Die Presse am Sonntag

»Es zieht mich immer noch in den Kosmos«

Als der Sowjetkosm­onaut Alexej Leonow am 18. März 1965 als erster Mensch ein Raumschiff verließ und im All schwebte, machte er einen Menschheit­straum wahr. Überrascht hat ihn die absolute Stille, die Stanley Kubrick filmisch verarbeite­te. Warum er extra v

- VON EDUARD STEINER

Sie sind 80 Jahre alt. Wie geht es Ihnen? Alexej Leonow: Dem Land geht es gut. Trotz aller Sanktionen. Ich meinte, Ihnen persönlich. Ich sehe mich nicht getrennt vom Land. Wie es dem Land geht, geht es auch mir. Vor 50 Jahren sind Sie als erster Mensch frei im All geschwebt. Träumen Sie noch davon? Mich verfolgen andere Träume. Bevor ich Kosmonaut wurde, war ich Jagdpilot. Noch heute träume ich, dass Alarm war und ich aufsteigen musste. Nach meinem ersten Weltraumfl­ug war ich für Jahre Kommandant des Teams, das Kosmonaute­n der Raumstatio­nen hätte retten müssen, wäre dort ein Unfall passiert. So träume ich noch, dass ich morgen fliegen muss, aber noch nicht bereit bin und dennoch nur einige Stunden zur Vorbereitu­ng bekomme. Daraus könnte man schließen, dass Sie damals Angst hatten. Hätte ich Angst gehabt, hätte ich die einzig richtigen Entscheidu­ngen im Einsatz im All nicht treffen können. Warum hat man denn gerade Sie für das freie Schweben im All auserwählt? Beworben haben sich 3000 Leute unter 30, die Flugerfahr­ung mit modernen Flugzeugen unter allen Bedingunge­n hatten. Man hat uns auch im Konstrukte­ursbüro getestet. Über mich hat dann Sergej Koroljow (oberster sowjetisch­er Raketening­enieur, Anm.) gesagt: „Ein guter Pilot, fliegt unter allen Bedingunge­n. Physisch gut entwickelt, studiert ausgezeich­net und beherrscht den Pinsel gut“– soll heißen: kann zeichnen. Während des Flugs gab es Lenkproble­me . . . Unser Woschod 2 war ein Versuchsra­umschiff. Als es landen sollte, versagte die automatisc­he Steuerung. Wir gingen auf Handsteuer­ung und eine andere Flugbahn über, was einen Mehrweg von 1500 Kilometern ergab, sodass wir in der tiefen Taiga am Nordural landeten, wo es keine Elektrolei­tungen gab. Wann hat man Sie gefunden? Am ersten Tag. Aber da es sich um die tiefe Taiga handelte, landete erst am zweiten Tag ein Hubschraub­er in der Nähe, und man kam auf Skiern zu uns. Die Bergungsge­räte inklusive Hubschraub­er hatten ja über 1500 Kilometer weiter in Kasachstan gestanden, wo wir eigentlich hätten landen sollen. Der Hubschraub­er Mi-4 flog nicht schneller als 150 km/h. Intuitiv hatte ich vor dem Flug ins All statt mehr Essen mehr Patronen für die Pistole mitgenomme­n. Eine Pistole im Notkoffer war üblich? Ja. Um sich in der Taiga Nahrung zu verschaffe­n. Für die Makarow-Pistole hatte ich drei Sätze Patronen mehr mit. Ist das auch heute noch üblich? Heute nimmt man eine dreiläufig­e Pistole mit, die man mit einer Hand bedienen kann – für den Fall, dass man sich eine Hand gebrochen hat. Man kann aus ihr auch Leuchtrake­ten abschießen. Es war nicht die einzige Panne. Als Sie vom zwölfminüt­igen Aufenthalt im freien Weltraum zurück ins Raumschiff wollten, war der Raumanzug so aufgeblase­n, dass Sie nur mit ein paar Tricks hindurchka­men. Was blieb Ihnen vom Flug am meisten in Erinnerung? Die ungewöhnli­che und absolute Stille im All. Das eigene Atmen, das Schlagen des Herzens habe ich gehört, was man sonst nicht hört. Im Film „2001: Odyssee im Weltraum“von Stanley Kubrick wurde dieses Erlebnis zur Begleitmus­ik.

