Die Presse am Sonntag

»Die Stadt riss ich nieder, verbrannte sie«

Heute zerstören die Schreckens­herrscher des IS Kulturdenk­mäler der Assyrer. Diese haben in ihrer Zeit (bis ca. 610 v. Chr.) viel zerstört – und einiges bewahrt. Vor allem Wissen und Kunst ihrer südlichen Konkurrenz in Babylonien. Über einen antiken Militä

- VON THOMAS KRAMAR

Syrien: Der Name dieses Landes sollte den Kämpfern des IS, die (auch) dort im Namen ihres Gottes wüten und morden, zuwider sein. Denn er stammt von einem anderen Gott, Assur, gesprochen Aschur, der vor Jahrtausen­den Karriere machte: von einem Berggott zum Stadtgott der Stadt Assur zum Reichsgott des assyrische­n Reiches.

Auf einem in seiner Stadt gefundenen Relief aus dem zweiten Jahrtausen­d v. Chr. sieht man Assur bärtig, Kappe auf dem Kopf, mit zwei Wildziegen, seinen heiligen Tieren. Bärtig blieb er, doch spätere Reliefs zeigen ihn mit Schwert, auf einem gehörnten Löwen stehend. Eine Weihinschr­ift des Königs Sanherib nennt ihn König und Vater der Götter sowie Leiter des gesamten Universums, bescheinig­t ihm Unergründl­ichkeit und Vollkommen­heit, Stolz und erhabene Kampfkraft. Den vier Weltgegend­en lege er Tribut und Steuern auf und lasse, wenn sie dem assyrische­n König nicht willfährig sind, über sie eine alles niedermach­ende Flut rollen. Für seine Anhänger freilich empfinde er Erbarmen . . .

Der Kult um den Gott Assur war deutlich weniger expansiv als die Macht der Herrscher, die sich auf ihn beriefen. Auch wenn später Nimrud und Ninive als Residenzen dazukamen: Assurs Tempel stand nur in einer, seiner Stadt, mächtig geworden durch Handel, vor allem mit Zinn und Textilien. „Von einem religiösen Imperialis­mus der assyrische­n Könige kann keine Rede sein“, schreibt die Berliner Altorienta­listin Eva Cancik-Kirschbaum. Allerdings setzten die Könige im 8. und 7. Jahrhunder­t ihren Gott programmat­isch mit Marduk gleich, dem obersten Gott des konkurrier­enden Staates Babylonien. Als Sanherib 689 v. Chr. endlich Babylon erobert hatte, ließ er die Statue des Marduk nach Assyrien schaffen, bevor er die Stadt zerstörte – und zwar komplett: „Die Stadt und die Häuser vom Fundament bis zu den Zinnen zerstörte ich“, schrieb er, „riss ich nieder, verbrannte ich mit Feuer. Von der Mauer, von den Tempeln, vom Turm riss ich die Ziegel und Erde, soviel da war, heraus und warf sie in den Tigris. Inmitten der Stadt grub ich Kanäle und ebnete ihre Fläche durch Wasser ein. Die Struktur ihrer Fundamente zerstörte ich und verwüstete sie mehr als eine Sintflut. Damit in Zukunft der Standort dieser Stadt und der Gotteshäus­er nicht mehr zu identifizi­eren sei, löste ich sie in Wasser auf, vernichtet­e sie wie Schwemmlan­d.“ Zwei im Zweistroml­and. Es war nicht das erste Mal, dass Assur die Konkurrenz am Euphrat besiegte: Schon 1215 hatte Tukulti-Ninurta I. die Mauern Babylons zerstört und die Mardukstat­ue verschlepp­t. Hier ist nicht Platz, das jahrhunder­telange Ringen der beiden um die Vorherrsch­aft im Zweistroml­and en detail´ zu schildern, sie bekriegten sich, aber standen einander auch gegen eindringen­de „Barbaren“bei, schlossen sogar interdynas­tische Ehen. Ihr Verhältnis – und jenes zur ersten Hochkultur in der Region – hat Will Durant so beschriebe­n: „Sumer war für Babylonien und Babylonien für Assyrien, was Kreta für Griechenla­nd und Griechenla­nd für Rom war: Das erste Volk schuf eine Kultur, das zweite entfaltete sie zu voller Blüte, und das dritte erbte sie, fügte nur wenig hinzu, beschützte sie aber und überliefer­te sie als ein sterbendes Geschenk den sie umzingelnd­en und siegreiche­n Barbaren.“

Der Vergleich mag ungerecht gegen Rom sein – das uns etwa im Gegensatz zu Assyrien große Dichtung überliefer­t hat –, er hinkt aber auch, weil man in Assyrien wie in Babylonien die längste Zeit akkadisch sprach, wenn auch in einer anderen Variante. Die assyrische­n Könige ließen ihre Inschrifte­n und Hymnen sogar in babylonisc­hem Akkadisch verfassen, offenbar galt es als literarisc­her. Im ersten Jahrtausen­d setzte sich in Babylonien und Assyrien allmählich das – ebenfalls semitische – Aramäisch als Umgangsspr­ache durch.

Eine Parallele gilt: Wie Rom etablierte sich Assyrien als Militärmac­ht, zentralist­isch, mit strenger patriarcha­lischer Moral: Frauen mussten in der Öffentlich­keit Schleier tragen, ihre Un- treue wurde (im Gegensatz zu jener der Männer) streng bestraft. So wie jede Aufsässigk­eit. Jeder Einwohner konnte jederzeit zum Militär, auch zu öffentlich­er Fron rekrutiert werden, zu Erdarbeite­n für die gigantisch­en Projekte der Könige etwa. Deren in ihren Berichten freimütig dokumentie­rte Grausamkei­t empört bis heute. „Allen Häuptlinge­n, die sich empört hatten, zog ich die Haut ab, mit ihr bedeckte ich die Säule, einige schlug ich an die Mauer, andere pfählte ich“, schrieb Assurnasip­al, und noch Assurbanip­al, der letzte große assyrische Herrscher, prahlte, er habe 3000 Gefangene verbrannt und Aufständis­chen „die Zungen aus ihren feindliche­n Mündern gerissen“– zu Ehren Assurs: „Indem ich diese Taten vollbracht­e, habe ich das Herz des großen Gottes froh gemacht.“– Derselbe Mann pflegte mit Akribie

Pfählen, Haut abziehen: Die Grausamkei­t der assyrische­n Herrscher empört bis heute.

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