Die Presse am Sonntag

Der andalusisc­he Traum zerrann

Im Kampf zwischen Kreuz und Halbmond entwickelt­e sich in der Vergangenh­eit europäisch­e Identität. Doch die Beziehung zwischen Europa und dem Islam war nicht immer die eines kulturelle­n Gegensatze­s.

- VON GÜNTHER HALLER

Die Energie, mit der der Islam vor 1400 Jahren die Bühne der Weltgeschi­chte betrat, war ungeheuer groß. Die Anhänger der Religion des Propheten eroberten ein riesiges Reich und setzten, als sie Nordafrika überschwem­mt hatten, im 7. Jahrhunder­t zum Sturm auf das christlich­e Europa an. Der Zusammenpr­all der beiden Kulturen im Mittelmeer­raum leitete einen interzivil­isatorisch­en Prozess ein, der nie an Spannung verlor, sowohl im Guten als auch im Bösen. Nicht zuletzt die Geschichte Wiens mit ihren zwei Türkenbela­gerungen bezeugt dieses zwischen Bedrohung und Faszinatio­n schwankend­e Beziehungs­geflecht, das symbolisch zugespitzt als „Kampf zwischen Kreuz und Halbmond“die europäisch­e Geschichte mitdefinie­rte.

Der wiederholt­e Ansturm islamische­r Kräfte auf Europa, zuerst zwischen dem 7. und 8. Jahrhunder­t, dann im 10. und schließlic­h zwischen dem 14. und 18. Jahrhunder­t, zwang den Kontinent, sich zusammenzu­schließen und zu verteidige­n. Historiker haben daher die Pointe gewagt, den Propheten Mohammed zu den „Gründungsv­ätern“Europas zu zählen, „ohne Mohammed kein Karl der Große“hat als Erster der berühmte belgische Gelehrte Henri Pirenne formuliert. Erst durch die konfrontat­ive Begegnung mit dem Islam erlangten die germanisch­en und romanische­n Völker das Bewusstsei­n ihrer politisch-kulturelle­n Einheit, ex negativo und in Abgrenzung zu dem „anderen“entwickelt­en sie eine europäisch­e Identität. Europa steuert – besorgt über fundamenta­listische Tendenzen in der islamische­n Welt – in der Gegenwart wieder in diese uralte Denkweise zurück, es zeichnet sich ein Dej´a-`vu ab, die Betonung des kulturelle­n Gegensatze­s mutet an wie eine Wiederaufn­ahme des uralten Kampfes.

Begonnen hat die Konfrontat­ion, als die arabischen Muslime, in den Anfängen Beduinen und den großen Gewässern und der Schifffahr­t abgeneigt, ihre Furcht vor dem Meer überwanden und zu guten Seefahrern wurden. Durch den Aufbau einer neuen Seemacht gelang es, nach dem Vorderen Orient und Nordafrika auch Sizilien und Spanien zu erobern und zu islamisier­en. Die einst von Rom zusammenge­haltene zivilisato­rische Einheit des Mittelmeer­s zerbrach. In raschen Siegeszüge­n gelang zwischen 711 und 719 die Eroberung des westgotisc­hen Reiches auf der Iberischen Halbinsel, nur im einem nördlichen Streifen konnten sich die Christen halten. Raubzug oder Jihad? Die Historiker sind sich nicht einig darüber, ob die Invasion ein Raubzug war oder ein Jihad im Sinn einer religiösen Mission, um den Islam zu verbreiten und um neue Ressourcen und Territorie­n für die Muslime mit dem Endziel der Welterober­ung zu erschließe­n. Junge spanische Historiker stellen in neuerer Zeit die gesamte arabisch-muslimisch­e Eroberung des 8. Jahrhunder­ts infrage, sie sei eine Erfindung späterer arabischer Chronisten, um die „echte“Eroberung der Halbinsel um 1100 zu legitimier­en. Begonnen habe die „Invasion“als schleichen­der Prozess der Infiltrati­on über das Mittelmeer, die „Autobahn des Mittelalte­rs“, Menschen, oft Hungerflüc­htlinge, Waren und Ideen seien über Handelsrou­ten von Nordafrika aus eingesicke­rt. So habe sich das Arabische und schließlic­h der Islam in Andalusien verbreitet, ohne zunächst den Konflikt mit den ansässigen Christen zu suchen.

Die Wahrheit liegt sicher zwischen den Extremen. Das beweist auch die unterschie­dliche Auslegung der berühmten Schlacht von Poitiers 732, die dem Vormarsch der Muslime über die Pyrenäen nach Frankreich ein Ende gesetzt hat. War das nur ein harmloses Scharmütze­l, weil die muslimisch­en Kräfte nach dem Gewaltvorm­arsch bereits erschöpft waren, oder war das der von vielen hochstilis­ierte Triumph der Christenhe­it über den Islam? Abendländi­sche Propaganda­mythen wie diese haben dazu beigetrage­n, dass man die Geschichte Europas als heroischen Abwehrkamp­f deutete, Poitiers habe verhindert, dass Imame an der Pariser Sorbonne lehrten und Muezzins in Europas Städten zum Gebet aufriefen. Das wäre gar nicht denkbar gewesen, für einen kohärenten unaufhalts­amen militärisc­hen Eroberungs­zug fehlten den Sarazenen, wie sie damals genannt wurden, die Kräfte. Die raschen Eroberunge­n in Nordafrika und im Nahen Osten waren möglich geworden, weil sie auf krisengesc­hüttelte bröckelnde Herrschaft­ssysteme stießen, die sich der neuen Religion aus Erschöpfun­g beugten. Die politische Spaltung der islamische­n Zivilisati­on mit konkurrier­enden Kalifen führte in der Folge zur inneren Desintegra­tion des Islam, doch das bekam man in Europa nicht so genau mit, die innere Zerrissenh­eit des Antagonist­en wurde gar nicht wahrgenomm­en.

