Die Presse am Sonntag

Der Heldenmyth­os vom Marshallpl­an

Braucht Europa einen neuen Marshallpl­an? Nicht, solange sich die Debatte ausschließ­lich aufs Geld konzentrie­rt. Bestes Beispiel? Griechenla­nd hat schon hunderte Milliarden erhalten – und steht dennoch am wirtschaft­lichen Abgrund.

- VON NIKOLAUS JILCH

Ein Gespenst geht diesmal nicht um in Europa. Aber ein Mythos. Der Mythos des Marshallpl­ans. Derzeit wird dieser praktisch wöchentlic­h beschworen. Meist im Zusammenha­ng mit Griechenla­nd. Und mit Geld. Denn Griechenla­nd braucht Geld. Das hat inzwischen wohl wirklich jeder in Europa mitbekomme­n. Bei diesem Thema sind sich oft sogar Deutsche und Griechen einig. Der deutsche Außenminis­ter, Frank Walter Steinmeier, hat den Marshallpl­an für Griechenla­nd genauso gefordert wie der griechisch­e Finanzmini­ster, Yanis Varoufakis.

Der ließ der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel sogar ausrichten, man könne es diesmal ja „MerkelPlan“nennen – und vielleicht sogar auf die ganze EU ausdehnen. Das könnte das geschichtl­iche Vermächtni­s der Angela Merkel sein, so Varoufakis. Immerhin wurde der Marshallpl­an ja auch nach seinem Erfinder, dem US-Außenminis­ter George C. Marshall, benannt. Wir brauchen Geld. In Sachen Marshallpl­an liegt die linke griechisch­e Regierung sogar mit dem deutschen Ökonomen und Eurokritik­er Hans Werner Sinn auf Linie. Es gibt nur ein Problem, eine Sache, bei der man sich nicht einig ist: Die Frage, was ein Marshallpl­an eigentlich ist.

Eine Debatte dazu ist auch gar nicht notwendig. Denn der Marshallpl­an dient heute nur noch als Symbol. Dieses sehr komplizier­te Stückwerk an Aufbauhilf­en Amerikas für die zerstörten Nationen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg wird heute auf einen simplen Heldenmyth­os reduziert Hauptrolle das Geld spielt.

Dabei bestand der Marshallpl­an keineswegs nur aus Geldgesche­nken. Österreich, das als einziges teilweise von der Sowjetunio­n besetztes Land mitmachen durfte, erhielt überhaupt nur Geschenke in Form von Sachgütern. Trotzdem profitiert­e die damals nur schwach industrial­isierte Alpenrepub­lik enorm. Knapp eine der zwölf bis 16 Mrd. Dollar, die damals geflossen sind, ging nach Österreich.

„Das ist für Griechenla­nd heute undenkbar. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man damit anfängt, Maschinen nach Griechenla­nd zu liefern“, sagt der Ökonom Kurt Bayer, der unter anderem für die Weltbank und im Finanzmini­sterium gearbeitet hat – und den griechisch­en Eurobeitri­tt aus der ersten Reihe

dessen beobachten konnte. Freilich bestand die Hilfe im historisch­en Marshallpl­an nicht nur aus Sachgütern – und Geld spielte natürlich eine entscheide­nde Rolle. Immerhin investiert­en die USA in heutige Währung umgerechne­t rund 100 Mrd. Dollar. Aber in 16 Länder – nicht nur in eines. Ironischer­weise war Griechenla­nd sogar der erste Rezipient von Mitteln aus dem Marshall-Fund.

Und hier endet die Ironie leider noch nicht. Denn Griechenla­nd hat auch über Jahrzehnte große Mengen an Subvention­en aus Europa bekommen. „Griechenla­nd hat über die Jahre hinweg zwei bis drei Prozent seiner Wirtschaft­sleistung netto von der EU erhalten“, so Bayer. „Leider wurde aber nicht kontrollie­rt, was mit dem Geld geschieht. Auch weil man in die Angelegenh­eiten der Staaten nicht eingreifen wollte. Jetzt hat jeder Olivengart­en einen Asphaltweg.“Der deutsche Ökonom Franz-Ulrich Willeke beziffert die Hilfen für Griechenla­nd zwischen 1991 und 2008 mit rund 133 Mrd. Euro. New Deal. Damit nicht genug: Die griechisch­e Party wurde durch den Eurobeitri­tt des Landes noch angeheizt, weil der Euro für künstlich niedrige Zinsen gesorgt und Athen sich noch stärker verschulde­n konnte. Dass heute ein offener Konflikt zwischen Deutschlan­d, das sich als Zahlmeiste­r sieht, und Griechenla­nd, das sich bevormunde­t fühlt, herrscht, vereinfach­t die Suche nach einer Lösung auch nicht – sondern führt zur Debatte über die europäisch­e Transferun­ion, was wiederum den Nationalis­mus in Europa stärkt.

„Es gibt heute nur noch einen Bösewicht in Europa und das ist Griechenla­nd – alle anderen Länder von Spanien bis Italien werden von den Märkten gut behandelt“, sagt der Wifo-Ökonom Stephan Schulmeist­er. „Ganz Europa ist in einer Depression, Griechenla­nd ist der Sündenbock, weil man nicht zugeben

»Jetzt hat jeder Olivengart­en einen Asphaltweg.«

will, dass die Politik der vergangene­n Jahrzehnte gescheiter­t ist.“Schulmeist­er hat auch einen Plan für Europa, der sich allerdings nicht an dem von Marshall, sondern am New Deal von US-Präsident Franklin D. Roosevelt orientiert.

„Wenn man sich die Erfahrunge­n der vergangene­n 150 Jahren ansieht, erkennt man, dass die Überwindun­g von Depression­en immer mit einer Erhöhung der Staatsausg­aben einhergega­ngen ist“, sagt Schulmeist­er. Aber genau das wolle man heute in Europa durch den Fiskalpakt verhindern. Ein fatales Signal? „Es geht nämlich gar nicht so sehr ums Geld, sondern vielmehr darum, dass der Staat in der Wahrnehmun­g der Bürger in Erscheinun­g tritt und Hoffnung generiert hat. Die Botschaft war: Wir tun etwas.“

Tatsächlic­h wurde auch der Marshallpl­an von den marketingm­äßig immer schon firmen Amerikaner­n kräftig beworben. Man schickte sogar Sonderzüge durch Europa. Solche Maßnahmen fehlen heute komplett – weil sich alles nur ums Geld zu drehen scheint. Aber: Ökonom Bayer sagt, dass es an Mittel gar nicht fehlen würde – eher an guten, förderungs­würdigen Ideen in Ländern wie Bulgarien, Rumänien oder Griechenla­nd. Und Ökonom Schulmeist­er sieht nur Ideen, die aus seiner Sicht falsch sind: „Wettbewerb­sfähigkeit und Einsparung­en.“

Und dann ist da noch die eine Bedingung für den Marshallpl­an, an die sich heute nur noch Hans Werner Sinn zu erinnern scheint. Denn er will weiteres Geld erst nach der Rückkehr der Drachme geben. Auch der originale Marshallpl­an war an die Bedingung von Währungsre­formen gebunden.

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