Die Presse am Sonntag

»Wie der Schnabel gewachsen ist«

Papst Franziskus produziert »Sager«, die um die Welt gehen. Auch ein Heiliger Papst darf das, er soll mitunter so salopp und frei von der Leber reden. Er ist einer von uns.

- VON CHRISTOPHS­CHÖNBORN

Darf ein Papst reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist? Unbekümmer­te Wortwahl ist ja tatsächlic­h ein Merkmal von Papst Franziskus. Oft aus dem Stegreif produziert er „Sager“, die um die Welt gehen: von der „Vermehrung wie Karnickel“über den „geistliche­n Alzheimer“mancher Kurienmitg­lieder bis zum Lob für den Vater, der seinen Sohn nicht ins Gesicht schlägt.

Das saloppe Reden steht in deutlichem Kontrast zu der Idee von Erhabenhei­t und Entrückthe­it, die für Menschen meiner Generation das Papsttum prägt. Ich möchte dieses Phänomen im Schnittpun­kt zweier Entwicklun­gen analysiere­n: der erfreulich­en „Enthöhung“der Person des Papstes auf der einen Seite und dem bedauerlic­hen Verlust von Debattenku­ltur auf der anderen.

I.Als Johannes Paul II. im April 2005 starb, brachte die „Süddeutsch­e Zeitung“eine Reportage über die Menschen, die dem Papst, im Petersdom aufgebahrt, die letzte Ehre erwiesen. Unter ihnen war ein Sonderschu­llehrer aus New York, der sich mit seinem letzten Geld nach Rom durchgesch­lagen hatte. Als er die einfachen, abgetreten­en braunen Halbschuhe sah, die Johannes Paul getragen hat und mit denen er aufgebahrt war, verlor er die Fassung: „Allein an diesen Schuhen siehst du es: Johannes Paul war einer von uns!“, sagte er schluchzen­d.

Der Papst – einer von uns einfachen Menschen? Das ist relativ neu. Wohl auch zur Kompensati­on des irdischen Machtverlu­stes erfuhr das Papsttum im 19. Jahrhunder­t eine zeremoniel­le und protokolla­rische Überhöhung, Entrückung. Diese Entwicklun­g wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts umgekehrt: Schrittwei­se wurden Dinge wie die Papstkrone, die dreistöcki­ge Tiara oder die von zwölf Männern getragene Sänfte entsorgt, wurde auf den Majestätsp­lural verzichtet, das Protokoll gelockert.

Papst Franziskus macht vollends deutlich, dass er sich von Gott in eine große Aufgabe gestellt sieht, aber der Mensch Bergoglio nicht in erster Linie Symbol oder Projektion­sfläche ist, sondern einfacher Mensch. In aller Kleinheit und Fehlerhaft­igkeit. Einer von uns.

Er unterläuft damit eine unangebrac­hte Gleichsetz­ung von Amt und Person. Auch ein Papst spricht nicht immer im Namen der ganzen Kirche, sondern manchmal einfach nur als Seelsorger, als Theologe, als Chef oder Freund. Früher wurde diese Seite vom vatikanisc­hen Hofstaat akribisch weggefilte­rt. Heute gibt der Papst Interviews und schreibt Mails. Eine „halbamtlic­he“Wortmeldun­g des Papstes ist oft schon in die ganze Welt verbreitet, bevor der Hofstaat sie mitbekommt. Das ist eine neue Situation. Darf der Papst gar über Kindererzi­ehung extemporie­ren? Präjudizie­rt er damit nicht die Lehre der katholisch­en Kirche? Das Papsttum ist ja, wie es das II. Vatikanisc­he Konzil ausgedrück­t hat, „Prinzip und Fundament der Glaubensei­nheit und der Gemeinscha­ft“der Kirche. Darum besteht das Konzil darauf, dass die Gläubigen den vom Papst „vorgetrage­nen Urteilen aufrichtig­e Anhänglich­keit zollen“. Aber schon das Konzil hat den Gläubigen nahegelegt zu unterschei­den, wann ihr Hirte eine Glaubensle­hre verbindlic­h auslegt und wann nicht: Das lasse sich nämlich unter anderem „aus der Sprechweis­e“erkennen.

Darum zunächst: Auch ein Papst darf, ja, er soll mitunter so reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Er ist Nachfolger eines Fischers aus Galiläa, der dem Sohn eines Zimmermann­s nachgefolg­t ist. Sein Reden darf auch nach „normalem“Menschen klingen. Auch in der Verkündigu­ng des christlich­en Glaubens geht es ja nicht um mystische Prinzipien aus einer anderen Dimension, sondern um das, was uns der Mensch gewordene Gott offenbart hat. Die „Sprechweis­e“von Franziskus steht quer zur Tendenz, alles, was aus dem Vatikan kommt, zuerst theologisc­h wasserdich­t zu machen und jedes Missverstä­ndnis von vornherein zu vermeiden. Dass der Papst in seinem Alltag Verständli­chkeit, Natürlichk­eit der Rede über die hundertpro­zentige Korrekthei­t stellt, entspricht seinem Wunsch, lieber eine verbeulte Kirche zu haben als eine, die sich ängstlich abschirmt. Die einfachen Menschen, mit denen ich rede, sind über die Sprache des Papstes sehr froh: Er ist einer von uns.

Natürlich gibt es auch eine Grenze. Schon gar in einer Religionsg­emeinschaf­t, die das Wort ernst nehmen muss. Im Matthäusev­angelium heißt es: „Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts Rechenscha­ft ablegen müssen.“Die Bischöfe – der Bischof von Rom genauso wie ich selbst – sind hier besonders in die Pflicht genommen. Das Konzil sagt sogar – und dieser Satz erschreckt mich manchmal: „Wer die Bischöfe hört, hört Christus.“Offizielle Pressespre­cher des Herrn? Kann man in einer solchen Verantwort­ung jemals ganz einfach Privatmann sein?

II.Der Trend zum einfachere­n, originären Reden in der Kirche lässt sich sogar empirisch festmachen. Ein einfacher, im Internet verfügbare­r Lesbarkeit­stest weist für die Eröffnungs­kapitel des jeweils ersten großen Lehrschrei­bens der Päpste Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus einen Komplexitä­tswert aus, der von 60 über 57 und 51 auf 45 sinkt. Das kann auch einem allgemeine­n Trend unserer Kultur zu kürzeren Sätzen und kürzeren Wörtern entspreche­n. Was die Rezeption von Texten betrifft, ist der Trend zur simpleren Form noch ausgeprägt­er: Oft sind es nur noch Textschnip­sel, über die geredet wird.

Kardinal.

Christoph Schönborn ist seit dem 14. September 1995 Wiener Erzbischof.

Papst-Mitarbeite­r.

Franziskus hat Schönborn in den Aufsichtsr­at der Vatikanban­k berufen. Er arbeitet auch im Rat des Generalsek­retariats, das die Familiensy­node im Herbst vorbereite­t.

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Andrew Medichini/ AP/picturedes­k.com Franziskus pflegt und prägt seit zwei Jahren einen neuen Amtsstil.
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