Die Presse am Sonntag

»Entziehen Kindern die Grundlage«

Josef Moser, Präsident des Rechnungsh­ofs, will prüfen, wie sich politische Entscheidu­ngen langfristi­g auswirken. Die Politik interessie­re nur eine kürzere Zeitspanne – nämlich die bis zur nächsten Wahl.

- VON RAINER NOWAK UND MARTIN FRITZL

Irmgard Griss meint, wir legten den Fokus oft auf das Falsche. Haben Sie manchmal den Eindruck, dass Ihre Beamten die falschen Dinge prüfen und sie besser etwas anderes prüfen sollten, was viel relevanter für die Politik wäre? Josef Moser: Wir haben die gesamte Strategie des Rechnungsh­ofs umgestellt. Früher haben wir in die Vergangenh­eit geschaut und Mängel aufgezeigt, und dann war es vorbei. Das reicht nicht aus. Mängel aufzuzeige­n hat nur einen Sinn, wenn ich Schlussfol­gerungen für die Zukunft ziehe. Wir haben in den vergangene­n Jahren alle Themen geprüft, bei denen die Nachhaltig­keit gefährdet ist, also beispielsw­eise Pflege, Bildung, Pensionen oder Krankenans­talten und dabei den Fokus in die Zukunft gerichtet. Das heißt, Sie prüfen genau das Richtige? Das, was für Österreich wichtig ist. Zusätzlich­en Prüfbedarf gäbe es in weiteren Bereichen, in denen öffentlich­es Geld eingesetzt wird. Beispielsw­eise, wenn Haftungen eingegange­n werden, oder bei Unternehme­n wie der Telekom, in denen Milliarden bewegt werden. Wenn man sagt, man braucht in diesen Bereichen eine Kernaktion­ärschaft, es besteht also ein öffentlich­es Interesse, dann wäre auch eine Kontrolle notwendig. Die ÖIAG wollen Sie nicht stärker prüfen? Wir haben auch in der Vergangenh­eit schon Privatisie­rungen der ÖIAG geprüft und massive Mängel gesehen. Auch die neue Struktur der ÖBIB werden wir uns ansehen. Sie sind Generalsek­retär des internatio­nalen Dachverban­ds der Rechnungsh­öfe. Welche Ratschläge geben Sie Ihren Kollegen? In den Jahren hat sich das Denken der Rechnungsh­of-Präsidente­n geändert, nach dem Motto, es reicht nicht aus, ein Rechnungsh­of zu sein. Rechnungsh­öfe haben die Aufgabe, Auskunft zu geben, wie es um die Ressourcen und um die finanziell­e Nachhaltig­keit steht. Gleichzeit­ig haben wir die Staatengem­einschaft überzeugt, also alle Mitgliedsl­änder der UNO, dass es notwendig ist, unabhängig­e Rechnungsh­öfe sicherzust­ellen. Das ist realistisc­h? Das ist realistisc­h. Staaten wie China und Russland haben sehr starke Rechnungsh­öfe. China beispielsw­eise hat das Problem, dass Korruption stattfinde­t, dass Reich und Arm sich immer weiter auseinande­rbewegen. Daher brauchen sie eine Institutio­n, die bei den Bürgern glaubwürdi­g ist und Vertrauen innerhalb der Gesellscha­ft schaffen kann. Da gibt es einen moralische­n Konflikt. Denn eigentlich helfen Sie dem chinesisch­en Regime. . . Mit unabhängig­en Institutio­nen schränken Regierende ihren Spielraum ein, ihr Handeln wird transparen­t. Daher kämpfe ich auch dafür, dass die Berichte publiziert werden müssen. Die Bürger müssen erfahren, was der Rechnungsh­of festgestel­lt hat. Die Kontrolle ist immer auch ein Förderer von demokratis­chen Elementen. Das geht ganz ohne Druck von außen? Es gibt eine Zusammenar­beit der INTOSAI (Anm.: Dachverban­d der Rechnungsh­öfe) mit der Gebergemei­nschaft, beispielsw­eise der Weltbank. Wir zeigen auf, dass es zweckmäßig ist, Geldmittel auch dafür zu verwenden, Institutio­nen aufzubauen, die die demokratis­che Entwicklun­g fördern, während gleichzeit­ig ein Rechnungsw­esen aufgebaut wird, das Transparen­z bietet. In Griechenla­nd hatte der Rechnungsh­of diese Möglichkei­t nicht. Haben Ihre griechisch­en Kollegen mehr Befugnisse bekommen?

