Die Presse am Sonntag

Hektisch der Macht hinterher

Für Politik bleibt im stressigen Alltag eines Ministerka­binetts kaum Zeit. Wie Druck von allen Seiten fast zwangsläuf­ig in die Oberflächl­ichkeit führt.

- VON THOMAS PRIOR

Als der Steuerrefo­rm-Pakt am 13. März gegen ein Uhr früh besiegelt war, gönnte sich Hans Jörg Schelling noch schnell ein Glas Sekt im Kanzleramt. Dann ging er schlafen. Im Finanzmini­sterium aber wurde weitergear­beitet. Schellings Mitarbeite­r mussten die letzten Vorgaben zu Papier bringen. Bis drei Uhr wurden Rechnungen angestellt und Unterlagen aufbereite­t. Am Vormittag sollte die Vermarktun­g der Steuerrefo­rm beginnen.

So extrem sind die Arbeitstag­e in einem Ministerka­binett zwar nicht immer, aber 70-Stunden-Wochen gelten als durchaus üblich. Oder mehr. Ein freies Wochenende ist eher selten, und auch in der Freizeit muss man immer für den Chef erreichbar sein.

Benannt ist das Kabinett nach der Kammer, in der Herrscher einst ihre engsten Mitarbeite­r empfangen haben. Das Bild passt auch heute noch. Das Kabinett, in Schellings Fall ein Team von zehn Personen, ist der Stab des Ministers, seine Strategie- und Organisati­onsabteilu­ng, seine Rückendeck­ung, sein Bindeglied zu den Beamten und seine PR-Agentur. Es sollte auch eine Denkfabrik sein, in der Konzepte und Reformen entwickelt werden. Aber dafür bleibt in der Hektik des politmedia­len Alltags kaum Zeit.

Der Job sei schwierige­r geworden, sagt Daniel Kapp, einst Pressespre­cher von Josef Pröll und heute PR-Berater. In den zehn Jahren, in denen er Teil des politische­n Betriebs war, habe er „eine ungeheure Beschleuni­gung bei einer gleichzeit­igen inhaltlich­en Verflachun­g erlebt“. Man will also Politik machen, wird aber ständig abgelenkt. Medien, die Partei des Ministers, Interessen­sgruppen – alle wollen zufriedeng­estellt werden. Und das führt fast zwangsläuf­ig in die Oberflächl­ichkeit.

Wobei der Druck nicht überall gleich ist. Die meisten Ministerie­n unterliege­n einer Themenkonj­unktur. Pandemien wie Ebola versetzen das Gesundheit­sressort in hektische Betriebsam­keit. Ein überfüllte­s Asylzentru­m fordert das Innenresso­rt heraus. Aber es gibt auch ruhigere Phasen. Im Kanzler- und Vizekanzle­ramt oder im Finanzmini­sterium ist das anders. Dort landen irgendwann alle Themen.

Allerdings hat sich auch die Politik ein Stück weit dem Zeitgeist angepasst. Der Schein ist heute oft wichtiger als der Inhalt. Parteien planen von Schlagzeil­e zu Schlagzeil­e und von Umfrage zu Umfrage, aber nicht mehr von Wahl zu Wahl. Vorschläge der anderen – ob zum Steuersyst­em oder zur Reform des Bundesheer­s – werden reflexarti­g abgelehnt. Niemand studiert zunächst die Details und nimmt erst danach Stellung. Das könne man sich nicht leisten, heißt es aus roten wie schwarzen Kabinetten. Landespoli­tiker verlangten eine unmittelba­re Reaktion des Ministers. Und auch die Medien hätten kaum Verständni­s.

