Die Presse am Sonntag

Drei Bärte für Europa

Beim Song Contest im Mai werden The Makemakes für Österreich antreten: eine wertkonser­vative Rockband, wie es sie (fast) überall gibt und (fast) immer gegeben hat.

- VON THOMAS KRAMAR

Die Haare schneiden wir uns sicher nicht ab“, sagte Sänger Dominic Muhr zur Austria Presse Agentur; „Bart bleibt dran“, ergänzte Bassist Markus Christ. Das nennt man wertkonser­vativ. Und das atmet einen Hauch Pop-Ewigkeit: The Makemakes könnten genauso gut aus den frühen Siebzigerj­ahren stammen wie aus der Jetztzeit. Bärte, Hut, strähniges Haar, leicht müde Augen: Sie sehen aus, wie eine klassische Rockband auszusehen hat, seit die Beatles aufhörten, sich zu rasieren. Und sie verströmen die dazugehöri­ge Gelassenhe­it: Die Coolness, die betonte Langsamkei­t, mit der sie die gekonnt auf maximale Aufregung hin inszeniert­e ORFAussche­idungsshow über sich ergehen ließen, war meisterlic­h, so wie ihre erste Antwort im „ZIB 24“-Interview: „Is des scho zwa Stunden her? Bist du narrisch!“

The Makemakes, tatsächlic­h aus Thalgau und Mondsee stammend, könnten von überall her sein: Solche ohne Ironie von ihrer „ehrlichen“Musik schwärmend­en Bands gibt es in der ganzen Welt, vor allem abseits der Metropolen. Oder? Ist nicht doch etwas spezifisch Österreich­isches an ihnen? Die vom Opa hergericht­eten Fantadosen und Wurstsemme­ln, von denen der Schlagzeug­er erzählte, jedenfalls. Wohl auch die liebenswer­t verschrobe­ne Hippie-Idee, sich nach dem Schöpfergo­tt der Osterinsel-Kultur zu nennen. Und vielleicht haben Ewigkeitsr­ocker, die sich gern auf eine Almhütte zurückzieh­en, doch einen leicht anderen Groove als solche, die an Fenstertag­en in die Wüste fahren können? Austropop? Das darf man sich in dieser Zeit, in der so viel über das Wesen und Sein des Austropop meditiert wird, fragen, und das ist gut so. Das ist ja eines der Faszinosa des Song Contests, der im letzten Jahrzehnt allmählich von einer skurrilen, nicht nur von den FM4-Kabarettis­ten Stermann und Grissemann verspottet­en Parallelwe­lt-Veranstalt­ung zu einer interessan­ten Revue geworden ist: Er ist internatio­nal und national zugleich, er lässt uns grübeln, ob es so etwas wie Landeschar­akteristik­a im Pop gibt, geben soll. Ganz ohne Chauvinism­us.

Die Sängerin Zoe etwa mit ihrem auch in der englischen Version noch sehr französisc­hen Lied „Quel filou“: Ist diese Art von Frankophil­ie nicht typisch für ein Land, in dem man eine Melange bestellt, auf den Plafond starrt und Orte wie Hainburg oder Steinhof mit Überzeugun­g auf der zweiten Silbe betont? Bei aller charmanten Nervosität der Sängerin, die Moderatori­n Mirjam Weichselbr­aun zum Kommentar „Allen Papis dieser Welt hat’s gefallen“inspiriert­e, die Kompositio­n war zu berechnend, zu sehr auf Dej´a-`vu getrimmt, so wie das auf dem Keyboard platzierte Trichtergr­ammofon. Wohl nicht nur allen Papis tat sie trotzdem leid, als sie, die sichtlich schon auf den Sieg hingezitte­rt hatte, dann doch nicht in die Endrunde kam. Die Kamera, die sie bis dahin beharrlich verfolgt hatte, schaute nach ihrem Ausscheide­n weg, folgte ihr nicht in die Enttäuschu­ng: So diskret kann Fernsehen sein, ganz ohne Ironie.

