Die Presse am Sonntag

Die großen Fragen der Welt

Wie verkraftet der Planet das Bevölkerun­gswachstum und den Klimawande­l? Wie versorgt sich die Menschheit mit Wasser und Energie? Und wie können wir die Welt gerechter machen? Acht globale Herausford­erungen.

- VON SUSANNA BASTAROLI, MATTHIAS AUER, WIELAND SCHNEIDER, JÜRGEN STREIHAMME­R, NIKOLAUS JILCH CHRISTIAN ULTSCH

Die Welt wächst zusammen, vernetzt sich immer stärker. Doch gleichzeit­ig driftet sie auseinande­r. In den Zonen, die abgeschnit­ten sind von wirtschaft­lichem und sozialem Fortschrit­t, bilden sich gefährlich­e Hohlräume, in denen sich Extremiste­n breitmache­n. Gleichzeit­ig stellen aufstreben­de Mächte wie China oder auch absteigend­e wie Russland die internatio­nale Ordnung immer offener infrage. Dabei wäre gemeinsame­s Handeln nötig, um die Zukunftsfr­agen des Planeten zu lösen. Ein Überblick über die größten Herausford­erungen, die auf die Welt zukommen. Ein Blick in die Kristallku­gel der Demografen auf das Jahr 2050 zeigt eine Welt, die wenig mit dem Ort gemeinsam hat, an dem wir heute leben. Es ist eng dort: 9,6 Milliarden Menschen drängen sich auf dem Planeten, etwa zweieinhal­b Milliarden mehr als heute.

Wir Europäer sind alt geworden, zum Teil sehr alt: Fast jeder Dritte ist mindestens 60, zwanzig Prozent sogar über 80 Jahre alt. Einige dieser Männer und Frauen sind wegen leerer Pensionska­ssen von Armut bedroht. Wer fit ist, wird deshalb oft noch arbeiten müssen. Doch wer pflegt die Maroden – und wer bezahl dafür? Junge Europäer sind rar geworden: Die Großeltern­generation hat zu wenige Enkel, sie hat ja selbst kaum Kinder geboren.

Die Jugendlich­en des Jahres 2050 leben ganz woanders: in Afrika, in Lateinamer­ika, in Teilen Asiens (in China und Japan zeichnet sich ein ähnliches Szenario ab wie in Europa). In den ärmeren Gegenden der Welt ist die Bevölkerun­g auch wegen der sinkenden Kinderster­blichkeit rasant gewachsen: Der UN-Weltbevölk­erungsberi­cht geht von insgesamt zwei Milliarden Menschen aus, die zwischen zehn und 24 Jahre alt sind. Fast 90 Prozent davon leben in der „Dritten Welt“. Und diese Entwicklun­g ist explosiv: Wie wird sich diese enorme Masse an Jugendlich­en ernähren – angesichts steigender Lebensmitt­elpreise und knapper werdender Ressourcen? Der erbitterte Kampf um die überlebens­sichernden Ernährungs­grundlagen droht sich in Revolution­en und Kriegen zu entladen. Experten prognostiz­ieren Massenfluc­htwellen: von verarmten ländlichen Gebieten in die überfüllte­n Megastädte der Entwicklun­gsländer, deren Infrastruk­tur mit dem Bevölkerun­gswachstum nicht Schritt halten kann. Oder die Menschen ziehen weiter, in das reiche Europa. Eigentlich ist es eine gute Nachricht: Heute leben 700 Millionen Menschen weniger in extremer Armut als noch vor 25 Jahren. Oder um es in die Worte der Weltbank zu fassen: Nur noch halb so viele Personen müssen mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen als 1990. Doch die Statistik schönt das Gesamtbild. Denn getragen wird dieser Erfolg vor allem vom Wirtschaft­swunderlan­d China. 1990 noch hatten 60 Prozent der Bürger der Volksrepub­lik kaum genug zum Leben. Heute sind „nur“zehn Prozent von extremer Armut bedroht (immerhin noch 162 Millionen Menschen). Die Armutsbekä­mpfung ist eine direkte Folge der wirtschaft­lichen Öffnung im einst bitterarme­n Agrarstaat. China hat bewiesen: Gezielte Wirtschaft­spolitik kann soziales Elend bekämpfen.

Indes lebt jeder zweite Afrikaner in extremer Armut, das sind 414 Millionen Menschen, die nur knapp dem Hungertod entgehen. Es ist ein Teufelskre­is des Elends, den Krieg, Korruption und unfähige Regime noch zusätzlich befeuern: Die Analphabet­ismus-Rate ist hoch, in keinem anderen Kontinent sind Seuchen so verbreitet. Und wer ungebildet – und krank – ist, findet keine Beschäftig­ung.

