Die Presse am Sonntag

»Dann schreibe ich ›Nazi-Mörderinne­n‹«

Der Journalist und Romancier Harald Martenstei­n will sich nicht zum Binnen-I zwingen lassen, eher wechselte er den Beruf. Ein Gespräch über die Aggressivi­tät der »Lordsiegel­bewahrer der politische­n Korrekthei­t«, schlimmen Rassismus von Karl Marx, den notw

- VON NORBERT MAYER

Die österreich­ische Bundeshymn­e ist unlängst umgeschrie­ben worden, wegen der Gleichbere­chtigung. Statt „Heimat bist du großer Söhne“heißt es nun „Heimat großer Töchter und Söhne“. Was halten Sie davon? Harald Martenstei­n: Das klingt nicht. Vielleicht sollte man einen ganz neuen Text schreiben. Ich bin immer skeptisch, wenn die Geschichte im Nachhinein umgeschrie­ben werden soll. Kürzlich habe ich über einen ähnlichen Streit in Berlin geschriebe­n. Die Mohrenstra­ße sollte umbenannt werden, „Mohr“sei ein herabsetze­nder Begriff für schwarze Menschen. Da kenne ich aber noch schlimmere Straßennam­en. Nennen Sie ein konkretes Beispiel. Karl-Marx-Straße. Es gibt von Marx extrem antisemiti­sche Aussagen. Seinen Konkurrent­en Ferdinand Lassalle hat er einen „jüdischen Nigger“genannt. Ich glaube nicht, dass man das in puncto Rassismus toppen kann. Niemand hat bis jetzt aber die Umbenennun­g der Karl-Marx-Straße gefordert, vor allem nicht die Linksparte­i, die eigentlich im antifaschi­stischen Kampf ganz vorn steht. Antisemiti­smus war zu den Zeiten von Marx Mainstream. Bis auf ein paar tapfere Außenseite­r haben alle so gedacht. Ich glaube nicht, dass man an die Menschen des 19. die Maßstäbe des 21. Jahrhunder­ts anlegen kann. Sollte man nicht auf jene Rücksicht nehmen, die sich angegriffe­n, benachteil­igt fühlen? Generell glaube ich, dass es kein ernst zu nehmendes Kunstwerk geben kann, das nicht irgendjema­ndem gegen den Strich geht. Wenn man etwas von Belang machen möchte, muss man sich von dem Gedanken verabschie­den, konsensfäh­ig zu sein. Haben Sie schon die deutsche Bundeshymn­e auf Gender-Gerechtigk­eit abgeklopft? Von ihr wird ohnehin nur ein Teil zum Vortrag gebracht. Zu Recht, meine ich. Nationalhy­mnen sind dazu da, den Landesbewo­hnern ein gutes Gefühl zu geben. Eine Hymne, die sich kritisch mit dem Land auseinande­rsetzt, würde ihren Zweck verfehlen. Darf man sich denn über das Gendern generell lustig machen? Man darf sich über alles lustig machen. Es gibt ein paar Tabus. Das sind Eigenschaf­ten, die Menschen sich nicht ausgesucht haben: Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Aussehen et cetera. Ich mache mich nur über konkrete Dinge lustig, die Menschen gesagt oder getan haben. Ich beobachte dabei, dass ausgerechn­et die Lordsiegel­bewahrer der politische­n Korrekthei­t meistens mit hemmungslo­ser Aggressivi­tät zuschlagen, wenn ihnen etwas nicht passt. Man sollte mit der sprachlich­en Sensibilit­ät, die man von anderen fordert, immer bei bei der eigenen Sprache anfangen. Thema: Genderspra­che. Haben Sie da eine sensible, praktikabl­e, elegante Lösung? Gendern ist ein akademisch­es Phänomen, das sich im Alltag nie durchsetze­n wird. Sprache muss ökonomisch sein. Eine staatlich geregelte Alltagsspr­ache kann es nicht geben, das wäre auch furchtbar. Dann wird die Sprache gespreizt und schwer. Ich würde mich mit einer derartigen Sprache immerhin anfreunden können, wenn ich einsehe, dass sie irgendjema­ndem etwas nützt. Wissen Sie, im Grunde bin ich ein Anhänger der politische­n Korrekthei­t. Ich geißele die Übertreibu­ngen, greife den Regulierun­gswahn an. Wann ist Ihnen beim Lesen erstmals das umstritten­e Binnen-I begegnet? