Die Presse am Sonntag

»Kaugummi? – Da ist ein Kübel«

Ein Richter am Bezirksger­icht Döbling zelebriert einen Prozess wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung auf seine ganz eigene, penible Weise.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Dieser Vormittag der Strafverha­ndlungen am Bezirksger­icht Döbling beginnt schlecht: Zur ersten Verhandlun­g um 8.40 Uhr in Saal C ist außer dem Richter, dem Bezirksanw­alt und der Schriftfüh­rerin niemand erschienen, vor allem nicht der Angeklagte. Abgesagt. Nächster Termin: Für ihn haben zwar einige Personen auf den Klappsitze­n am Gang Platz genommen. Es sind aber nicht alle, die der Richter anhören will. Also wird auch dieses Verfahren heute nicht abgeschlos­sen werden.

Es geht – in Fortsetzun­g eines Beweisverf­ahrens – um einen Vorfall in der Sieveringe­r Straße im Dezember 2013. Eine ältere Frau ist auf dem Gehsteig ausgerutsc­ht und hat sich verletzt: zwei Wochen Spital, zwei Operatione­n, Rehabilita­tion. Die Frau sitzt, als Privatbete­iligte, die eine Entschädig­ung will, an der Seite des Bezirksanw­alts links vor dem Richter; ihr gegenüber der Angeklagte. Ihm wird fahrlässig­e Körperverl­etzung vorgeworfe­n, BG Döbling: eine Villa, in der früher eine psychiatri­sche Klinik war. weil er Einsatzlei­ter jener Räumfirma war, die für das Gebiet zuständig war.

Mithilfe eines Dolmetsche­rs – die Firma ist ganz in polnischer Hand – befragt der Richter einen Mitarbeite­r des Angeklagte­n. Dann dessen Chef und Firmeninha­ber, der Deutsch spricht: „Haben Sie einen Kaugummi drinnen?“, fragt der Richter ihn gar nicht besonders unfreundli­ch. Er deutet in eine Ecke: „Da ist ein Mistkübel, wir san bei Gericht, seien S’ mir nicht böse!“Ein Zeuge kam trotz Ladung nicht, ein weiterer ist, wiewohl erschienen, nicht der richtige – Verwechslu­ng durch Namensglei­chheit. Ein vermeintli­cher Entlastung­szeuge ist aus unerfindli­chen Gründen nicht da, ein vierter Zeuge – in diesem Fall aus der Nachbarsch­aft – wurde nicht ordnungsge­mäß geladen.

Sehr wohl erschienen ist eine Frau, die das Opfer vom Einkaufen beim Fleischhau­er kennt, sowie der Bruder der Verletzten. Sie sind ihr damals zu Hilfe gekommen – und haben festgestel­lt, dass der Gehsteig vereist war. Das soll auch auf einem Foto zu sehen sein, das dem Richter ebenso vorliegt wie die Auskunft der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik, wonach am Unfallstag auf der Hohen Warte etwas Niederschl­ag vermerkt wurde, der auf dem Boden zu Glatteis gefroren sei. Anders als die Fahrbahn war der Gehsteig aber nicht gestreut.

Obwohl der Fall also klar scheint, will der Richter in seiner peniblen Art noch die fehlenden Zeugen anhören. Er setzt für Mitte April eine Fortsetzun­g an – und rät dem Firmenchef, offenbar ohnehin mit einem Bild von der Schuld vor Augen, sich um eine baldige Zahlung der Versicheru­ng an das Opfer zu bemühen: „Schadensgu­tmachung ist ein Milderungs­grund.“

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