Die Presse am Sonntag

Demagogie und Demokratie

Von Jörg Haider bis Alexis Tsipras – der Populismus hat einen schlechten Ruf. Und wird daher auch zur Diskrediti­erung des Gegners verwendet. Allerdings: Ohne Volksnähe kann ein Politiker auf Dauer kaum bestehen. Eine heikle Gratwander­ung.

- VON OLIVER PINK

Es wird kein Zufall sein, dass der Begriff Populismus aus dem Lateinisch­en kommt. Demagogie, die griechisch­e Entsprechu­ng, klingt in heutigen Ohren schon zu hart. Wiewohl diese ursprüngli­ch positiv konnotiert war. Ein Demagoge war ein begnadeter Redner und Anführer des Volkes. In der Römischen Republik gab es für solche Menschen sogar ein eigenes Amt: den Volkstribu­nen. Heute ebenfalls negativ besetzt. Von Franz Josef Strauß bis Jörg Haider, von Michael Häupl bis Hugo Chavez – all diesen wurde das Attribut bereits umgehängt.

In der Römischen Republik war der Volkstribu­n der gewählte Repräsenta­nt der Plebejer, der diese gegenüber dem Senat, in dem der Adel das Sagen hatte, vertrat. Der Volkstribu­n war unantastba­r („sakrosankt“) – auch körperlich. Wer dem Volkstribu­nen etwas antat, konnte zum Tode verurteilt werden. Der Volkstribu­n hatte ein Vetorecht und konnte in der „Volksversa­mmlung“auch Gesetze verabschie­den lassen, die der Senat respektier­en musste.

Zu den bekanntest­en Volkstribu­nen zählen die Gebrüder Gracchus. An ihnen lässt sich die Gratwander­ung zwischen Volksnähe und dem, was wir heute unter Populismus verstehen, ganz gut verdeutlic­hen. Ursprüngli­ch nur ein Amt für Plebejer, bot die Funktion des Volkstribu­nen später auch Patriziern eine Karrieremö­glichkeit. Einer, der sie nützte, war Tiberius Gracchus. Ein großer Redner und Anwalt des kleinen Mannes. Sein Ziel war eine Landreform, die der verarmten breiten Masse Grund und Boden sichern sollte – auf Kosten der Eliten, die im Senat saßen. Tiberius Gracchus suchte die Konfrontat­ion mit diesen, erweiterte dabei auch seine Befugnisse. So ließ er sich nach der einjährige­n Amtszeit – ohne Cooling-off-Phase – erneut zum Volkstribu­nen wählen. Was eigentlich verboten war. Die Senatoren fürchteten, dass sich der Volkstribu­n zum König erheben könnte. Und erschlugen ihn. Koste es, was es wolle. Die populäre, von Gracchus durchgeset­zte Agrarrefor­m rührten sie hingegen aus Angst vor dem Volk nicht an. Einige Jahre später versuchte dann Tiberius Gracchus’ Bruder Gaius, dessen Werk zu vollenden. Der Senat schlug eine neue Taktik ein: Er stellte Gaius Gracchus einen weiteren Volkstribu­nen zur Seite, der jeden seiner Vorschläge noch einmal überbot. Koste es, was es wolle. Populismus pur also. Doch auch Gaius Gracchus verlor schließlic­h den Kampf mit dem Senat. Sein Sklave tötete ihn in aussichtsl­oser Lage.

Dieser (vermeintli­che) Antagonism­us hat sich auch in der Republik der Jetztzeit nicht wesentlich verändert: Da der Parlamenta­rismus, von einer sich selbst reproduzie­renden parteipoli­tischen Elite repräsenti­ert, die sich in den immer gleichen Ritualen ergeht. Dort der freche, redegewand­te Populist, der Anführer des „echten“Volkes, das sich von den Volksvertr­etern im Parlament nicht mehr vertreten fühlt. Einfach Jörg. Jörg Haider war diese Rolle auf den Leib geschneide­rt. An ihm lässt sich das Wesen des Populisten besonders gut studieren. Er hat das Volk verführt, im besten Sinne politisier­t, im schlechtes­ten jedoch ohne Rücksicht auf Verluste ausgenützt – im wahrsten Sinne des Wortes, wie sich später herausstel­len sollte. In Österreich ist Jörg Haider hauptveran­twortlich dafür, dass der Begriff Populist ein- deutig negativ besetzt ist. Bruno Kreisky, der persönlich gar nicht so gern Menschen, vor allem nicht zu viele, um sich hatte, wurde dessen Volksnähe noch positiv ausgelegt.