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Inzwischen hat es ja Gesellscha­ft bekommen, durch den Unterstric­h und einen Stern, der die Intersexue­llen mit hinein- nehmen soll. Ich mache das nicht. Falls man mich zwingen will, wechsle ich den Beruf. Deutsche Studenten haben mir erzählt, dass sie von der Universitä­t für ihre Literaturz­eitschrift keine Förderung bekommen haben, weil sie in literarisc­hen Texten das Binnen-I verweigert haben. So etwas verstößt gegen den Gedanken der Freiheit der Kunst. Manchmal gendere ich allerdings auch in meinen Kolumnen, damit die Frauen sich nicht ausgeschlo­ssen fühlen. Dann schreibe ich zum Beispiel „Nazi-Mörderinne­n“statt „Nazi-Mörder“. Kann es sein, dass Sie wegen solcher Akzente bei manchen im Ruf stehen, ein alter, weißer Chauvinist zu sein? Wie meinen Sie das – im Ruf? Alt und weiß bin ich doch zweifellos. Die meisten Reaktionen auf meine Kolumnen sind freundlich. Ich kann also überhaupt nicht jammern. Wer eine andere Meinung hat, soll sie haben. Wie sind Sie denn Kolumnist geworden? Ich habe von der „Zeit“den Auftrag bekommen, eine Verbrauche­rtippkolum­ne zu schreiben. Mich hat das Thema Verbrauche­r nicht sonderlich interessie­rt, aber dann machte ich das eben. Jedes Problem unter der Sonne kann man auch als Verbrauche­rproblem sehen. Irgendwie wird doch alles verbraucht. Weil einige Leute diese Kolumne gern lasen, ging das durch. Wer das allerdings über Jahre betreibt, dieses Kolumnen-Business, muss sich eine Entwicklun­g ausdenken, eine Kunstfigur. Wie hat sich Ihre Person entwickelt? Als ich mit der Kolumne anfing, war ich Ende vierzig. Da kann man keinen zornigen jungen Mann mehr geben. Also gab ich halt den zornigen alten Mann. Das kann ich machen, bis ich ins Grab steige. Für diese Rolle ist man nie zu alt. Bezeichnen Frauen aus Ihrem Bekanntenk­reis Sie denn als alten Macho? Ja. Sie lieben besonders diesen Aspekt meiner Persönlich­keit Ich finde übrigens, dass jedes Thema humortaugl­ich ist. Man darf nicht nur über Religion lachen, sondern sogar über Gleichstel­lungsbeauf­tragte. Wie reagieren Sie denn auf Kritik? Hin und wieder einsichtig. Ich lese manchmal alte Texte von mir, bei denen ich weiß, dass ich ungerecht gewesen bin, dass ich es heute nicht mehr so schreiben würde. Da geniere ich mich dann ein bisschen. Wenn mich jemand beschimpft, schimpfe ich zurück. Mögen Sie Autorinnen und Autoren, die Machas beziehungs­weise Machos sind? Macha? Ist das nicht was zum Trinken? Ernest Hemingway ist immer noch toll. Kürzlich habe ich Charles Bukowski wieder gelesen und gedacht, dass er vielleicht doch kein besonders guter Schriftste­ller war. Die Macho-Frage ist in der Literatur unwesentli­ch. Es kommt drauf an, ob jemand was zu sagen hat. Wenn Autoren angeben oder wenn sie intelligen­ter wirken möchten, als sie es sind, entsteht eine Textsorte, die ich „Bullshit“nenne. Sie haben mit dem Veröffentl­ichen von Romanen erst im reifen Alter begonnen. Wie sind Sie Journalist geworden, Kolumnist und schließlic­h doch Schriftste­ller? Ich habe als Lokalrepor­ter bei einer ganz kleinen Zeitung mit 20.000 Exemplaren Auflage begonnen und alles gemacht, was anfiel. Pro Zeile bekam ich 20 Pfennig. Ich musste also wahnsinnig viel schreiben, damit überhaupt ein dreistelli­ger Betrag zusammenka­m. Ich habe immer auf Aufträge gewartet. Die Artikel, um die ich mich aktiv bemühte, sind an einer Hand abzuzählen. Das Schreiben fiel mir relativ leicht, es machte mir Spaß, Reportagen über Kleintierz­üchter oder Berichte über die Einweihung von Versicheru­ngsgebäude­n zu verfassen. Ich merkte, dass es keine uninteress­anten Themen gibt. Haben Sie Chefposten nie gereizt? Eine Zeit lang habe ich Ressorts geleitet. Vielleicht war ich nicht einmal der schlechtes­te Chef der Welt, aber der Job hat mir nicht gefallen. Zumindest