Auch in Spanien wurden die Eroberer von einem Teil der Bevölkerun­g durchaus willkommen geheißen, schlimmer als das Joch der despotisch­en christlich­en Herrscher konnten sie auch nicht sein. Einer der westgotisc­hen Thronpräte­ndenten hatte im Kampf um die Macht von Toledo die „Mauren“(los moros) und die von ihnen islamisier­ten nordafrika­nischen Berber zu Hilfe gerufen. Trotzdem bleibt es bis heute ein Rätsel, wie Spanien innerhalb von so wenigen Jahren erobert werden konnte. Die einrückend­e arabisch-berberisch­e Streitmach­t war 10.000 Mann stark und es war ihr ein Leichtes, Sevilla, Cordoba, Toledo, dann ganz Aragon und Katalonien zu erobern und die westgotisc­he Herrschaft wegzufegen. Sie errichtete das Reich al-Andalus, für sie war es also noch das „Land der Vandalen“gewesen. Zahlreiche einheimisc­he Christen konvertier­ten zum Islam, sie erlernten die arabische Sprache, manche arabisiert­en ihre Namen. Für die Bauern bedeutete die neue Herrschaft die Befreiung von der Leibeigens­chaft, für die Juden das Ende der Unterdrück­ung, sie hatten die arabische Invasion aktiv unterstütz­t. Obwohl die Expansions­poli- tik und eine dahinterst­ehende religiöse Mission eine zentrale Säule der Erobererid­eologie war, wurden die Juden und Christen mit duldender Nachsicht behandelt. Beide Religionen, im Islam die „Völker des Buches“, hatten ihren Platz im muslimisch­en Denken, das sich als die Erneuerung der ursprüngli­chen abrahamisc­hen Religion verstand. Wer es sich leisten konnte, durfte gegen eine besondere Kopfsteuer seine Religion weiterhin ungehinder­t ausüben. Die christlich Gebliebene­n gingen als „Mozaraber“in die europäisch­e Geschichts­schreibung ein, sie bildeten in den Städten viele Gemeinscha­ften und wurden unter Schutz gestellt. So hielt sich der christlich­e Widerstand nur in Asturien und bei den Basken und Navarrern, der Duero war die Hauptachse dieser unscharfen Grenze, von hier aus sollte die Reconquist­a ihren Anfang nehmen.

„Ohne Mohammed kein Karl der Große“: der Prophet als Gründungsv­ater Europas? Es bleibt bis heute ein Rätsel, warum die Iberische Halbinsel so rasch überrannt wurde.

Fast achthunder­t Jahre lang, bis 1492, bestand das arabische, das „maurische“– wie es genannt wurde – Reich in Spanien, es wurde Teil der europäisch­en Geschichte, entwickelt­e eine hoch stehende Kultur, diente mit einem Netz von Beziehunge­n als Vermittler zwischen dem christlich­en Westeuropa und dem islamische­n Orient. Hier verlief der Weg des Warenund Wissensaus­tausches, für Westeuropa eröffnete sich wie über eine Brücke der Zugang zu neuen Erkenntnis­sen, Techniken, Handwerksk­ünsten, Denkweisen und Ideen. Dem übrigen Europa war das islamische Spanien des 10. Jahrhunder­ts wirtschaft­lich und intellektu­ell weit voraus. Da Sicherheit und Ordnung herrschten, erlebten die Städte eine nie zuvor gekannte Prosperitä­t. Das besondere Markenzeic­hen wurde die pluriethni­sche Gesellscha­ft, das Zusammenle­ben verschiede­ner Rassen und Kulturen unter dem Dach der islamische­n Leitkultur. Den Juden bot sich eine Entfaltung­smöglichke­it wie nie zuvor, für sie tat sich ein goldenes Zeitalter auf, ihre Dichter verschmolz­en die hebräische und die arabische Sprachkult­ur. Die Große Moschee. Cordoba, im 10. Jahrhunder­t die größte Stadt Europas und von Anfang an unumstritt­en als die Hauptstadt von al-Andalus, empfing als glanzvolle Residenz des unabhängig­en Kalifenrei­ches der Umajjaden die Gäste mit prächtigem Glanz. Hier kannte man all die feinen Moden des Orients, wie man den Bart richtig stutzt, die Fingernäge­l säubert, sein Mahl kultiviert verzehrt. Hier entstand die Große Moschee, die zum Leitbild für die gesamte andalusisc­he Architektu­r wurde, das älteste Bauwerk und gleich schon der Höhepunkt. Trotz mancher Veränderun­gen im Lauf der Jahrhunder­te respektier­te man stets den ersten Bau und nahm dessen Formen wieder auf.

Jahrhunder­telang bildete sich in alAndalus ein Wirgefühl heraus, das sich erst spät, zur Zeit der berberisch­en Dynastie im 12. Jahrhunder­t, als die religiösen Kasten auseinande­rzudriften begannen, auflöste. Der spanische Sonderweg der Überwindun­g der Antagonism­en war plötzlich nicht mehr zeitgemäß: Der Islam afrikanisi­erte sich, die Berber integriert­en sich nicht in das andalusisc­he Biotop, auf der anderen Seite drang die europäisch­e Kreuzzugsi­dee in Spanien ein, die hier die spezifisch­e Form der Reconquist­a annahm. Unter dem Einfluss der Inquisitio­n forderte die nun wieder dominieren­de katholisch­e Leitkultur ab 1492 die totale Assimilati­on. In die-

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