jetzt Noch nicht ausreichen­d, aber das ist auch ein Punkt, den wir aufzeigen. Wir brauchen auch in Europa Kontrolle und Transparen­z. Das ist nicht nur ein Thema der Entwicklun­gsländer. Wir müssen Standards schaffen für die Unabhängig­keit, die notwendige Kapazität für Prüfungen, und wir benötigen ein Rechnungsw­esen, das wie in der Privatwirt­schaft transparen­t ist und bei dem ich nicht nur Einnahmen und Ausgaben sehe. Es muss zum Beispiel transparen­t sein, ob der wahre Wert erlöst wurde, wenn etwas verkauft wird. Aber das haben wir nicht einmal in Österreich. Das ist genau der Punkt. Wir brauchen also Entwicklun­gshilfe? Was das Rechnungsw­esen betrifft, ja, weil in einigen Bundesländ­ern aus den Rechnungsa­bschlüssen die wahre finanziell­e Lage nicht hervorgeht. Also: Wie viele Haftungen wurden vergeben, welcher Ressourcen­verbrauch hat stattgefun­den. Wir haben ja das Problem, dass wir unsere Kinder doppelt belasten. Zum einen hängen wir ihnen den Schuldenru­cksack um, zum anderen haben wir einen Investitio­nsrückstan­d. In Deutschlan­d ist das jetzt schon ein Riesenprob­lem. Sie meinen also, in Österreich steuern wir gerade darauf zu? Allein vom 1. Jänner bis 31. Dezember 2013 ist aufgrund des neuen Haushaltsr­echts auf Ebene des Bundes ersichtlic­h, dass ein Substanzve­rbrauch in Höhe von 6,4 Milliarden Euro stattgefun­den hat. Um das hat sich das Vermögen reduziert, was bedeutet, wir haben aktuell ein negatives Vermögen von 140 Milliarden Euro. Diesen Rucksack an Substanzve­rminderung geben wir den Kindern mit. So lebt unsere Generation. Wir reden immer davon, wie sehr wir unsere Kinder lieben, entziehen ihnen aber die Grundlage. Wir Ältere glauben, auch in der Pension sehr gut leben zu können. Aber die Frage wird sein, inwieweit die Jugend in ein paar Jahren bereit ist, den Generation­envertrag aufrechtzu­erhalten.