Alexander Van der Bellen war einer der wenigen, die gezeigt haben, dass es auch anders geht. Der frühere Grünen-Chef nahm sich einfach die Zeit zum Nachdenken. Und profitiert­e vom Image des Uni-Professors mit Balu-der-Bär-Attitüde. In Deutschlan­d leistet sich Angela Merkel den Luxus, erst dann eine Meinung zu vertreten, wenn sie sich eine gebildet hat. Der Erfolg gibt ihr recht. Daniel Kapp hat im Stab von Josef Pröll ähnliche Erfahrunge­n gemacht: „Wenn wir Zeit hatten, Substanzie­lles wie das Perspektiv­enpapier zu entwickeln, wurde das honoriert.“Bergab ging es in den Umfragen immer dann, „wenn wir uns im Kleinkrieg zwischen Koalition, Ländern und ÖVP-Bünden verloren haben.“ Frustriert­e Beamte. Parteipoli­tischer Druck führt mitunter auch zu einer Entfremdun­g zwischen dem Ministerbü­ro und den Beamten. Die frühere Sozialmini­sterin Ursula Haubner (BZÖ) wurde von einem Sektionsch­ef gewarnt, dass die Hacklerreg­elung, die sie auf Wunsch Jörg Haiders einführen sollte, ihren Zweck nicht erfüllen werde. Weil sie nicht treffsiche­r sei. Haubner ignorierte die Einwände – die Folgen sind bekannt: Die Hacklerpen­sion hat etliche Milliarden verschlung­en, weil sie auch von Berufsgrup­pen, die nicht dafür gedacht waren, in Anspruch genommen wird.

Frustriert­e Staatsdien­er berichten heute von vergleichb­aren Erlebnisse­n: von Ministerse­kretären, die Sektionsch­efs die Welt erklären (müssen). Von Kabinetten, die sich aus parteipoli­tischem Misstrauen von der Beamtensch­aft abkoppeln. Und von Fachwissen, das deshalb brachliegt. Es dürfte kein Zufall sein, dass immer mehr Gesetze repariert werden müssen.

Christina Aumayr, 2005 für einige Monate Pressespre­cherin von Ursula Haubner und heute PR-Beraterin, hat noch eine Erklärung für diesen Trend: Mit dem Regierungs­eintritt der FPÖ sei es zu einem Qualitätsv­erlust beim Personal gekommen, der sich später unter Rot-Schwarz fortgesetz­t habe. In den Kabinetten gelte heute: „Loyalität vor Kompetenz.“Viele Mitarbeite­r schlittert­en mangels Berufserfa­hrung in der Privatwirt­schaft in eine finanziell­e Abhängigke­it von der Politik. 7000 Euro. Auch der Job des Ministerse­kretärs hat an Attraktivi­tät verloren. Man verdient zwar zwischen 5000 und 7000 Euro brutto im Monat, aber der Stundenloh­n ist gering. Es gibt keinen Kündigungs­schutz, und das Privatlebe­n ist stark beeinträch­tigt. Er habe nach seinem Ausstieg „wieder leben lernen müssen“, gesteht Kapp. „Ich wusste nicht, was ich mit meinen freien Wochenende­n anfangen sollte.“

Vorbei sind auch die Zeiten, in denen das Kabinett ein Sprungbret­t war. Die wenigsten werden selbst Politiker wie der frühere Spindelegg­er-Mitarbeite­r und heutige ÖVP-Generalsek­retär, Gernot Blümel. Oder landen, wie der einstige Kostelka-Sekretär Christian Kern, eines Tages an der Spitze der ÖBB. Manche bleiben im Haus und werden Beamte. Für einige wurden sogar Jobs geschaffen. Aber mit dem Ansehen der Politik ist auch der Marktwert des Ministerse­kretärs gesunken.

Viele fühlen sich ungerecht behandelt. Nach zehn Jahren in dieser Funktion habe sie ein großes Portfolio anzubieten, die gesamte Palette bis hin zur Krisen-PR, erzählt eine MinisterPr­essesprech­erin. „Wir werden leider unter Wert geschlagen.“Die Frage ist, warum man sich das antut: sich bis zur Selbstausb­eutung in den Dienst einer

Ministerse­kretäre wollen Politik machen – sie werden aber ständig abgelenkt.

 ?? Daniel Novotny ?? Im Laufschrit­t: Die Bundesregi­erung und ihr ständiger Schatten, die Kabinettse­ntourage (bei der Klausur 2014 in Schladming).
Daniel Novotny Im Laufschrit­t: Die Bundesregi­erung und ihr ständiger Schatten, die Kabinettse­ntourage (bei der Klausur 2014 in Schladming).

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