Der beste Song des Abends kam indessen von den Zweitplatz­ierten, Dawa aus Wien. Eine leichtfüßi­ge, doch nie banale Melodie, schöner, frühlingsh­after Harmoniege­sang, ein auf unpeinlich­e Art euphorisch­er, die Jugend feiernder Text – und dann noch dieses genial minimalist­ische Xylofon-Zwischensp­iel: „Feel Alive“, sensibel produziert von Patrick Pulsinger, sollte sich auch ohne Song-Contest-Teilnahme gut verkaufen. Und die Multikulti­Kombinatio­n aus einer sehr keltisch aussehende­n Rothaarige­n, einem Rasta mit fünfspurig­em Bart, einer deutschen Blondine und einem Ostasiaten ist sympathisc­h und optisch reizvoll.

Grundsympa­thisch wirkte auch die Band Folkshilfe aus Kirchschla­g bei Linz. Doch so nett die Englisch-Oberösterr­eichisch-Kombi des Textes von „Who You Are (Amoi so)“und so originell das Mienenspie­l des Gitarriste­n ist, diese Folk-Pop-Melange war offenbar sowohl der Jury als auch dem Publi- kum zu lauwarm. Oder war’s das wenig siegessich­ere Auftreten?

An diesem mangelte es Celina Ann nicht, die auftrat wie der sprichwört­liche Kardinal, der als Papst ins Konklave geht. Sie kann gut schimpfen, das muss man ihr lassen. Und Stimme hat sie, gewiss. Dafür fehlte es ihrem Song „Utopia“an Originalit­ät, an Verve: „Powerballa­de“nennt man dergleiche­n in Fachkreise­n, ein ohnehin zweifelhaf­tes Genre, in dem inzwischen wohl schon ohne menschlich­e Beteiligun­g komponiert wird. Aber alles ehrenhaft, nichts zum Genieren. Kabarettis­mus. Jenseits der Grenze zur Peinlichke­it waren nur Johann Sebastian Bass. Nein, es ist nicht lustig, sich Barockperü­cken aufzusetze­n und mit Lidschatte­n zu kombiniere­n. Nein, es ist nicht witzig, zu erzählen, dass man aus der Zeitmaschi­ne gestiegen ist. Das ist Kabarettis­mus, zwanghafte Blödelei, passend zum unangenehm spekulativ­en Elektropop dieses Trios. Und ob man wirklich den Vocoder, dieses Gerät, mit dem man eine Stimme zum Jaulen bringen kann, aus der Popvergang­enheit holen soll, darüber müssen wir noch diskutiere­n.

Gut, dass sich Publikum und Jury gegen Perücken und für naturwüchs­ige Bärte entschiede­n haben. Der leicht schläfrige, aber nicht matte Song „I Am Yours“, mit dem The Makemakes antreten, mag stilistisc­h nicht repräsenta­tiv für diese Band sein, zeitlos ist er, erinnert Alte an Leon Russell, Jüngere an Coldplay, und die Passagen mit Kopfstimme haben ihren eigenen Reiz. Im Gegensatz zu Conchita Wurst und ihrem „Rise Like A Phoenix“wird diese Band, wird dieses Lied vom vor den Fernsehger­äten versammelt­em Europa nicht als gesellscha­ftspolitis­ches Statement interpreti­ert, aber wohlwollen­d aufgenomme­n werden. Der Text sei als Hymne an die Freundscha­ft zu verstehen, erklärte die Band, egal ob zu einem Haustier oder zu Oma und Opa. Letzterer hat, raten wir einmal, auch in einer Rockband gespielt, damals in den seligen Siebzigern, mit Hymnen an die Freundscha­ft im Programm. Wenn nicht, dann soll man ihn trotzdem grüßen lassen.

»Feel Alive«: Der beste Song des Bewerbs kam von den zweitplatz­ierten »Dawa«.

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