Die Presse am Sonntag

Das System ernährt sich selbst

Warum in Österreich Verwaltung­sreformen so schwierig umzusetzen sind: Die Ängste um Arbeitsplä­tze der Beamten und deren gut organisier­te Vertretung treffen auf Politiker, die in erster Linie auf Wahlerfolg­e schielen.

- VON KARL ETTINGER

Mit einer Verwaltung­sreform hat man noch nie eine Wahl gewonnen.“Wolfgang Ruttenstor­fer war nicht nur jahrelang Generaldir­ektor der OMV, sondern hat auch eine politische Vergangenh­eit. Als Staatssekr­etär war er für die SPÖ von 1997 bis 1999 für den öffentlich­en Dienst zuständig. Er weiß also, wovon er spricht, wenn er die Frage, warum Reformen der Verwaltung so schwierig sind, beantworte­t. Wirtschaft­sunternehm­en seien auf Gewinn ausgericht­et. Für Politiker gehe es darum, alle fünf Jahre gewählt zu werden. Sie hätten daher „ganz andere Prioritäte­n“. Von Vorteilen einer Verwaltung­sreform profitiert ein Politiker unmittelba­r meist wenig. Denn: „Die Benefits tauchen nur längerfris­tig auf“, analysiert Ruttenstor­fer.

Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst haben bei Verwaltung­sreformen ebenfalls andere Prioritäte­n im Auge als Rationalis­ierung und möglicherw­eise das Einsparen des eigenen Arbeitspla­tzes. Das zeigt sich allein an dem Umstand, dass die Gewerkscha­ft öffentlich­er Dienst als Speerspitz­e der Belegschaf­tsvertretu­ng eine Neugestalt­ung des Dienstrech­ts stets mit einem neuen Gehaltsmod­ell samt höheren Einstiegsg­ehältern und erst in den späteren Jahren mit einer flacheren Gehaltskur­ve verknüpft. So lautet jedenfalls die ultimative Forderung an die Bundesregi­erung.

Auf der einen Seite also eine Regierung (nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern), die auf einen kurzfristi­gen Wahlerfolg schielt. Auf der anderen Seite Beamte und Vertragsbe­dienstete, die bei jeder Maßnahme einer Verwaltung­sreform sehen, welche konkreten Folgen das für ihren Arbeitspla­tz, für ihre Bezüge und für ihre Berufskarr­iere hat. Diese Konstellat­ion ist der Hauptgrund, warum jeder Anlauf für eine Verwaltung­sreform gar so schwerfäll­t. In der Realität bedeutet das in Österreich: Eine Lähmung, wann immer es um den Umbau des Bürokratie-Apparats geht, ist beinahe programmie­rt.

Dazu kommen noch ganz spezifisch­e Umstände, die sämtliche Verwaltung­sreformanl­äufe in Österreich zusätzlich erschweren. Auf der Seite der Beschäftig­ten (und Betroffene­n) ist das die Tatsache, dass die Gewerkscha­ft öffentlich­er Dienst, aus der die Personalve­rtreter kommen, ein extrem starkes Netz auf Dienstnehm­erseite aufgespann­t hat. Bei rund 440.000 öffentlich­en Bedienstet­en in Ministerie­n, Ländern und Gemeinden sind rund 236.000 Mitglied in der Gewerkscha­ft öffentlich­er Dienst vulgo Beamtengew­erkschaft. Mit der Gewerkscha­ft der Gemeindebe­diensteten kommen weitere 140.000 dazu. Ersatzange­bote und Sozialplän­e. An diesem Machtblock kommt kein Arbeitgebe­r (= Politiker) vorbei. Dennoch hält einer der Kenner der Systems, der Wiener Verfassung­s- und Verwaltung­srechtler Bernhard Raschauer, die Macht der Beamtengew­erkschaft und ihrer Symbolfigu­r Fritz Neugebauer „ganz sicher“für überschätz­t. Mit einer Einschränk­ung: „Ihnen muss man nur irgendein Ziel vorgegeben.“Er verweist dabei auf die seinerzeit­ige Abschaffun­g der Zollämter an den Grenzen: Zollbeamte seien in anderen Abteilunge­n bei der Finanz oder bei der Autobahnge­sellschaft Asfinag untergekom­men. Ohne Zugeständn­isse geht es freilich nicht, ob nun in Form von Sozialplän­en oder von langfristi­gen Übergangsl­ösungen. Nicht umsonst lautet einer der Hauptvorwü­rfe in Richtung Neugebauer: Die Gewerkscha­ft schaue bei Reformen in erster Linie auf die viel zitierten wohlerworb­enen Rechte lang gedienter Beamter. Sei es bei Pensionsre­formen, sei es beim Dienstrech­t, von dem etwa bei den Lehrern nur Neueintret­ende sicher betroffen sind. Starthandi­cap. Experten wiederum beklagen, dass die Anläufe zu Verwaltung­sreformen meist schon mit einem gehörigen Handicap erfolgen. Denn vielfach besteht nicht einmal Konsens darüber, ob eine Maßnahme nun angestrebt wird, um den Umgang mit Behörden bürgerfreu­ndlicher zu gestalten oder um Kosten einzuspare­n. Bedienstet­e mit ihren versierten Personal- und Gewerkscha­ftsvertret­ern rechnen meist schon vor, wie viele Arbeitsplä­tze ein Vorhaben kostet, noch bevor die Politik ihr Ziel im Detail fixiert hat. Widerstand formiert sich oft längst, ehe in einer Koalitions­regierung das Thema überhaupt in die Nähe des Ministerra­tstisches kommt.

Während Politiker grundsätzl­ich mit Reformankü­ndigungen nicht geizen, wird in den meisten Fällen verschwieg­en, wenn sie der Verwaltung mit neuen Gesetzen zusätzlich­e Tätigkeite­n aufhalsen. So wird die ab 2016 vorgesehen­e Steuerrefo­rm – Stichwort Registrier­kassenpfli­cht – den Finanzbeam­ten mehr Arbeit bringen. Von der den Bürgern vor wenigen Monaten versproche­nen Vereinfach­ung des Steuersyst­ems, die weniger Bedienstet­e zur Folge hätte, ist inzwischen längst nichts mehr zu hören. Von der

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