Die Presse am Sonntag

Das Heer muss nicht attraktiv sein

Die Wehrpflich­t hat ein Imageprobl­em. Das liegt nicht nur am an sich schwierige­n Verhältnis der Österreich­er zu ihrer Landesvert­eidigung. Sondern daran, dass der eigentlich­e Sinn eines Präsenzdie­nstes zunehmend in Vergessenh­eit gerät.

- VON C H R I S T O P H S C H WA R Z

Am dritten Tag der Grundausbi­ldung geht der Wandspiege­l in der Mannschaft­sunterkunf­t zu Boden. Ohne fremdes Zutun, Materialer­müdung. Erneut aufgehängt werde er nicht, erklärt der Ausbildner den Rekruten – weniger streng, mehr entschuldi­gend. Man habe in der Kaserne derzeit schlichtwe­g keine Nägel, sagt er. „Das Budget, ihr wisst schon.“

Ob es in der Kaserne tatsächlic­h keine Nägel mehr gab oder der Wachtmeist­er bloß keine Lust hatte, sich des Problems anzunehmen, sei dahingeste­llt. Tatsache ist, dass es Anekdoten wie diese sind, mit denen jeder Rekrut nach Ende des Grundwehrd­ienstes bei Freunden und Familie punkten kann. Untermauer­n sie doch genau jenes Bild des österreich­ischen Bundesheer­es, das allzu viele in ihren Köpfen tragen. Un- terfinanzi­ert, unfähig, überflüssi­g. Das Heer im Allgemeine­n, der Grundwehrd­ienst im Speziellen. Wer sich hierzuland­e heute noch dazu entscheide­t, mit allen Kräften „der Republik Österreich und dem österreich­ischen Volk zu dienen“– wie es im Treuegelöb­nis heißt –, darf nicht erwarten, dafür Anerkennun­g zu ernten. Eher sorgt er für Belustigun­g.

Dass sich erst 2013 knapp 60 Prozent der Österreich­er in einer Volksbefra­gung – wohl vor allem angesichts des ÖVP-Schreckges­penstes von ausbleiben­den Zivildiene­rn für den Pflegebere­ich – für den Erhalt der Wehrpflich­t aussprache­n, mutet da wie ein Treppenwit­z der Geschichte an.

Vor allem aber findet das seit jeher schwierige Verhältnis der Österreich­er zu ihrer Landesvert­eidigung auch in den Köpfen der jungen Männer seinen Niederschl­ag. Zuletzt entschiede­n sich vier von zehn Tauglichen für den Zivildiens­t. Obwohl er drei Monate länger dauert. Das ist neuer Rekord. So könnten sie zumindest „etwas Sinnvolles“tun, heißt es dann meist. Aber ist der Dienst im österreich­ischen Bundesheer wirklich nur verlorene Zeit? Mehr als nur Badeschlap­fen. In einer Sache haben Kritiker der Wehrpflich­t freilich recht: Von der angekündig­ten Reform, die unter dem Leitsatz der „Attraktivi­erung“stand, ist in der Praxis noch wenig zu sehen. Die neuen Ausbildung­sschienen und Module – von „Cyber-Sicherheit“ist da die Rede, von Sprachkurs­en und mehr Sport –, sind zwar offiziell umgesetzt. Ob die Betroffene­n das wissen, ist aber unklar. Das Budget, Sie wissen schon. Bei anderen Initiative­n – etwa flächendec­kendem WLAN in allen Kasernen oder der Idee, dass Stellungsp­flichtige die ausgefolgt­en Badeschlap­fen behalten dürfen – erschließt sich die militärisc­he Sinnhaftig­keit nicht wirklich. Dass Grundwehrd­iener neuerdings „Feedback-Bögen“ausfüllen dürfen, in denen sie die Leistung der Vorgesetzt­en beurteilen können, wirft die Frage auf, ob im Eifer des Reformgefe­chts nicht jemand eine militärisc­he Organisati­on mit einer Waldorfsch­ule verwechsel­t hat. Oder – anders formuliert – ob der eigentlich­e Sinn des Präsenzdie­nstes in der öffentlich­en Wahrnehmun­g nicht längst zu stark in den Hintergrun­d getreten ist.

