Ein Elefant und eine seltsame Allianz
Der Kalif von Bagdad sendet dem Herrscher des Abendlandes einen Elefanten als Gastgeschenk. Über eine merkwürdige islamisch-europäische Konstellation vor 1200 Jahren.
ser religiös aufgeladenen Konfliktsituation war das alte Paktieren obsolet. Aber auch in dieser späten Phase, als sich die Auflösung des Reiches abzeichnete, kam es noch zu einer Blüte der Künste: Im Sultanat Granada, dem letzten Refugium der Muslime auf der Iberischen Halbinsel, entstand die Palastanlage der Alhambra, sie ist bis heute ein Sinnbild für maurische Architektur geblieben. Die katholischen Könige übernahmen sie ohne jegliche Zerstörungen und richteten sich darin ein, mit dem sichtlichen Wunsch, die Anlage so weit wie möglich zu erhalten.
Der andalusische Traum, die friedliche kulturelle Symbiose von Orient und Okzident, die convivencia, zerrann. Sie geriet nun ins Räderwerk der Geschichte und wurde zum Objekt romantischer Verklärung und ideologischer Vereinnahmung. Allein der Begriff Reconquista in der Erinnerungskultur suggeriert, dass ein an sich christliches, von Fremden existenziell bedrohtes Territorium zurückerobert werden musste. Die Gegenseite übersieht gern in nostalgischer Verklärung, dass es neben toleranten und pragmatischen muslimischen Herrschern auch Phasen der Strenggläubigkeit und des Fanatismus gab.
Fest steht jedenfalls, dass das maurische Spanien ein weitgehend friedliches Miteinander der drei monotheistischen Religionen ermöglicht hat, eine Überwindung engstirniger Dogmen und eine Integrationsleistung, wie sie sonst nirgends realisiert worden ist. Die kulturelle Symbiose von Orient und Okzident ist in diesem begrenzten Raum und zu einer begrenzten Zeit gelungen, nicht als gedankliches Konstrukt, sondern als pralle gelebte Realität.
Die europäische Geistesgeschichte hat viel gelernt aus dieser Blütezeit, da werden die materiellen Transfers leicht übersehen. Sie reichen von der Seidenraupenzucht, dem Rohrzucker, den Wasserrädern, der Baumwolle bis hin zur Papiererzeugung. Arabische Gelehrte wurden im Bereich der Medizin, Astronomie, Kartografie und der Vermittlung antiker Autoren zu Lehrmeistern des mittelalterlichen Europa. Sie vermittelten ihr Wissen zu Kultur, Philosophie und Wissenschaft des antiken Griechenland über Spanien den Universitäten von Paris, Köln und Oxford. Das christliche Abendland konnte zu dieser Zeit der kulturell-wissenschaftlichen Strahlkraft des islamischen Europa nichts Gleichwertiges entgegensetzen.
Keiner war gelehrter als der arabische Philosoph und Aristoteles-Exeget Averroes, der bei den islamischen Herrschern in Ungnade fiel. Wie Thomas von Aquin auf christlicher Seite beschäftigte er sich als offener und kritischer Geist mit dem intellektuellen Spagat zwischen Logik und Offenbarung, er pries die Logik als oberstes Gesetz und legte das Fundament für eine rational begründete Religionskritik innerhalb des Islam. Unnötig zu erwähnen, dass seine Werke von der islamischen Orthodoxie strikt abgelehnt werden, bis heute. So fehlt gerade dem bedeutendsten intellektuellen Werk des andalusischen Islam jede Rezeption in der islamischen Welt. Nicht auszudenken, wie sie sich entwickelt hätte, wäre das aufklärerische antifundamentalistische Gedankengut eines Averroes, die an Aristoteles geschulte Rationalität konsequent weiterentwickelt worden bis heute. Es war eine ungemein strapaziöse Reise. Doch schließlich erreichte sie doch ihr Ziel: 797 nach Christus konnte der fränkische Herrscher Karl, der als Karl der Große in die Geschichtsbücher eingehen sollte, endlich das Geschenk begutachten, das ihm aus dem Orient zugesandt worden war und den Namen Abu’l-Abbas trug. Es war ein Elefant.
Er hatte die Reise im Unterschied zu zweien seiner menschlichen Begleiter, die während der langen Reise verstorben waren, unbeschadet überlebt und erregte in der Residenz von Aachen gebührendes Aufsehen. Nach Hannibals sagenumwobenen Feldzug über die winterlichen Alpen war dies der erste Elefant, den es so weit in den Norden verschlug. Das Tier lebte noch bis 810 und verstarb in Lippen- heim, sein Besitzer, inzwischen gekrönter Kaiser, überlebte ihn um vier Jahre. Der Absender des Geschenkes, ein Herrscher aus dem Morgenland, war inzwischen auch schon tot.
Der Elefant markiert eine interessante weltpolitische Konstellation, nämlich den Kontakt, den der abendländische Herrscher zu Harun al-Raschid, dem Kalifen von Bagdad, der die Idee zu diesem Geschenk hatte, knüpfte. Die beiden Herrscher waren die wichtigsten imperialen Größen ihrer Zeit. Wenn so hochrangige Herren sich Freundschaftsdienste leisten, stehen in der Regel strategische Interessen dahinter.
Der Kalif von Bagdad, er stammte aus dem Geschlecht der Abbasiden, erhob den Anspruch, der Herr der Muslime weltweit zu sein, doch eben das stellten die Umajjaden-Emire von Cordoba, die Herren von al-Andalus, infrage. Karl, der sich im Kampf gegen die Mauren eine blutige Nase geholt hatte und die Muslime aus Europa hinausdrängen wollte, versuchte diese Spaltung der islamischen Welt für seine Zwecke zu nutzen und suchte daher den Dialog mit Harun. Kulturelle Arroganz war den beiden Mächtigen fremd, sie hatten ihre Interessen im Auge, schließlich hatten sie auch noch Konstantinopel, das beide erobern wollten, als gemeinsamen Gegner. Das christliche Aachen und das islamische Bagdad versuchten eine strategische Koalition gegen das christliche Byzanz und das islamische Cordoba. Ein Clash of Civilizations, der so manche These von Samuel Huntington über den Haufen wirft.
Nichts Gleichwertiges fand sich zur kulturellen Blüte des islamischen Europa.