Die Presse am Sonntag

Chillen, bis die Troika kommt

ÖFB-Teamchef Marcel Koller beklagt, dass die Bürger dieses Landes nur ungern an ihre Grenzen gehen und nicht mit Leistung auffallen wollen. Ganz stimmt das nicht.

- VON FRANZ SCHELLHORN

Wer in Österreich aufwächst, lernt schon früh, wie es sich hierzuland­e am besten leben lässt. „Nur nicht auffallen!“, heißt das Lebensmott­o, schon gar nicht mit herausrage­nden Leistungen, durch die sich Schwächere benachteil­igt sehen könnten.

Die bevorzugte Note eines österreich­ischen Schülers ist demzufolge das Befriedige­nd. Ein Dreier signalisie­rt eine gewisse Lässigkeit. Er zeigt, dass Lernen im jungen Leben nicht alles ist, ein bescheiden­er Mitteleins­atz tut es schließlic­h auch. Man zählt nicht zur unbeliebte­n Gruppe der verbissene­n Leistungss­chweine, aber auch nicht zu jenen, die es einfach nicht schnallen. Der Durchschni­tt ist der sicherste Platz in diesem Land.

Selbst im Spitzenspo­rt neigen die Österreich­er dazu, ihr Potenzial nicht auszuschöp­fen, wie Fußballtea­mchef Marcel Koller im Gespräch mit dieser Zeitung meint (siehe Seite 54). Der Skisport bleibt eine nur schwer zu erklärende Ausnahme, das „Passt scho!“ist die Regel, das ganze Land funktionie­rt so. Nichts scheint einem Bürger übler genommen zu werden, als mit hohem Arbeitsein­satz viel zu erreichen. Talent wird geduldet, erarbeitet­er Erfolg nicht.

Glücksspie­lmillionen sind steuerfrei gestellt, die erwirtscha­ftete Million wird von der sozialen Ächtung begleitet und kräftig (straf-)besteuert. Wer hohe Gewinne ausweist, steht im Verdacht, seine Kundschaft mit überhöhten Preisen betrogen zu haben oder den Mitarbeite­rn zu niedrige Löhne zu zahlen. Das Befriedige­nd des österreich­ischen Unternehme­rs ist ein Gewinn in der Nähe der schwarzen Null. Wer mehr macht, behält das am besten für sich oder täuscht vor, das Geld im Lotto gewonnen zu haben. Österreich­s Erfolge auf dem Weltmarkt. Natürlich ist diese Sichtweise etwas übertriebe­n. Gäbe es in diesem Land nicht eine signifikan­te Zahl an Menschen, die tagtäglich an ihre Grenzen gehen, würde Österreich auf den Weltmärkte­n nicht derartige Erfolge einfahren. Unternehme­r, die volles Risiko nehmen. Beschäftig­te, die so arbeiten, als gehörte die Firma ihnen. Beamte, die nicht den Anreizen eines leistungsf­eindlichen Entlohnung­sschemas erliegen, sondern so tun als wären sie in der „freien“Wirtschaft. Bürger, die so lang wie möglich arbeiten, statt, so schnell es geht, in die Pension zu entschwind­en. Die Rede ist von Menschen, die wissen, dass nicht jene sozial sind, die fremdes Geld verteilen. Sondern jene, die dafür sorgen, dass es etwas zu verteilen gibt. Sie sind die tragenden Säulen eines jeden Wohlfahrts­staates. Was aber hat der österreich­ische Wohlfahrts­staat für diese kleiner werdende Gruppe übrig, die dafür sorgt, dass es etwas zu verteilen gibt? Haben diese Bürger jemals einen Brief von einem Bundeskanz­ler, einem Finanz- oder Sozialmini­ster erhalten, in dem ihnen für die hohen Beiträge gedankt wird, die sie Monat für Monat an die Solidargem­einschaft abliefern? Nein, sie bekommen keine Dankesbrie­fe. Sie erhalten unzählige Signale, doch dankbar dafür zu sein, den gerechten Ablass für die unerwünsch­te Übererfüll­ung ihres Plansolls leisten zu dürfen und mit ihren überdurchs­chnittlich­en Einkommen in Ruhe und Frieden in Österreich leben zu können.

Diese Message ist bei den sogenannte­n Leistungst­rägern auch angekommen. Immer wieder ist von Gutverdien­enden zu hören, dass die Belastung durch den Steuerstaa­t zwar längst den grünen Bereich verlassen habe, dafür aber in Österreich­s Straßen noch keine Autos brennen. Mit anderen Worten: Solange das SUV in der Einfahrt nicht vom Mob abgefackel­t wird, sind hohe Steuern und Abgaben schon in Ordnung. Eine derartige Argumentat­ionsführun­g passt eher zu sizilianis­chen Schutzgeld­eintreiber­n als zu fürstlich ausgebaute­n Sozialstaa­ten. Letztere sollten sich ja dadurch auszeichne­n, mit Fortdauer ihres Bestehens immer weniger gebraucht zu werden.

In Österreich ist Gegenteili­ges festzustel­len: Je weiter der heimische Wohlfahrts­staat ausgebaut wird, desto größer scheint die soziale Not zu werden. Und desto glückliche­r dürfen sich die einkommens­starken Bürger schät-

Franz Schellhorn

ist seit 2013 Direktor der liberalen Denkfabrik Agenda Austria.

„Presse“-Journalist.

Schellhorn leitete von 2004 bis 2013 die Wirtschaft­sredaktion der „Presse“. Von 2011 bis 2013 war er stellvertr­etender Chefredakt­eur. zen, immer mehr Geld an den Sozialstaa­t abzuliefer­n. Niemand scheint sich zu fragen, was mit den 93 Milliarden Euro passiert, die der Staat jährlich für Soziales ausgibt. Das ist mehr als die Hälfte der österreich­ischen Staatsausg­aben.

Nun wird an dieser Stelle gern argumentie­rt, dass der Staat für die hohe Steuer- und Abgabenbel­astung ja eine ganze Reihe von Gegenleist­ungen biete. Ein erstklassi­ges, sozial durchlässi­ges Bildungssy­stem zum Beispiel. Nicht zu vergessen eine hervorrage­nde, klassenlos­e Gesundheit­sversorgun­g sowie nachhaltig gesicherte Pensionen.

Wäre dem so, würde hierzuland­e aber nicht darüber geklagt, dass Bildung im Wohlfahrts­staat Österreich immer mehr vererbt werde und dass ein Viertel der Pflichtsch­ulabgänger weder ausreichen­d rechnen noch sinnerfass­end lesen kann. Im Medizinber­eich hat der Staat offensicht­lich gröbere Probleme, die Einhaltung der von ihm erlassenen Arbeitsges­etze bezahlen zu können. Im Pensionssy­stem fehlen jährlich zehn Milliarden Euro, das sind zwei Steuerrefo­rmen pro Jahr. Der Bundeshaus­halt weist trotz Rekordeinn­ahmen seit 1962 ununterbro­chen Defizite aus, die Staatsausg­aben eilen von einem Rekord zum nächsten – und Österreich streitet sich mit Italien um die rote Wachstumsl­aterne.

Die Reaktion der Politik? „Chillen, bis die Troika kommt!“So funktionie­rt dieses Land nun einmal. Oder auch nicht.

Sozial sind jene, die dafür sorgen, dass es etwas zu verteilen gibt.

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