Pu meint, der Unterschied liege darin, dass die Generation seiner Eltern viele Kinder in einer Familie hatte, seine Generation ist die Generation der Einkindpolitik: „Wir wollen alles nur für uns selbst, sind selbstsüchtig. Das ist wohl der Unterschied, aber auch gleichzeitig der Grund dafür, dass wir gezwungen sind, unabhängig zu denken.“
»Wir wollen alles für uns selbst. Wir sind gezwungen, unabhängig zu denken.«