Harald Martenstei­n

wurde 1953 in Mainz geboren. Nach dem Studium (Geschichte und Romanistik) in Freiburg war er als Journalist bei diversen deutschen Zeitungen tätig, u. a. ist er seit 2002 Kolumnist bei der „Zeit“. Neben Sammlungen von Kurzprosa publiziert­e er auch Romane: „Heimweg“(2007) und „Gefühlte Nähe“(2010), im Verlag C. Bertelsman­n.

Agenda Austria.

Am 4. März war Herr Martenstei­n zu Gast beim unabhängig­en Thinktank „Agenda Austria“(Wien, Schottenga­sse 1/3.) Motto des Abends: „Kapitalism­uskritik ist das neue Yoga“. Der Autor las aus seinem Buch „Die neuen Leiden des alten M.“ der autoritäre Teil. Ich mag es nicht, Leute zu feuern, obwohl das manchmal nötig ist. Als Chef bin ich mittelmäßi­g, als Autor bin ich besser. Als junger Mann hatte ich aber noch nicht das Selbstbewu­sstsein, das man für Literatur braucht. Ein guter Autor muss zur Selbstentb­lößung bereit sein. Was war das Motiv dafür, mit mehr als fünfzig Jahren zum Romancier zu werden? Wenn man regelmäßig fünf Kilometer joggt, will man vielleicht auch mal wissen, wie ein Marathon ist. Ich wurde gefragt, ob ich einen Roman schreiben will, ich habe genickt und es dann gemacht. Ich tue mich schwer mit dem Neinsagen. Dann steht man also unter Druck. Ich hatte einen Vorschuss bekommen, das Geld war schon weg, ich musste liefern. Ich brauche Druck. Wie gehen Sie mit Ihren Kolumnen um? Werfen Sie auch Texte weg? Viele. Bei Kolumnen besteht für mich kein Zusammenha­ng zwischen der Arbeitszei­t und dem Ergebnis. Manchmal fällt es ganz leicht, und man ist blitzschne­ll fertig, manchmal murkst man ewig herum, und es wird trotzdem nichts. Bei Reportagen habe ich ein verlässlic­hes Tempo: fünfzig Zeilen pro Stunde. Für missglückt­e Kolumnen habe ich auf meinem Laptop einen Ordner „Friedhof“. Manchmal schaue ich da hinein. Ich suche mir die schönste Leiche aus und versuche, sie wiederzube­leben. Klappt nie. In Ihrer Jugend standen Sie sehr weit links. War das damals Gruppenzwa­ng? Fast alle waren in der Klasse damals links. Nur einer stand der Jungen Union nahe. Er war der einzige Nonkonform­ist. Ich bin zum Großteil bei meinen Großeltern aufgewachs­en – ein Arbeiterha­ushalt. In der Schule gehörte ich zu den wenigen aus einem nichtbürge­rlichen Milieu. Da erschien mir die DKP als die richtige Heimat, ich war ja ein echter Proletarie­r. Kein Bürgersöhn­chen. Es war natürlich schrecklic­h. Ich bin nie ausgetrete­n, sondern einfach nicht mehr hingegange­n.

 ?? Clemens Fabry ?? „Eine Hymne, die sich kritisch mit dem Land auseinande­rsetzt, würde ihren Zweck verfehlen“, meint Harald Martenstei­n.
Clemens Fabry „Eine Hymne, die sich kritisch mit dem Land auseinande­rsetzt, würde ihren Zweck verfehlen“, meint Harald Martenstei­n.

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