Die Presse am Sonntag

»Syriza könnte jahrelang dominieren«

Griechenla­nds Ex-Premier Giorgos Papandreou zieht Bilanz: EZB-Präsident Trichet wollte dem Land 2011 den Geldhahn zudrehen, Kanzlerin Merkel eine Volksabsti­mmung unterstütz­en. Der Tsipras-Regierung traut er eine lange Amtszeit zu.

- VON CHRISTIAN GONSA

Wie schätzen Sie die Verhandlun­gen der Regierung Tsipras mit den europäisch­en Partnern ein. Steht Griechenla­nd vor dem Zahlungsau­sfall? Giorgos Papandreou: Wir müssen alle dazu beitragen, dass die Verhandlun­gen der neuen Regierung zum Erfolg führen, auch wenn die linke Regierungs­partei Syriza Fehler gemacht hat – sowohl heute als auch in der Vergangenh­eit, als sie gegen alles war, was meine Regierung vorschlug. Tatsache ist auch, dass Syriza in den vergangene­n Wochen wertvolle Zeit verloren hat, vor allem aus kommunikat­iven Gründen. Wir brauchen einen nationalen Reformplan, eine Einigung auf grundlegen­de, große Reformvorh­aben. Sind auch die europäisch­en Partner zu einer Einigung bereit? Ich sehe die Bereitscha­ft zu einem Konsens, aber unsere Partner erwarten konkrete Vorschläge. Hatten die EU-Staaten zu Beginn der Krise den gleichen Willen zum Konsens? Damals 2009 standen wir vor einer Situation, die allen völlig neu war. Es gab keinen Mechanismu­s, so wie heute. Tatsächlic­h war Griechenla­nd das schwächste Glied in der Kette, doch es handelte sich im Grunde um ein strukturel­les Problem der Eurozone. Die EU konzentrie­rte sich auf Detailprob­leme. Die Märkte dagegen sahen nicht nur das griechisch­e Problem, sie sahen auch die Schwächen der Eurozone als Ganzes. Das machte unsere Anpassung um vieles schwerer. Erst zweieinhal­b Jahre nach Beginn der Krise sagte EZBPräside­nt Mario Draghi, dass er alles tun würde, um den Euro zu retten. Und danach beruhigten sich die Märkte. Hätte man das schon 2010 gesagt, hätte Griechenla­nd möglicherw­eise gar nicht unter einem Schutzschi­rm Zuflucht suchen müssen. Wie sehen Sie die Anpassungs­programme? Ein Problem war, dass man die innere Abwertung, also die Preisanpas­sung, als Lösungsans­atz sah. Sie sagten uns etwa, senkt die Preise, die Löhne, die Produktion­skosten, damit ihr wettbewerb­sfähig werdet. Aber das war nur zum Teil richtig. Die Produkte werden trotzdem nicht gekauft, obwohl sie billig sind. Das Design ist nicht gut, die Qualität, das Marketing. Daher muss man investiere­n, die Firmen umstruktur­ieren. Das hätten wir gebraucht. Dafür hätte man aber mehr Zeit benötigt, mehr Geld, vielleicht die Eurobonds. Man setzte auch zu sehr auf Austerität­smaßnahmen, im Gegensatz zu den USA oder Kanada etwa. Ist diese Politik auch als Strafe zu sehen? Obwohl wir eine neue Regierung waren und keine unmittelba­re Verantwort­ung für das Defizit des Jahres 2009 trugen, war ich mit Zorn konfrontie­rt, und mit einer Psychologi­e, die nach Strafe verlangte. Es ist kaum möglich, gleichzeit­ig große Reformen durchzufüh­ren, das Defizit zu tilgen und die sozialen Folgen zu verdauen. Auch die Kreditbedi­ngungen mussten nach einem Jahr geändert werden. Am Anfang zahlten wir „Strafzinse­n“. Die Marktzinse­n lagen deutlich unter den Zinsen, die wir zu zahlen hatten. Es herrschte das Gefühl vor, dass Griechenla­nd für seine Fehler zahlen muss. Griechenla­nd war aber offensicht­lich nicht unschuldig daran. Es gab Pensionen, die zu hoch waren, es gab Privilegie­n. Die wurden beschnitte­n, das lösten wir. Aber das ist nicht das Hauptprobl­em, das Hauptprobl­em ist die schlechte Funktion des Staatsappa­rates. Heute wird das verstanden, das ist heute das zentrale Thema. Nur ein Beispiel: Die lokale Selbstverw­altung ist in Griechenla­nd sehr schwach. Das ist ein Erbe von früheren autoritäre­n Regimen und auch des politische­n Klientelwe­sens. Wenn man