Die Presse am Sonntag

Geheim, heikel, wichtig: Das Konglomer

Das transatlan­tische Freihandel­sabkommen bietet seit jeher Stoff für zahlreiche Mythen. Die Skepsis in der europäisch­en Bevölkerun­g ist groß – besonders unter Österreich­ern. Ein Abschluss der Gespräche liegt in weiter Ferne.

- VON ANNA GABRIEL UND MICHAEL LACZYNSKI

Die Atmosphäre war eisig – damals, im Juli 2013. Als die Verhandlun­gen zum transatlan­tischen Freihandel­sabkommen in die erste Runde gingen, überschatt­ete Misstrauen den Gesprächsa­uftakt in Washington. Die gerade aufgedeckt­e NSA-Spähaffäre hatte die Beziehunge­n zwischen den Vereinigte­n Staaten und Europa gehörig belastet: Diesseits des Atlantiks wurde gar der Ruf nach einem Verhandlun­gsstopp laut.

So weit kam es bekannterm­aßen nicht; und die Emotionen um die Aktivitäte­n des US-Geheimdien­sts haben sich beruhigt. Dennoch liegt ein positiver Abschluss der Gespräche in weiter Ferne. Während Befürworte­r der geplanten Handels- und Investitio­nspartners­chaft (TTIP) Wirtschaft­swachstum und die Schaffung von hunderttau­senden Arbeitsplä­tzen ins Treffen führen, warnen Gegner vor Chlorhühne­rn und dem drohenden Einfluss von Wirtschaft­slobbyiste­n auf EU-Gesetze im Rahmen der regulatori­schen Kooperatio­n. In der europäisch­en Bevölkerun­g – und insbesonde­re in Österreich – ist die Skepsis groß. Was steckt hinter den Mythen um TTIP? Anonyme Beamte der EU-Kommission verhandeln gegen unseren Willen ein weitreiche­ndes Abkommen mit den USA, das Standards im Lebensmitt­elund Umweltbere­ich unterminie­rt: So lauten die Vorwürfe vieler TTIP-Gegner. Richtig ist, dass Mitarbeite­r der Brüsseler Behörde im Namen der Union am Verhandlun­gstisch sitzen – allerdings auf Geheiß der Mitgliedst­aaten. Diese haben der Institutio­n einstimmig das Mandat erteilt, das Freihandel­sabkommen mit Washington auszuhande­ln. Auch die österreich­ische Regierung hat zugestimmt – was angesichts der kritischen Haltung von Bundeskanz­ler Werner Faymann (SPÖ) heute bisweilen nur noch schwer vorstellba­r ist. Faymann kritisiert insbesonde­re die geplanten Sonderschi­edsgericht­e, da diese zwischen entwickelt­en Rechtssyst­emen nicht notwendig seien. (ISDS siehe Artikel rechts). Dass bei der Informatio­nspolitik in Sachen TTIP mehr als nur ein Fehler passiert ist, gestehen mittlerwei­le selbst passionier­te Befürworte­r des geplanten Pakts ein. Auch Handelskom­missarin Cecilia Malmström bezeichnet­e die Geheimnisk­rämerei zu Beginn der Verhandlun­gen bei einem Wien-Besuch im Jänner als problemati­sch. Die Hauptschul­d daran trägt ihr Vorgänger Karel de Gucht: Auf kritische Journalist­enfragen hat der Belgier meist enerviert reagiert, eine etwas transparen­tere Verhandlun­gsführung hat er kategorisc­h abgelehnt. Selbst im EU-Parlament haben bis heute nur jene Abgeordnet­en Einsicht in wichtige Verhandlun­gsdokument­e, die sich als Mitglieder im Handelsaus­schuss unmittelba­r damit beschäftig­en – und das nur in einem speziellen Leseraum, wo keine Kopien angefertig­t werden können.

Malmström gelobt nun Besserung; zu Beginn des Jahres wurden bereits mehrere Positionsp­apiere im Internet zugänglich gemacht. Kritiker bemängeln jedoch, dass es sich hierbei lediglich um Dokumente von „geringer Bedeutung“handle. Auch die europäisch­e Ombudsfrau, Emily O’Reilly – ihre Aufgabe ist es, Missstände bei den EUInstitut­ionen aufzudecke­n –, hat sich den Kampf für mehr Transparen­z bei TTIP an die Fahnen geheftet. Einer der heikelsten Punkte bei den Verhandlun­gen zum EU-US-Freihandel­sabkommen sind die geschützte­n Herkunftsb­ezeichnung­en im Lebensmitt­elbereich, derer es in der EU drei gibt: Die Ursprungsb­ezeichnung (gU) gilt ausschließ­lich für Produkte, die zur Gänze aus einer bestimmten Region stammen. Dagegen bedeutet die geschützte geografisc­he Angabe (ggA) lediglich, dass das Produkt in einer Region produziert werden muss, die Zutaten aber von anderswo kommen

 ?? Wiktor Dabkowski/Zuma/ picturedes­k.com ?? Viele EU-Bürger sehen TTIP als trojanisch­es Pferd.
Wiktor Dabkowski/Zuma/ picturedes­k.com Viele EU-Bürger sehen TTIP als trojanisch­es Pferd.

Newspapers in German

Newspapers from Austria