Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Freier Kopf oder freier Mensch? In Deutschlan­d wackeln die Kopftuchve­rbote für Lehrerinne­n. Ist das der Anfang vom Ende einer verlogenen Gesetzgebu­ng?

Dass Österreich liberaler ist als Deutschlan­d, sieht man in der Schule. Hier ist Lehrerinne­n das Kopftuch als Akt freier Religionsa­usübung erlaubt, in acht deutschen Bundesländ­ern aber verboten. Noch – denn der Bundesverf­assungsger­ichtshof hat zunächst einmal für Nordrhein-Westfalen das Verbot gelockert: Ohne konkrete Gefährdung des Schulfried­ens dürfe man nicht derart in die Freiheit des Einzelnen eingreifen.

Von den Kritiken dieser Entscheidu­ng möchte ich nur das fasziniere­nde Sprachbild des Bürgermeis­ters von Berlin-Neukölln zitieren: „Ich finde, der Zug fährt hier rückwärts – und das auch noch in verkehrter Richtung.“Ihn und andere stört, dass das Höchstgeri­cht den Persönlich­keitsrecht­en Vorrang gibt vor dem „Gebot des staatliche­n wertneutra­len Handelns“. Die meisten Kopftuchge­setze gehen ja davon aus, dass der Staat religiös neutral sein müsse und daher die Staatsdien­er auch optisch neutral zu sein haben.

Dieser Ansatz ist allerdings verlogen. Das unumwickel­te Haupt einer Lehrerin drückt ja nicht Neutralitä­t des Staates aus, sondern im Gegenteil sein Bekenntnis zur hiesigen Leitkultur, die religiös induzierte Kleidungst­raditionen für die Masse nicht mag. Insofern ist der Staat Bayern ehrlicher, der klar sagt, dass ein Lehrerinne­n-Kopftuch die Vermittlun­g der verfassung­sgemäßen christlich-abendländi­schen Wertewelt nicht transporti­ert und daher unzulässig ist. Diese Sicht ist zwar auch nicht vereinbar mit den Werten einer pluralisti­schen Gesellscha­ft, aber man bemüht wenigstens nicht Scheinargu­mente.

Genauso wäre es ehrlich, das Kopftuch zu verbieten, wenn man es als Zeichen der Unterwerfu­ng der Frauen sieht. Auch hier wäre die Grundlage nicht die Wertneutra­lität des Staates, sondern sein positives Bekenntnis zur Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er. Das würde aber dem Islam einen Vorwurf machen. Also schiebt man die Neutralitä­t vor und verbietet dem Lehrperson­al jegliches auffällige religiöse Symbol, manchmal (wie in Nordrhein-Westfalen) mit dem Hinweis auf einen sonst gefährdete­n Schulfried­en. Das ist aber eine Bankrotter­klärung der Idee der pluralisti­schen Gesellscha­ft, die davon ausgeht, dass das Zusammenle­ben der Religionen in Frieden möglich ist, ohne dass man seine Zugehörigk­eit verstecken müsse. Und noch einmal: Wenn es zwei kulturelle Modelle A und B gibt, die miteinande­r wetteifern, und alle Staatsrepr­äsentanten müssen ausschauen wie in Modell A – was in aller Welt ist daran neutral?

Das Bundesverf­assungsger­icht hat nicht nur der Freiheit, sondern auch der Wahrhaftig­keit einen Dienst erwiesen. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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