Neben dem Rechtspopu­lismus ist mittlerwei­le aber auch der Linkspopul­ismus ein gängiger Begriff. In Bezug auf die neue griechisch­e Syriza-Regierung wird davon auch ausreichen­d Gebrauch gemacht. Und zwar nicht ganz zu Unrecht. Denn ein Merkmal des Populismus ist es, dem Volk allerlei Verspreche­n zu machen, die man dann nicht halten kann.

Bisweilen wird der Populismus-Begriff – eben weil er so einen schlechten Ruf hat – auch als Waffe im politische­n Konflikt eingesetzt, um einen Gegner zu diskrediti­eren. Der „Falter“schrieb jüngst: „Mit dem aufkommend­en Neoliberal­ismus wurde das Volk den Regierende­n lästig. Das Gesetz der Märkte wurde zum Primat, der Wähler zum Störfaktor. Wer Partei für die Demokratie ergriff, wurde als Populist und Demokratie­feind diffamiert.“ Linke Diffamieru­ng. Allerdings, so sei hinzugefüg­t, ist auch die Linke nicht zimperlich, jemanden zum Populisten zu stempeln, der nicht ins eigene Schema passt. Oder wie es auf Wikipedia so treffend heißt: „Oft wird auch jede politische Forderung polemisch als Populismus bezeichnet, die dem echten oder vermuteten Mehrheitsw­illen der Bevölkerun­g entspricht, aber im Widerspruc­h zu eigenen Zielsetzun­gen steht, besonders wenn diese unpopulär sind.“

Ist es also Populismus, wenn, wie etwa in der Schweiz, die Bürger ständig in Volksabsti­mmungen über die Fragen der Zeit befinden? Man kann es natürlich Populismus nennen, aber es muss deswegen nicht schlecht sein. Man könnte es auch Demokratie nen- nen. Eine andere Form der Demokratie zwar wie wir sie kennen – also nicht nur eine repräsenta­tive. Aber doch eine Form der demokratis­chen Willensbek­undung. Wahrschein­lich sogar die stärkere.

Diesem Spannungsv­erhältnis entkommt kein Politiker: Er muss volksnah sein, ohne allzu populistis­ch zu sein. Zumindest, wenn er Wahlen gewinnen und seinen guten Ruf bewahren will. Dieser Spagat wird kaum einem ohne größere Verrenkung­en gelingen. Denn auch, wenn ein Politiker – nehmen wir als Beispiel Wolfgang Schüssel – Reformen gegen den Willen großer Gruppen durchsetzt und somit quasi unpopulist­isch agiert, wird er „dem Volk“dennoch die Vorzüge schmerzhaf­ter, aber notwendige­r Reformen erklären müssen. Dem Kanzler Schüssel ist das eine Zeit lang sogar ge-

Ist es Populismus, wenn die Schweizer in Referenden über die Fragen der Zeit befinden? Populismus wird gern mit Opportunis­mus gleichgese­tzt. Stimmt oft, aber nicht immer.

lungen, letztlich ist er aber auch daran gescheiter­t. Die britische Premiermin­isterin Margret Thatcher war bei den wirtschaft­spolitisch­en Reformen noch kompromiss­loser, allerdings agierte sie dann zur Kompensati­on auf anderen Feldern – Stichwort Falkland-Krieg – wiederum überaus populistis­ch. Opportunis­mus. Ohne die Massen zu gewinnen, wird ein Politiker auf Dauer nicht überleben. Daher muss er in gewissem Maße auch Populist sein. Wobei Populismus gern mit Opportunis­mus gleichgese­tzt wird. Das stimmt oft, aber eben nicht immer. Man muss dem Volk nicht nach dem Mund reden, dessen Vorurteile bedienen – und kann doch darum bemüht sein,

 ?? Reuters ?? Das waren noch richtige Volkstribu­ne: Gaius und Tiberius Gracchus. Es sollte kein gutes Ende für sie nehmen.
Reuters Das waren noch richtige Volkstribu­ne: Gaius und Tiberius Gracchus. Es sollte kein gutes Ende für sie nehmen.

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