Die Presse am Sonntag

Momente für die Ewigkeit

Mehr denn je lebt die Mode für den Augenblick: Nach der Semaine du Prˆet-`a-porter in Paris stellt sich die Frage, ob Kollektion­en, die in die Modegeschi­chte eingehen, heute möglich sind.

- VON DANIEL KALT

Zwei bildhübsch­e, junge Asiatinnen sitzen im Cafe,´ machen Selfies und rücken lächelnd ihre witzigen Accessoire­s ins Bild; eine Handtasche sieht etwa aus wie zwei Stapel von Kunststoff­tellern. Aufgeregt zücken Beobachter dieser Szene ihre Smartphone­s, manche lichten sich nach dem Selfie-im-SelfiePrin­zip gleich selbst mit ab. Zwei Sekunden später stehen alle so entstanden­en Aufnahmen auf Instagram, werden geliket und geteilt.

Wenn es eine Szene gibt, die die Essenz der vergangene­n Modewochen beinhaltet, dann ist es vielleicht diese. Zugetragen hat sie sich nämlich nicht am Tisch eines x-beliebigen Cafes,´ sondern in jener Brasserie Gabrielle, die Karl Lagerfeld für das Chanel-Defilee im Pariser Grand Palais aufbauen ließ. Natürlich, der Sinn von Modeschaue­n war schon immer, sogenannte Iconic Images zu schaffen – unvergessl­iche Bilder, die sofort um die Welt gehen sollen. In der Ära des 24-StundenNew­s-Cycles und der von Fashionist­as leidenscha­ftlich gern genutzten ImageShari­ng-Plattform Instagram sind derlei Bilder wichtiger denn je. Denn das Defilee ist eine Verkaufsve­ranstaltun­g, mehr aber ein Kommunikat­ionstool für die verschiede­nen Marken. Lady Gaga und Beefeater. Zu mindestens einer Begriffsve­rschiebung hat die Entwicklun­g der vergangene­n Jahre freilich beigetrage­n: Einst war von einem Fashion Moment die Rede, wenn ein Designer eine Kollektion vorlegte, bei der auf Anhieb klar war, dass sie nachhaltig die Wahrnehmun­g von Mode, ja den Lauf der Kostümgesc­hichte verändern würde. Heute wird völlig irrigerwei­se ein solcher Fashion Moment schon herbeigesc­hrieben, wenn, wie in Paris als Abschluss der Valentino-Schau, zwei HollywoodS­chauspiele­r, Ben Stiller und Owen Wilson, über den Laufsteg hasten. Ein Moment, der Modegeschi­chte schreibt? Wohl kaum. Ein unterhalts­ames Extra mit Wow-Effekt, mehr nicht.

Wenn Lady Gaga bei Balenciaga anfangs über den Catwalk trällert, ist das weniger tragisch, weil Alexander Wangs Vorschläge für dieses schöne Pariser Maison oft entbehrlic­h dünken. Wenn aber bei Moncler Gamme Rouge als mittlerwei­le fast obligate „Zückt eure Smartphone­s“-Einlage am Ende eine Beefeater-Parade im Stechschri­tt über den Laufsteg marschiert, dann stellt das einen ungerechtf­ertigt grotesken Abschluss der Präsentati­on einer stimmigen Herbstkoll­ektion von Giambattis­ta Valli für Moncler dar.

Mit seinen equestrisc­hen Einfällen hat Valli zudem seine Geistesver­wandtschaf­t mit der Welt des LuxusSatte­lmachers Herm`es bekundet. Womöglich wollte er im Nachhinein kundtun, dass er sich über ein Engagement als Kreativdir­ektor gefreut hätte. Doch es ist Nad`ege Vanhee-Cybulski, die seit dieser Saison die Mode von Herm`es entwirft. Die Premiere einer neuen Designerin bei einem so wichtigen Maison wie Herm`es, das hingegen hat wirklich Fashion-Moment-Potenzial. Wäre da nicht der Umstand, dass man bei Herm`es – wo Vanhee-Cybulski ausdrückli­ch als „neues Familienmi­tglied“willkommen geheißen wurde – betont wenig Wert darauf legt, als Modehaus im engeren Sinn wahrgenomm­en zu werden. Vanhee-Cybulski zeigte denn auch, dass sie sich intensiv mit den Archiven und Werten von Herm`es auseinande­rgesetzt hatte. Ein an Handwerker­schürzen erinnernde­r Leder-Overall, ein Kurzmantel mit an Satteltasc­hen angelehnte­n Pochettes, die zitatweise Verwendung der Rocabar-Pferdedeck­e von Herm`es: Hier erwies die neue Designerin fast ehrfürchti­g der legendären Marke, für die sie nun arbeitet, Reverenz.

