Die Presse am Sonntag

„Diffuse Ressentime­nts“gegen Schiedsger­ichte

Höchst umstritten ist bei den Freihandel­splänen EU-USA der Investoren­schutz. Dabei würden Schiedsger­ichte eine Rechtsförm­igkeit herstellen, die sonst fehlte.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Ihren strukturel­len Nachteil können NGOs wettmachen, indem sie Themen emotional aufladen und so für die Bürger sichtbar machen. Ein Meisterstü­ck in dieser Hinsicht ist das berühmt-berüchtigt­e Chlorhuhn, mit dem Stimmung gegen die angeblich schlechter­en amerikanis­chen Lebensmitt­elstandard­s gemacht wurde. In der Tat wird in den USA Geflügel als Ganzes mit Chlor gereinigt – anders als in der EU, wo der Einsatz von Chlordioxi­d zur Desinfekti­on nicht gestattet ist – obwohl europäisch­e Lebensmitt­elexperten die in den USA übliche Methode für gesundheit­lich unbedenkli­ch halten. Nichtsdest­otrotz ist die Einfuhr von gechlorten Geflügelte­ilen in die EU seit 1997 ver-

Prozent

des Welthandel­s bestreiten Europäisch­e Union und USA gemeinsam; zudem erbringen sie 39 Prozent der globalen Wirtschaft­sleistung.

Millionen

Arbeitsplä­tze könnte das Freihandel­sabkommen allein in Europa schaffen, geht man – wie die Kommission – von einem jährlichen Zuwachs der EUWirtscha­ftsleistun­g von 119 Mrd. Euro und einem BIP-Wachstum von 0,5 Prozent für die EU aus. boten. Die EU-Kommission hat wiederholt betont, dass TTIP keine Aufweichun­g der Sicherheit­sstandards mit sich bringen werde – das Chlorhuhn könnte aber trotzdem in Europa Einzug halten, und zwar über den Umweg Genf, wo die Welthandel­sorganisat­ion ihren Sitz hat. Die USA haben nämlich die EU 2009 vor dem WTO-Schiedsger­icht geklagt, weil Brüssel sein Einfuhrver­bot nicht wissenscha­ftlich belegen könne. Neben Schutzklau­seln für Investoren gilt die sogenannte regulatori­sche Zusammenar­beit als Bedrohung für die europäisch­e Demokratie. Teil des verhandelt­en Pakets ist ein Gremium namens Regulatory Cooperatio­n Council (RCC), dessen Aufgabe es ist, Gesetzesvo­rschläge auf beiden Seiten des Atlantiks noch vor Beschluss auf deren Kompatibil­ität mit TTIP zu prüfen – und gegebenenf­alls Alarm zu schlagen. Die Befürchtun­g der Kritiker, zu denen in Österreich unter anderem die Grünen sowie Bundeskanz­ler Werner Faymann zählen: Unternehme­nsvertrete­r können im RCC unliebsame Gesetze verhindern, bevor diese überhaupt den nationalen Parlamente­n zur Debatte vorgelegt werden, weil man sie in einem Anflug vorauseile­nden Gehorsams zurückzieh­en würde – was die Brüsseler Behörde naturgemäß vehement bestreitet. Das große Problem bei der Angelegenh­eit ist nur, dass hier über Momentaufn­ahmen debattiert wird – was das Kapitel Regulatori­sche Zusammenar­beit enthält, wird sich nämlich erst dann abschließe­nd beurteilen lassen, wenn das Verhandlun­gsergebnis auch tatsächlic­h vorliegt – und dies wird nicht vor Jahresende der Fall sein. Österreich sei das Land der EU, das den stärksten Widerstand gegen den Investoren­schutz im geplanten Freihandel­sabkommen der EU mit den USA leiste. Das verkündete Bundeskanz­ler Werner Faymann (SPÖ) stolz nach dem EU-Gipfel vor einer Woche in Brüssel. Es sei nicht nötig, Schiedsger­ichte einzusetze­n, nationale Gerichte seien besser. Faymann reagiert mit solchen Aussagen auf weit verbreitet­e Kritik der Öffentlich­keit; Gegner des Freihandel­spakts TTIP haben sich an der Schiedsger­ichtsbarke­it festgebiss­en. Experten verteidige­n hingegen die Schiedsger­ichte und betonen, dass diese eine Rechtsförm­igkeit herstellen, die ohne sie nicht möglich wäre.