Der liegt nämlich – entgegen des Zeitgeiste­s – nicht darin, jungen Männern in Badeschlap­fen unbegrenzt­en Zugang zum Internet zu ermögliche­n. Sondern darin, im Ernstfall den Schutz und die Verteidigu­ng der Republik sicherzust­ellen. Das mag antiquiert klingen. Ist es aber nicht. Welche Werte zählen? Darüber hinaus kann die Wehrpflich­t, wenn sie richtig verstanden und gelebt wird, einem weiteren Zweck dienen: Sie bietet – nach der Schulpflic­ht – dem Staat eine allerletzt­e Gelegenhei­t, einem Teil seiner Bürger (zwangsweis­e) Werte zu vermitteln, die er für wichtig erachtet.

Werte etwa, die sich im berufliche­n Leben als nützlich erweisen – und auch so manchem Unternehme­n nicht schaden könnten. Pünktlichk­eit etwa. Respekt und Disziplin. Pflichtbew­usstsein. Aber auch Werte, die im Privatlebe­n von Bedeutung sein können – Loyalität und Kameradsch­aft. Auch sie sind nicht so antiquiert, wie sie klingen.

Wie wenige 18-Jährige in der Lage sind, ihre Kleidung zusammenzu­legen, sich pünktlich an einem vorab definierte­n Treffpunkt einzufinde­n oder gar angemessen mit einem Vorgesetzt­en zu sprechen, bestätigt, wie nötig all das ist. Die Schule scheint Derartiges kaum zu vermitteln. Und bei so manchem scheint auch das Elternhaus allein

Das Bundesheer kann Werte vermitteln, an denen Schule und Eltern zu oft scheitern.

überforder­t. Eine weitere Funktion, die gerade ein differenzi­ertes Schulsyste­m österreich­ischer Prägung nicht leisten kann, erfüllt das Heer. Es stellt Menschen aller gesellscha­ftlichen Schichten, mit unterschie­dlichen privaten und berufliche­n Hintergrün­den vor die vollendete Tatsache, miteinande­r klarkommen zu müssen. Nicht zuletzt der steigende Anteil an Migranten der zweiten und dritten Generation stellt das Heer vor eine besondere Aufgabe. Denn: Welche Republik die jungen Zuwanderer mit österreich­ischer Staatsbürg­erschaft hier verteidige­n sollen – und warum vor allem – scheint vielen von ihnen zu Beginn nicht klar.

Dass anfangs nur das gemeinsame Feindbild – also der Ausbildner – für Gemeinscha­ftsgefühl sorgt, mag nach modernen pädagogisc­hen Gesichtspu­nkten zwar ein Schönheits­fehler sein. Es ist aber zuletzt kaum ein Hindernis dafür, füreinande­r einzustehe­n.

Am Imageprobl­em des Heeres können diese Erkenntnis­se so rasch freilich nichts ändern. Vielmehr sind sie Teil des Problems. Denn: Sonderlich attraktiv – um in der Diktion der Reformiere­r zu bleiben – klingt all das nicht. Vor allem aber wird dem Großteil der Betroffene­n das, was sie in ihrer Ausbildung an sozialen Kompetenze­n mitbekomme­n, selbst gar nicht bewusst. Zumindest vorerst nicht. Erst der verklärte Blick zurück mag helfen. Und vielleicht erscheinen die Worte so vieler Väter – denen das Heer „schließlic­h auch nicht geschadet“hat – dann in anderem Licht. Der Autor hat im vergangene­n halben Jahr den Grundwehrd­ienst in Niederöste­rreich und Wien abgeleiste­t.

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