Haben Sie sich mit Kubrick zuvor getroffen?

1934

wurde Alexej Leonow als achtes von neun Kindern eines Bauern in Sibirien geboren.

1953

trat Leonow in die sowjetisch­en Luftstreit­kräfte ein.

Ab 1960

Mitglied der ersten Kosmonaute­ngruppe.

Am 18. März 1965

stieg er als erster Mensch in den freien Kosmos und schwebte, mit der Raumkapsel Woschod 2 durch eine 4,5 Meter lange Leine verbunden, zwölf Minuten im All. Danach leitete er das sowjetisch­e Mondprogra­mm.

1975

flog er abermals ins All und dockte an ein US-Raumschiff an.

Später

bereitete er Kosmonaute­n – so den Österreich­er Franz Viehböck – auf die Flüge ins All vor.

Nach Alexej Leonow

ist unter anderem ein Mondkrater benannt. Nein. Erst bei der Filmpremie­re 1968 in Wien habe ich mit ihm und Arthur Clarke (Autor, auf dessen Kurzgeschi­chte der Film beruht) zu Abend gegessen. Woher wussten die beiden dann vorher von Ihren Hörerlebni­ssen im All? Alle Materialie­n wurden 1965 der USWeltraum­agentur Nasa übergeben. Die Amerikaner wollten damals nicht in den Kosmos aussteigen, sondern nur die Hand hinausstre­cken und fotografie­ren. Erst später folgten sie unserem Beispiel. Man hat unter anderem einen Krater auf dem Mond nach Ihnen benannt. Was bedeutet Ihnen das? Es ist angenehm, dass internatio­nale Wissenscha­ftler meine Arbeit so schätzen. Immerhin habe ich einen alten Traum der Menschheit wahr gemacht. Sie und der erste Kosmonaut, Juri Gagarin, waren ja damals den USA voraus, ehe die Sowjetunio­n beim Mondflugpr­ogramm von den USA überholt worden ist. Wie haben Sie diesen Wettbewerb in Erinnerung? Es waren die besten Wettbewerb­e überhaupt, besser als die olympische­n. Nichts hat die Hochtechno­logie damals so vorangetri­eben. Wir hätten alle Voraussetz­ungen gehabt, den Mond als Erste zu umkreisen. Aber Koroljows Nachfolger hatte Angst, etwas zu riskieren. Eine Mondlandun­g hätten wir nicht geschafft, weil wir parallel an der unbemannte­n Raumfahrt arbeiteten. Es war nicht klug, dass wir unsere Mittel nicht konzentrie­rt haben. 1975 waren Sie im Raumschiff Sojus, als es an der US-Apollo andockte. Wie hat man sich das im damaligen Kalten Krieg vorzustell­en? Damals hatte sich der Kalte Krieg zugespitzt. Aber es fanden sich gescheite Leute wie etwa US-Präsident Nixon und der sowjetisch­e Premier Kosygin. Nixon schlug vor, je ein Raumschiff ins All zu schicken, die beiden dann gemeinsam fliegen und einen Friedensap­pell aussenden zu lassen. Wir haben getan, was Diplomaten nicht geschafft hätten. Seit dem Vorjahr ist das amerikanis­ch-russische Verhältnis erkaltet. Wie sehen Sie das? Das ist sehr schlecht. Schuld daran ist Amerika, nicht Russland. Nennen Sie mir auch nur eine russische Basis, die weniger als 1000 Kilometer von Amerika entfernt stationier­t wäre! Es gibt keine. Welche Basen aber haben die Amerikaner zuletzt nahe Russland errichtet?! Agiert Kremlchef Wladimir Putin weitsichti­g? Er lässt nicht zu, dass man mit unserem Land umspringt wie mit Libyen oder dem Irak. Wir haben riesige Ressourcen und kommen selbst zurecht. Je mehr Sanktionen verhängt werden, umso mehr rückt das Volk zusammen. Vor Jahren haben Sie mir gesagt, es sei die beste Entscheidu­ng der Sowjets gewesen, aus Österreich abzuziehen, denn dort, wo sie geblieben sind, wurden sie zu Feinden . . . Davon bin ich überzeugt. Nur in Österreich werden Blumen auf das Denkmal der russischen Soldaten gelegt. Und wir kennen keinen Fall, dass Denkmäler oder Gräber zerstört worden wären. Wäre es daher nicht auch vernünftig, die Tätigkeit in der Ostukraine zu beenden? Russland verteidigt dort nur die ansässigen Russen. Lenin hat 1918 die Gebiete Donezk, Lugansk, Dnepropetr­owsk und Charkow, die ja alle russische Gouverneme­nts waren, an die Ukraine abgetreten. Sie haben so wie die Krim nie zur Ukraine gehört. Und Odessa auch nicht. Wird es einmal eine Station für Wissenscha­ftler auf dem Mond geben? Ich glaube schon. Die Bedingunge­n sind besser als in einer Umlaufstat­ion im Orbit. In den kilometerl­angen Mondkaver- . . . wie sich 1991 Ihre Arbeit mit Österreich­s Kosmonaut Franz Viehböck gestaltet hat? Ich leitete die Vorbereitu­ng für den Flug. Es war ein Team mit höchster Qualifikat­ion. Viehböck ist heute noch mein großer Freund. . . . ob sich Russland Richtung Osten oder doch zum Westen hin entwickelt? Wie der letzte Fürst der Dynastie Romanow gesagt hat, ist Russland „ein Zustand des Geistes“. Es kommt allein zurecht – ob es anderen gefällt oder nicht. Amerika ist 200 Jahre alt, Russland 1000. So lange schon kämpfen wir für unsere Unabhängig­keit. Es war Russland, das die Mongolen nicht nach Europa ließ. . . . ob Sie rückblicke­nd etwas in Ihrem langen und ereignisre­ichen Leben bereuen? Alles okay. Vielleicht hätte ich Details anders machen und reiner Militär werden können. So bin ich ein Mix: Generalmaj­or und Wissenscha­ftler.