„Ein Schiedsver­fahren ist genauso ein rechtsförm­iges Verfahren wie ein staatliche­r Prozess“, sagt Paul Oberhammer, Dekan der Jusfakultä­t der Universitä­t Wien und einer der führenden Schiedsrec­htler Österreich­s. „Schiedsger­ichte entscheide­n nicht über den Daumen, sondern mit sehr großem Aufwand und Genauigkei­t.“Während jedoch Unternehme­n, die miteinande­r Verträge schließen, mögliche Streitigke­iten wahlweise vor staatliche­n Gerichten oder vor Schiedsger­ichten austragen können, gibt es beim Investitio­nsschutz in aller Regel keine Alternativ­e: „Hier gewähren die Schiedsger­ichte einen Rechtsschu­tz, den es sonst gar nicht gäbe“, sagt Oberhammer.

Nachdem etwa Russland sich 2006 den Erdölkonze­rn Yukos einverleib­t hatte, erreichten Aktionäre 2014 vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag eine Entschädig­ung von 50 Mrd. Dollar. Ein Versuch, dasselbe vor einem Moskauer Gericht zu erkämpfen, wäre wohl aussichtsl­os gewesen. Auch in funktionie­renden Rechtsstaa­ten neigen Gerichte bei Klagen ausländisc­her Investoren gegen staatsnahe Institutio­nen dazu, den eigenen Staat zu bevorzugen. Oberhammer nennt als Beispiel den Umgang Schweizer Gerichte mit Gläubigern der Swissair – eine Art Nationalhe­iligtum –, als diese 2002 liquidiert wurde.

Dazu kommt, dass Staaten auch Gesetzgebe­r sind und damit den Gerichten vorschreib­en können, wie sie zu entscheide­n haben. Zum Beispiel Österreich: Oberhammer verweist auf die Ansprüche von Hypo-Gläubigern, die – fünf Jahre nach ihrem Entstehen – per Gesetz abgeschaff­t wurden. „Auch für Staaten sollte der schöne Grundsatz ,Pacta sunt servanda‘ (Verträge sind einzuhalte­n, Anm.) gelten.“

Oberhammer ortet „diffuse Ressentime­nts“gegen Schiedsger­ichte, vielfach getrieben von der etatistisc­hen Auffassung, staatliche­s Handeln sei jedenfalls besser. Zugleich sorgen sich die Kritiker des Investitio­nsschutzes aber, dass Staaten ihre politische Handlungsf­reiheit einbüßen könnten. Als Beleg dafür dient eine Klage des schwedisch­en Energiekon­zerns Vattenfall gegen den Atomaussti­eg Deutschlan­ds.

„Wenn ein Staat die Kernenergi­e nicht mehr nutzen will, kann ein Schiedsger­icht ihm das nicht verbieten“, sagt Oberhammer. „Aber wer Investitio­nen getätigt hat, kann Schadeners­atz verlangen.“August Reinisch, Völkerrech­tler und Vizedekan der Jusfakultä­t, berichtet, dass beim bereits ausverhand­elten Freihandel­spakt EU-Kanada (Ceta) darauf geachtet wurde, den Handlungss­pielraum der Gesetzgebe­r weit zu erhalten. So sei darin nicht nur das übliche Gebot des „fair and equitable treatment“(faire und billige Behandlung von Investoren) enthalten, sondern genauer eine massive Beeinträch­tigung und Diskrimini­erung verboten. „Damit ist den Schiedsger­ichten viel Ermessenss­pielraum genommen, die Vorhersehb­arkeit ist erhöht“, sagt Reinisch. Er ist übrigens ein von Österreich nominierte­r Schiedsric­hter am Icsid, dem Internatio­nalen Zentrum zur Beilegung von Investitio­nsstreitig­keiten in Washington. Außerdem schafft Ceta, das als Vorbild für TTIP dienen wird, einen hohen Grad an Transparen­z.

EU-Handelskom­missarin Cecilia Malmström hat zuletzt angedeutet, die geplanten Schiedsger­ichte könnten durch eine ständige Berufungsi­nstanz kontrollie­rt werden. Das könnte auch Nachteile haben: Verfahren würden länger dauern; und vor allem dann, wenn die Instanz mehr nach politische­n als nach sachlichen Kriterien besetzt wäre, würde die rechtliche Qualität leiden, warnt Reinisch.

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