seine Arbeit erledigen will, muss man zum nächsten lokalen Parteibüro gehen. Hätte Griechenla­nd 2010 seine Zahlungsun­fähigkeit erklären müssen? Wir diskutiert­en alle Möglichkei­ten. Einerseits hätte ein Zahlungsau­sfall höchstwahr­scheinlich das Ausscheide­n aus der Eurozone bedeutet. Aber wir hatten auch ein Defizit von 30 Milliarden Euro. Zahlungsau­sfall bedeutet, dass dir niemand Geld gibt. Wie hätten wir Pensionen und Löhne zahlen sollen? Wir hätten das Defizit von einem Tag auf den anderen auf null senken müssen. Die Folgen wären tragisch gewesen. Wir wählten eine sanftere Anpassung – obwohl auch diese Anpassung schmerzhaf­t und hart war. Eine Möglichkei­t wäre der Haircut der Banken gewesen? Das war für uns eine Lösung. Aber das wollten die Gläubiger nicht. Das lehnten alle Länder und die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) ab. Noch im Jahr 2011 schickte mir EZB-Präsident JeanClaude Trichet einen Brief, in dem er schrieb, dass er die Finanzieru­ng der griechisch­en Banken einstellen würde, falls wir weiter über einen Haircut diskutiert­en. Man lehnte das strikt ab. Ende 2011 gab es freilich den Schuldensc­hnitt, aber der Ansatz war dann der, dass die privaten Schulden von Banken und Fonds auf die Länder und die Steuerzahl­er übergehen. Sie kündigten Ende Oktober 2011 eine Volksabsti­mmung über das zweite Sparprogra­mm an. Die europäisch­en Partner waren überrascht und verärgert. Letztlich mussten Sie zurücktret­en. Es gab die verschiede­nsten Reaktionen. Auf jeden Fall stimmt nicht, dass sie nicht informiert waren. Sowohl die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, als auch EU-Kommission­spräsident Jose´ Manuel Barroso und andere. Nicht erst einen Tag vorher, sondern bereits im September 2011. Es gab negative Reaktionen aus dem Inland, aber auch von einigen Gläubigern, zum Beispiel vom französisc­hen Ministerpr­äsidenten, Nicolas Sarkozy, aus verschiede­nsten Gründen, unter anderem fürchtete er die Reaktion der Märkte. Angela Merkel unterstütz­te uns, in der Öffentlich­keit nahm sie zwar nicht positiv zur Volksabsti­mmung Stellung, aber bei den Gesprächen in Cannes stützte sie uns. Alle stimmten schließlic­h überein, dass eine Volksabsti­mmung stattfinde­n würde, aber ich hatte ein Problem innerhalb meiner Partei und konnte unter dem Druck der Ereignisse keine Allianz mit dem Chef der konservati­ven Opposition, Antonis Samaras, schließen. Fürchteten die Partner, dass das Abstimmung­sergebnis negativ sein würde? Letztlich muss man die Stimme des Volkes akzeptiere­n. Aber ich glaubte, dass das Ergebnis positiv sein würde. Das griechisch­e Volk war sehr gut über die Folgen eines Austritts aus der Eurozone informiert. Im Jahr 2012 stimmte es für Parteien, die den Euro behalten wollten, und auch jetzt, bei den Parlaments­wahlen im Jänner 2015, war das Leitbild der siegreiche­n Syriza der Verbleib in der Eurozone. Meinungsum­fragen zeigen ebenfalls, dass die Mehrheit den Euro will. War Angela Merkels Politik konsequent, oder favorisier­te sie die griechisch­en Konservati­ven? Das, was Frau Merkel – und allgemein Deutschlan­d – sehen will, ist der Erfolg Griechenla­nds, ich hatte nie den Eindruck, dass Deutschlan­d Griechenla­nds Misserfolg wollte. Eine andere Frage ist freilich, ob wir immer mit der Art, mit der gewählten Politik, übereinsti­mmen. Wir sollten nicht Frau Merkel kritisiere­n, sondern unsere großen Reformvorh­aben glaubwürdi­g vermitteln. Aber dazu braucht es eine Basisver-

 ?? Clemens Fabry ?? Der ehemalige sozialdemo­kratische Premier Giorgos Papandreou (Oktober 2009 bis November 2011).
Clemens Fabry Der ehemalige sozialdemo­kratische Premier Giorgos Papandreou (Oktober 2009 bis November 2011).

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