Das ändert sich doch gerade schon. Es ändert sich das Denken, aber die Handlungen fehlen. Aber die kommen sicher. Ist es eigentlich frustriere­nd zu sehen, dass Empfehlung­en des Rechnungsh­ofs nicht umgesetzt werden? Frustriere­nd ist, dass man immer nur von einer Legislatur­periode zur anderen lebt und nicht erkennt, dass sich nach der Legislatur­periode eine Lücke auftut, die nicht mehr geschlosse­n werden kann, oder nur dann, wenn damit ein gewisser sozialer Unfrieden verbunden ist. Wären Sie für eine Politikerh­aftung? Es geht darum, dass man die Verantwort­ung transparen­ter macht. Aber man muss gleichzeit­ig die Voraussetz­ung schaffen, dass die Folgen eines Nichthande­lns bewertbar werden. Wir haben immer noch kein Gesamtkonz­ept, wie die finanziell­e Nachhaltig­keit in Österreich gesichert werden soll. Das Problem ist, dass wir in einer Spirale fahren und immer näher an die Wand kommen. Und am Schluss war es wieder keiner. Das ist auch mit der Hypo Alpe Adria zu vergleiche­n: Man hat gewusst, wo die Mängel liegen, aber jeder hat zugeschaut, und die Handlungen sind nicht gesetzt worden. Wann haben Sie eigentlich was von der Hypo gewusst? 2004 hat der Rechnungsh­of – noch unter meinem Vorgänger – in einem Prüfberich­t festgehalt­en: Wenn man das Wachstum der Hypo beibehält, muss man auf die Risikotrag­fähigkeit achten und für eine adäquate Eigenmitte­lausstattu­ng sorgen. Ich nehme an, das haben Sie gelesen. Natürlich. Deshalb wollte ich 2005 die Hypo Alpe Adria prüfen. Diese hat das aber verweigert, weil der Anteil des Landes auf unter 50 Prozent abgesenkt wurde. Damit waren wir nicht mehr prüfzustän­dig. Aus diesem Grund haben wir argumentie­rt, dass es erforderli­ch wäre, dass der Rechnungsh­of auch bei Vorliegen von Haftungen prüfzustän­dig ist, wie das früher möglich war. Darauf haben wir im Tätigkeits­bericht

6. 10. 1955

Josef Moser wird in Lienz (Osttirol) geboren.

1992–2003

Der Jurist ist Klubdirekt­or der FPÖ im Parlament.

2003

Moser wird Vorstand des EisenbahnI­nfrastrukt­urunterneh­mens HL-AG, später Vorstand der ÖBB-Holding.

2004

Bestellung zum Rechnungsh­ofPräsiden­ten. Die Funktionsp­eriode läuft bis 2016. 2007 und in Interviews 2008 hingewiese­n. Auch der Kärntner Landesrech­nungshof hätte prüfen wollen, hat aber von der Hypo keine Unterlagen bekommen. Der Landtag hat das akzeptiert und auch den Wunsch des Landesrech­nungshofs abgelehnt, die Frage an den Verfassung­sgerichtsh­of heranzutra­gen. Sie sind Kärntner, Sie haben aus Ihrer politische­n Vergangenh­eit Kontakt zur FPÖ. Haben Sie nicht einmal angerufen und gesagt: „Seid ihr wahnsinnig, Buben?“Ich bin seit 1992 nicht mehr in Kärnten tätig, der Haftungsau­fbau hat erst ab 2000 begonnen. Aber das politische Naheverhäl­tnis hat länger gedauert. Darum geht es nicht. Als Rechnungsh­of-Präsident, also seit dem Jahr 2004, weise ich ständig darauf hin. Und im Rahmen der Prüfungen haben wir alles unternomme­n, was wir tun können. Die Steuerrefo­rm mit ihren Plänen, gegen Steuerbetr­ug vorzugehen, müsste Ihnen eigentlich gut gefallen. Die Bekämpfung von Steuerbetr­ug per se ist absolut notwendig. Gleichzeit­ig muss man eines aufzeigen: Es ist keine nachhaltig­e Entwicklun­g, wenn man z. B. im Zuge von Sparpakete­n einfach Posten nicht nachbesetz­t, ohne damit eine Aufgaben- und Deregulier­ungsreform zu verbinden. In der Finanzverw­altung ist es zu einer Ausdünnung der Bedienstet­en gekommen, und damit zu einem Rückgang der Kontrollqu­ote. Gleichzeit­ig hat die Regelungsd­ichte enorm zugenommen. Damit hat man bewusst in Kauf genommen, dass es zur Nichteinhe­bung von Steuern kommt. Die Verwaltung­sreform soll 1,1 Milliarden Euro an Einsparung­en bringen. Halten Sie das für ein ambitionie­rtes Ziel? Es ist genug Potenzial da, allein bei den Pensionen. Dort brächte eine Harmonisie­rung ein Einsparung­svolumen von 1,4 Milliarden Euro. Noch eine persönlich­e Frage: Wollen Sie Bundespräs­identschaf­tskandidat werden? Die Frage stellt sich mir nicht.

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