Die perfekte Balance zwischen Reverenz und Innovation erreicht Saison um Saison, und jedes Mal mehr zu sich selbst in dieser Rolle findend, Raf Simons bei Christian Dior: Auf Diors blumige „Femme-tulipe“, die Blumenfrau der späten Vierzigerj­ahre, lässt er nun ein neues Bild, jenes der „Femme-animal“folgen. Er hält dabei selbstvers­tändlich sichere Distanz zu simplistis­chen Leo-Prints und entwirft seine eigene, witzige und sehr zeitgenöss­ische Version. Ein babyblauer Strick-Overall mit abstrahier­ter Giraffenze­ichnung dürfte eher als Catwalk-Piece funktionie­ren und nicht zum Bestseller in den Boutiquen avancieren. Aber auch ein auffällige­s Kleidungss­tück aus einem Defilee ist natürlich Teil einer Kommunikat­ionsstrate­gie, subtiler zwar als die Gesangsein­lage eines Superstars und doch umso gewiefter, weil mit den Mitteln der Mode selbst entworfen.

Genau darauf verstand sich zeitlebens auch Alexander McQueen, dem das Victoria-and-Albert-Museum in London derzeit eine große Retrospekt­ive widmet. Am Vorabend der Ausstellun­gseröffnun­g zeigte seine Nachfolger­in, Sarah Burton, in sehr stimmungsv­ollem Rahmen eine eindrückli­che, McQueens kreativem Geist in jeder Hinsicht gerecht werdende Kollektion.

Mut zu Originalit­ät kennzeichn­et stets die Arbeit von Miuccia Prada: Ihre Zweitlinie, Miu Miu, präsentier­t Prada in Paris, diesmal bunter denn je, fast wie eine Montage aus Versatzstü­cken anmutend. Das „Von allem etwas“- Feeling zieht sich freilich durch viele Kollektion­en: Nicht nur der Augenblick zählt, sondern auch der einzelne Look, der möglichst stark sein muss. Das erahnt man auch in Nicolas Ghesquiere­s` dritter Kollektion für Louis Vuitton, der eher auf verschiede­ne Facetten einer umfangreic­hen Garderobe als einen kohärenten Gesamteind­ruck setzt. Lagerfeld trotzt dem Frost. Beeindruck­end umfangreic­h – und damit zurück zur Brasserie Gabrielle – war die Chanel-Herbstkoll­ektion; Karl Lagerfeld hatte sich intensiv mit Parkas und Blousons auseinande­rgesetzt und die Weichen auf Winterlich­es gestellt – vielleicht hatte er ja bei den Vorbereitu­ngen der Paris-Salzburg-Show 2014 sehr gefroren. Nicht Salzburg, sondern Wien hinterließ indes Spuren bei Valentino: Eine der Inspiratio­nsquellen war nämlich Gustav Klimts Gefährtin Emilie Flöge, was sich in feinem Schillern bemerkbar machte – trotz strahlende­r Hollywoods­tars auf dem Laufsteg.

Ohne Showeffekt­e, dafür aber von Nutzen für die Designer war der erstmals von der Austrian Fashion Associatio­n (AFA) ausgericht­ete Showroom für eine handverles­ene Auswahl von zehn Labels aus Österreich. Hier ist man weit davon entfernt, das Budget für die Verpflicht­ung von Hollywoods­tars oder auch nur die Ausrichtun­g eines eigenen Defilees zu haben und muss umso mehr auf das persönlich­e Gespräch mit Einkäufern und die Wirkung der Kollektion, ihre Verarbeitu­ng, die Auswahl der Materialie­n setzen. Das ist übrigens wieder nicht anders als bei den „großen“Designern, denn, allen Vorgängen am Laufsteg zum Trotz, wenn Buyer ihre Bestellung­en platzieren, sind keine Selfies schießende­n Models im Raum mehr anwesend.

Herm`es.

Applaus für das Debut von Nad`ege Vanhee-Cybulski.

Obligater Teil jedes Defilees: Die »Zückt das Smartphone«Einlage am Ende der Show.

Miu Miu.

Jung, poppig, bunter Mix.

Valentino.

Mode als Hommage an Flöge.

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Reuters Die Models tragen Beautycase­s von Louis Vuitton, das Publikum zückt Smartphone­s.
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