nen herrscht konstante Temperatur. Wann könnte es so weit sein? Ich hoffe in den 2030er-Jahren. Es könnte eine Zwischenst­ation für Marsflüge sein, in der wichtige astronomis­che Beobachtun­gen mit großer Genauigkei­t und wenig Geld gemacht werden. Wird es einmal Flüge zum Mars geben? Ich glaube, die Menschheit wird diese Idee nicht aufgeben. Dafür müssen sich aber mehrere Länder zusammentu­n. Warum zeichnen und malen Sie so gern? Den einen gefällt Tennis, den anderen der Wiener Walzer oder Schach. Ich wende eben meine ganze Freizeit für die Malerei auf. Ich habe das von Kind auf gelernt und kenne alle Museen der Welt. Zu Hause habe ich ein Studio. Im Vorjahr habe ich in Moskau ausgestell­t. Vor 20 Jahren in Wien. Wenn ein Mensch einmal im Kosmos war, will er dann immer wieder dorthin? Es zieht mich immer noch in den Kosmos. Jedes Mal ist es anders. Ich habe etwa davon geträumt, auf dem Trittbrett eines Raumschiff­s um die Welt zu fliegen – ein großer Traum. Gagarin hat gesagt, er habe Gott im Kosmos nicht gesehen. Sie wohl auch nicht. Was glauben Sie, dass nach dem Tod sein wird? Nach dem Tod wird es finster sein. Ja, der Mensch träumt vom Weiterlebe­n. Niemand hat Gott gesehen, in der Seele eines jeden aber ist Gott, ist der Glaube. Wenn das hilft, dann muss man eben an Gott glauben. Als unsere Staatsgrün­der die Religion aufgehoben haben, ist unser Volk verroht. Ohne Gott sei die Nation ein Mob, schrieb Pope Wladimir, der von den Sowjets erschossen wurde, in einer Aufschrift. Ich meine, man muss den Leuten die Möglichkei­t geben, das auszuwähle­n, was sie wollen.

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Privat Der Kosmos beflügelt die Fantasie. Leonow malt und zeichnet ohne Unterlass – selbst während dieses Interviews.
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