Unsichtbar bleibt in der UN-Armutsstat­istik eine andere gefährlich­e Entwicklun­g: die Kluft zwischen Arm und Reich. Laut Oxfam besitzen derzeit allein die 80 reichsten Personen der Erde so viel wie die ärmste Hälfte der Weltbevölk­erung – und das sind immerhin 3,5 Milliarden Menschen. Es ist ein gigantisch­es Vorhaben, das die türkische Regierung geplant hat. Eine Reihe mächtiger Staudämme im Osten Anatoliens soll die Stromverso­rgung des Landes sichern. Doch ein Herzstück des Projektes, der Ilısu-Staudamm, ist massiv umstritten – nicht nur, weil für seine Errichtung tausende Menschen umgesiedel­t werden und die alte Stadt Hasankeyf geflutet werden muss. Schon vor Jahren beschwerte sich Iraks Regierung über die Pläne. Denn Bagdad fürchtet negative Auswirkung­en auf die Wasservers­orgung des eigenen Landes, wenn die Türkei im Norden den Tigris aufstaut. Dazu kommen strategisc­he Ängste: Die Türkei könnte im Fall eines Konfliktes dem südlichen Nachbarn die Wasserzufu­hr sperren.

Wasser als Waffe ist seit Langem Teil strategisc­her Planspiele. Denn Wasser ist ein lebenswich­tiges Gut, das in den kommenden Jahren noch kostbarer wird. Im Weltwasser­bericht 2015, der erst vor einigen Tagen veröffentl­icht worden ist, warnt die UNO vor Wasserknap­pheit. Demnach wird der Wasserbeda­rf bis 2050 um 55 Prozent steigen – wegen zunehmende­r Industrial­isierung, intensiver­er Landwirtsc­haft, dem Bau neuer thermische­r Kraftwerke und wachsenden privaten Verbrauchs. Schon heute haben 748 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasse­r, heißt es in dem Bericht. „Der Planet war noch nie so durstig.“ Peak-Oil ist vorerst abgesagt, Erdöl so billig wie lang nicht. Und auch der Strom kommt – trotz Energiewen­de – noch verlässlic­h (und recht günstig) aus der Steckdose. Gelöst hat die Welt ihre Probleme mit der Energiever­sorgung damit aber noch lang nicht. Die Stromnetze sind dank des Booms der Erneuerbar­en fragil wie selten zuvor. Der Schieferöl-Hype der USA, der heute die Preise drückt, wird in fünf Jahren vorüber sein. Und fernab der westlichen Welt wartet eine Milliarde Menschen überhaupt noch auf einen Stromansch­luss.

Seit 1990 hat sich der Energiebed­arf der Menschheit auf 12,7 Milliarden Tonnen Öl-Äquivalent­e beinahe verdoppelt. Bis 2040 wird diese Zahl dank der wachsenden Volkswirts­chaf-

Billionen Dollar

und mehr haben die Notenbanke­n der Welt seit dem großen Finanzcras­h von 2008 gedruckt, um die Wirtschaft weiter am Laufen zu halten.

Milliarden Menschen

leben derzeit in etwa auf der Welt; 1980, zu Beginn des Digitalzei­talters, waren es noch 4,4 Milliarden.

Milliarden Menschen

besitzen zurzeit laut Studie von Oxfam etwa gleich viel Vermögen wie die reichsten 80 Menschen dieses Planeten.

ten in Südostasie­n noch einmal um ein gutes Drittel steigen. Um diese Nachfrage zu stillen, wird die Menschheit wohl jede Energieque­lle anzapfen müssen, die sie findet, schätzt die Internatio­nale Energieage­ntur (IEA). 80 Prozent der verbraucht­en Energie stammen heute aus fossilen Quellen. Ohne sie wird es auch in Zukunft nicht gehen.

Doch Kohle und Öl werden 2040 ein Plateau erreichen, schätzt die IEA. Um das auszugleic­hen, müssen sowohl Erneuerbar­e als auch die Atomenergi­e kräftig wachsen. Europa muss bis dahin entweder die Netze stark ausbauen oder hoffen, dass ein wirklich guter Stromspeic­her den Weg zur dezentrale­n Versorgung mit Ökoenergie ebnet. Oder die Welt vertraut doch auf den US-Rüstungsko­nzern Lockheed Martin. Er will das Rätsel der Kernfusion gelöst haben. In zehn Jahren soll ein serienreif­es Kraftwerk auf den Markt kommen, das die globalen Energiesor­gen mit einem Schlag beenden könnte. Das Problem: Lockheed ist nicht das erste Unternehme­n, das so ein Verspreche­n gibt. Gehalten hat es bisher niemand. Das Jahr 2014 war weltweit das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnu­ngen 1880. Die Temperatur lag mit 14,6 Grad Celsius etwa 0,8 Grad über dem langjährig­en Schnitt des 20. Jahrhunder­ts. Klimaforsc­her machen dafür unter anderem die Treibhausg­ase von Autos, Kraftwerke­n und Fabriken verantwort­lich. 19-mal haben die Politiker dieser Welt bisher den Anlauf unternomme­n, sich auf einen Weltklimav­ertrag zu ei-

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