Hektisch der Macht hinterher
Für Politik bleibt im stressigen Alltag eines Ministerkabinetts kaum Zeit. Wie Druck von allen Seiten fast zwangsläufig in die Oberflächlichkeit führt.
Als der Steuerreform-Pakt am 13. März gegen ein Uhr früh besiegelt war, gönnte sich Hans Jörg Schelling noch schnell ein Glas Sekt im Kanzleramt. Dann ging er schlafen. Im Finanzministerium aber wurde weitergearbeitet. Schellings Mitarbeiter mussten die letzten Vorgaben zu Papier bringen. Bis drei Uhr wurden Rechnungen angestellt und Unterlagen aufbereitet. Am Vormittag sollte die Vermarktung der Steuerreform beginnen.
So extrem sind die Arbeitstage in einem Ministerkabinett zwar nicht immer, aber 70-Stunden-Wochen gelten als durchaus üblich. Oder mehr. Ein freies Wochenende ist eher selten, und auch in der Freizeit muss man immer für den Chef erreichbar sein.
Benannt ist das Kabinett nach der Kammer, in der Herrscher einst ihre engsten Mitarbeiter empfangen haben. Das Bild passt auch heute noch. Das Kabinett, in Schellings Fall ein Team von zehn Personen, ist der Stab des Ministers, seine Strategie- und Organisationsabteilung, seine Rückendeckung, sein Bindeglied zu den Beamten und seine PR-Agentur. Es sollte auch eine Denkfabrik sein, in der Konzepte und Reformen entwickelt werden. Aber dafür bleibt in der Hektik des politmedialen Alltags kaum Zeit.
Der Job sei schwieriger geworden, sagt Daniel Kapp, einst Pressesprecher von Josef Pröll und heute PR-Berater. In den zehn Jahren, in denen er Teil des politischen Betriebs war, habe er „eine ungeheure Beschleunigung bei einer gleichzeitigen inhaltlichen Verflachung erlebt“. Man will also Politik machen, wird aber ständig abgelenkt. Medien, die Partei des Ministers, Interessensgruppen – alle wollen zufriedengestellt werden. Und das führt fast zwangsläufig in die Oberflächlichkeit.
Wobei der Druck nicht überall gleich ist. Die meisten Ministerien unterliegen einer Themenkonjunktur. Pandemien wie Ebola versetzen das Gesundheitsressort in hektische Betriebsamkeit. Ein überfülltes Asylzentrum fordert das Innenressort heraus. Aber es gibt auch ruhigere Phasen. Im Kanzler- und Vizekanzleramt oder im Finanzministerium ist das anders. Dort landen irgendwann alle Themen.
Allerdings hat sich auch die Politik ein Stück weit dem Zeitgeist angepasst. Der Schein ist heute oft wichtiger als der Inhalt. Parteien planen von Schlagzeile zu Schlagzeile und von Umfrage zu Umfrage, aber nicht mehr von Wahl zu Wahl. Vorschläge der anderen – ob zum Steuersystem oder zur Reform des Bundesheers – werden reflexartig abgelehnt. Niemand studiert zunächst die Details und nimmt erst danach Stellung. Das könne man sich nicht leisten, heißt es aus roten wie schwarzen Kabinetten. Landespolitiker verlangten eine unmittelbare Reaktion des Ministers. Und auch die Medien hätten kaum Verständnis.
Alexander Van der Bellen war einer der wenigen, die gezeigt haben, dass es auch anders geht. Der frühere Grünen-Chef nahm sich einfach die Zeit zum Nachdenken. Und profitierte vom Image des Uni-Professors mit Balu-der-Bär-Attitüde. In Deutschland leistet sich Angela Merkel den Luxus, erst dann eine Meinung zu vertreten, wenn sie sich eine gebildet hat. Der Erfolg gibt ihr recht. Daniel Kapp hat im Stab von Josef Pröll ähnliche Erfahrungen gemacht: „Wenn wir Zeit hatten, Substanzielles wie das Perspektivenpapier zu entwickeln, wurde das honoriert.“Bergab ging es in den Umfragen immer dann, „wenn wir uns im Kleinkrieg zwischen Koalition, Ländern und ÖVP-Bünden verloren haben.“ Frustrierte Beamte. Parteipolitischer Druck führt mitunter auch zu einer Entfremdung zwischen dem Ministerbüro und den Beamten. Die frühere Sozialministerin Ursula Haubner (BZÖ) wurde von einem Sektionschef gewarnt, dass die Hacklerregelung, die sie auf Wunsch Jörg Haiders einführen sollte, ihren Zweck nicht erfüllen werde. Weil sie nicht treffsicher sei. Haubner ignorierte die Einwände – die Folgen sind bekannt: Die Hacklerpension hat etliche Milliarden verschlungen, weil sie auch von Berufsgruppen, die nicht dafür gedacht waren, in Anspruch genommen wird.
Frustrierte Staatsdiener berichten heute von vergleichbaren Erlebnissen: von Ministersekretären, die Sektionschefs die Welt erklären (müssen). Von Kabinetten, die sich aus parteipolitischem Misstrauen von der Beamtenschaft abkoppeln. Und von Fachwissen, das deshalb brachliegt. Es dürfte kein Zufall sein, dass immer mehr Gesetze repariert werden müssen.
Christina Aumayr, 2005 für einige Monate Pressesprecherin von Ursula Haubner und heute PR-Beraterin, hat noch eine Erklärung für diesen Trend: Mit dem Regierungseintritt der FPÖ sei es zu einem Qualitätsverlust beim Personal gekommen, der sich später unter Rot-Schwarz fortgesetzt habe. In den Kabinetten gelte heute: „Loyalität vor Kompetenz.“Viele Mitarbeiter schlitterten mangels Berufserfahrung in der Privatwirtschaft in eine finanzielle Abhängigkeit von der Politik. 7000 Euro. Auch der Job des Ministersekretärs hat an Attraktivität verloren. Man verdient zwar zwischen 5000 und 7000 Euro brutto im Monat, aber der Stundenlohn ist gering. Es gibt keinen Kündigungsschutz, und das Privatleben ist stark beeinträchtigt. Er habe nach seinem Ausstieg „wieder leben lernen müssen“, gesteht Kapp. „Ich wusste nicht, was ich mit meinen freien Wochenenden anfangen sollte.“
Vorbei sind auch die Zeiten, in denen das Kabinett ein Sprungbrett war. Die wenigsten werden selbst Politiker wie der frühere Spindelegger-Mitarbeiter und heutige ÖVP-Generalsekretär, Gernot Blümel. Oder landen, wie der einstige Kostelka-Sekretär Christian Kern, eines Tages an der Spitze der ÖBB. Manche bleiben im Haus und werden Beamte. Für einige wurden sogar Jobs geschaffen. Aber mit dem Ansehen der Politik ist auch der Marktwert des Ministersekretärs gesunken.
Viele fühlen sich ungerecht behandelt. Nach zehn Jahren in dieser Funktion habe sie ein großes Portfolio anzubieten, die gesamte Palette bis hin zur Krisen-PR, erzählt eine MinisterPressesprecherin. „Wir werden leider unter Wert geschlagen.“Die Frage ist, warum man sich das antut: sich bis zur Selbstausbeutung in den Dienst einer
Ministersekretäre wollen Politik machen – sie werden aber ständig abgelenkt.