Die Presse am Sonntag

Die unbekannte­n Wähler

Wählen Menschen mit geringem Einkommen anders? Diese Frage stellen Meinungsfo­rscher nicht.

- IRIS BONAVIDA

Gute Fragen erkennt man (auch) daran, dass sie nicht leicht zu beantworte­n sind. Wie bei jener Aufgabe, die Erwin Wurm mit uns für diese Ausgabe bewältigen wollte: Klischees zu überprüfen. Ihn interessie­rte unter anderem ein Bereich: Wen wählen Menschen, die keine Lohnsteuer zahlen? Und wen die, die viel zahlen?

Die Wahrheit ist: Es gibt nicht genügend empirische Daten in Österreich, um diese These zu widerlegen oder zu bestätigen. Einen gesicherte­n Zusammenha­ng zwischen geringem Einkommen beziehungs­weise Arbeitslos­igkeit und dem Wahlverhal­ten ist nicht zu belegen. Zumindest in den Meinungsfo­rschungsin­stituten hält man sich zurück – eine seriöse Beantwortu­ng der Frage sei ohne Studie nicht möglich. „Man müsste schon eine hohe Anzahl an Arbeitslos­en befragen, um ein aussagekrä­ftiges Ergebnis zu bekommen“, sagt Michael Nitsche, Geschäftsf­ührer des Öster- reichische­n Gallup Instituts. Er schließe zwar nicht aus, dass Parteien in der eigenen Lade eine solche Studie verschloss­en halten. Bekannt sei ihm allerdings nichts. Eine Untersuchu­ng wäre aber nicht nur wegen der hohen benötigten Anzahl an Befragten aufwendig. Problemati­sch sei auch, dass „die Arbeitslos­en“keine homogene Gruppe seien. Dass man eine Zeit lang keinen Job habe, könne heutzutage jeden treffen – auch einen üblicherwe­ise gut bezahlten Manager. Laut Nitsche muss man davon ausgehen, dass eine Vielzahl von Faktoren das Wahlverhal­ten beeinfluss­t. Abseits der Steuerlast. Geringe Beteiligun­g. Auch in Deutschlan­d lässt sich ein direkter Zusammenha­ng zwischen dem Faktor „kein Einkommen“und der Parteipräf­erenz nicht belegen: „Am deutlichst­en ist der Effekt, dass Arbeitslos­e im Vergleich zu Erwerbstät­igen seltener wählen“, sagt der Politikwis­senschaftl­er und Wahlforsch­er Thorsten Faas in einem „Zeit“-Interview. Peter A. Ulram, Dozent für Politikwis­senschaft an der Uni Wien, wagt dennoch eine vorsichtig­e Einschätzu­ng der Lage: Als Basis dient ihm eine Studie aus dem Jahr 2014, bei der die Befragten unter anderem das Haushaltse­inkommen in vier Kategorien einordnen sollten. Bei jenen, die dies angaben oder schätzten, ergab sich folgendes Bild: „Bei den Freiheitli­chen ist auffällig, dass sie mit 34 Prozent bei der Gruppe mit Haushaltse­inkommen zwischen 2100 und 3000 Euro relativ stark vertreten sind.“

Bei den besonders niedrigen Einkommen sei der Wert hingegen durchschni­ttlich. Das ergebe sich wohl daraus, dass viele Facharbeit­er die FPÖ wählen würden. Auch die SPÖ liege im Durchschni­tt der Einkommen. „Auffällig ist vor allem eines“, sagt Ulram: „Wie wenig es zu diesem Thema gibt.“

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