DER STAAT SCHAUT WEG
pro Woche schickt N. ein Fahrzeug aus Rumänien nach Österreich, um die Pflegerinnen an ihren Bestimmungsort zu bringen. Da sie formal selbstständig sind, müssen sie sich auch bei der Behörde und der Versicherung der gewerblichen Wirtschaft anmelden. Wegen der meist schlechten Deutschkenntnisse erledigen das – wenn überhaupt – meist die Auftraggeber. Das Risiko tragen jedoch die Frauen. Bei Familie K. geschah die Anmeldung zum Teil gar nicht, manchmal verspätet oder mit zu geringen Beträgen. Typisch ist die Anmeldung nach der Mindestbeitragsgrundlage von 537,78 Euro im Monat. Der „Presse am Sonntag“liegen die Papiere der Versicherung vor. Dass Menschen für diese Summe 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche arbeiten sollen, scheint niemanden zu stören.
Tatsächlich erhalten die von N. vermittelten Pflegekräfte höhere Beträge. Nach Zeugenaussagen sind es – je nach verlangter Zusatzleistung – zwischen 1400 und 2000 Euro im Monat, bar auf die Hand. Mit dem beworbenen Billigstpreis hat das dann nichts mehr zu tun. Nur wer beschwert sich über jemanden, der sein Komplize ist und sein Gegenüber in der Hand hat?
Der Schaden, der dem Sozialsystem durch entgangene Abgaben entsteht, ist leicht zu berechnen. Auf Basis von 2000 Euro und zehn Monaten Arbeitszeit pro Jahr summieren sich die Beiträge für Pensionen, Krankenversicherung, Vorsorge und Unfallversicherung auf jährlich 5546,01 Euro. Bei einer Einstufung nach Mindestbeitragsgrundlage sind jedoch pro Jahr nur 1890,36 Euro fällig. Die Differenz (3655,65 Euro) bleibt als Schaden. Doch da ist noch mehr.
Die Versicherung der selbstständigen Hausbetreuerinnen nach der Mindestbeitragsgrundlage berechtigt Lenka und ihre Kolleginnen zum Bezug von Sozialleistungen. Auffällig an der Konstruktion ist, dass sie beim Finanzamt keine Kontonummer aus ihrem rumänischen Heimatbezirk Caras-¸Severin hinterlegt hat, sondern eine Bankverbindung bei der Raiffeisen im fast 500 Kilometer entfernten Bukarest. Nach Auskunft erfahrener Fahnder ein Indiz dafür, dass Lenka selbst wenig bis nichts von dem Geld bekommt, sondern nur die Hintermänner Kassa machen. Bei mehreren Pflegerinnen ergibt das jeden Monat eine beträchtliche Summe. Welche?
Für Lenkas zwei Kinder entstehen Ansprüche von jährlich knapp 4300 Euro. Der Zugang zu Mindestsiche- rung oder Arbeitslosengeld ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Dabei haben die Kontrollen der Behörden erhebliche Lücken. Eines Tages stand bei Alois K. nämlich eine Diplomkrankenpflegerin des Bundessozialamts vor der Tür. Zweck des Besuchs war eine Qualitätskontrolle von Lenkas Arbeit. Ergebnis: Die junge Frau erhielt Bestnoten für den Umgang mit ihrem Schutzbefohlenen. Das entsprechende Papier dazu liegt der „PamS“vor. Dumm nur, dass Lenka laut Versicherungsunterlagen an eben diesem Tag nicht angemeldet war und daher Schwarzarbeit verrichtete. Interessiert sich das Sozialministerium nicht dafür?
„Unsere Prüferinnen sind nicht dazu befugt, das zu überprüfen“, sagt ein Ressortsprecher. Und: „Datenschutz und Gesetz sehen nicht vor, dass wir entsprechende Informationen an die Finanz weitergeben.“ Fahnder ohne Lobby. Diese Herangehensweise ist symptomatisch für den Umgang mit dem Thema. In Wahrheit will nämlich niemand so genau wissen, welche Graubereiche sich unter der Oberfläche auftun. Die „PamS“sprach mit Steuerexperten, Pflegeanbietern und Spitzenbeamten. Im O-Ton wollte es niemand sagen, in vertraulichen Gesprächen kamen alle zum gleichen Schluss: Die politische Spitze nehme die Zustände augenzwinkernd in Kauf, weil die Konzepte dafür fehlen, die Betreuung von Hilfsbedürftigen leistbar zu halten. Über den Schaden, der durch Abgabenhinterziehung und Sozialbetrug entsteht, spricht man einfach nicht.
Raffgier kommt als Grund für Dumpingpreise und Schwarzarbeit wohl eher selten infrage. Meistens sind es die knappen finanziellen Ressourcen. Das Problem für die Behörden: „Wir haben keine Verbündeten, können nicht einfach in Bereiche eindringen, die geschützt sind“, sagt ein führender Ermittler. Dabei drängt Europol seine Mitgliedsländer seit Jahren dazu, sich das Kriminalitätsfeld der Arbeitsausbeutung genauer anzuschauen. Ein Wunsch, dem man hierzulande langsam nachkommen will.
Im Visier sollen dabei Vermittler wie N. stehen. Nicht nur bei der Kriminal-, sondern auch bei der Finanzpolizei. „In so einem Fall gehen wir davon
537,78 Euro.
Mit diesem Einkommen pro Monat werden 24-StundenPflegerinnen immer wieder bei der Versicherung der Gewerbetreibenden angemeldet. Dass die Betroffenen dafür 24 Stunden an sieben Tagen die Woche verfügbar sein müssen, findet niemand auffällig.
Keine Kontrolle.
Überprüft das Bundessozialamt die Qualität einer Betreuerin vor Ort, spielt es keine Rolle, ob die geprüfte Person auch angemeldet ist: Das Sozialministerium sieht keine rechtliche Grundlage dafür. aus, dass der Vermittler in Wahrheit Beschäftiger ist und die Pflegekräfte nach ASVG anmelden müsste“, sagt ein Fahnder. Lösungsvorschläge. Wirklich offen sprechen nur jene über das Problem, die den Preisdruck der unseriösen Agenturen unmittelbar spüren. Die Caritas der Erzdiözese Wien zum Beispiel vermittelt 24-Stunden-Pfleger nicht nur, sondern bildet sie auch aus (was sonst keine Voraussetzung ist), führt Kontrollbesuche durch und gibt den Auftraggebern Unterstützung, zum Beispiel bei der Anmeldung. Zudem schreibt sie Mindesthonorare (65 Euro pro Tag) vor. Generalsekretär Klaus Schwertner glaubt, dass verpflichtende Mindeststandards die
Der jährliche Schaden für die Versicherung beträgt 3655,65 Euro – pro Person. »Datenschutz und Gesetz sehen nicht vor, dass wir die Finanz informieren.«
gröbsten Probleme lösen könnten. Als solche nennt er Kostentransparenz für Sonderleistungen, faire Verträge für Betreuer und eine standardisierte Mindestausbildung mit Gütesiegel, das als Voraussetzung für den Bezug von Förderungen gelten könnte. * Namen und andere auf den Fall rückführbare Daten wurden zum Schutz der handelnden Personen von der Redaktion geändert.