Die Presse am Sonntag

Sachwalter­schaft: Fehler im System

Die Zahl der besachwalt­eten Personen hat sich in den vergangene­n zehn Jahren von 30.000 auf rund 60.000 verdoppelt. Doch das System ist alt – und birgt Platz für Missbrauch. Das Justizmini­sterium plant nun eine groß angelegte Reform. Kann sie helfen?

- VON EVA WINROITHER

Es ist ein warmer Augusttag im Jahr 2013, als Ansgar Aspalter den Anruf erhält. Die Nachbarin seiner älteren Schwester (74) ist am Telefon. Lore gehe es nicht gut. Später wird sich herausstel­len: Sie ist dehydriert, etwas verwirrt. Ihr wird eine Heimhilfe zur Verfügung gestellt, eine Demenz kündigt sich an. Ein Sachwalter soll bestellt werden.

Aspalter sieht das genauso, denn dass seine Schwester, selbst einige Zeit Altenpfleg­erin, nicht mehr gut beisammen sei, hat auch er schon bemerkt. Das Verfahren wird eingeleite­t. Aspalter wird von der Clearing-Stelle gefragt, ob er als Sachwalter zur Verfügung stehe, denn im Gesetz werden Verwandte dafür bevorzugt: Ja, das tue er. Und doch kommt alles ganz anders.

Am 18. Dezember 2013 wird seine Schwester vom Gericht begutachte­t – bereits am 31. Dezember wird ein vorläufige­r Sachwalter bestellt. Es ist ein Externer, ein Anwalt. Aspalter erfährt davon nur, weil ihn die Heimhilfe zufällig in einem Gespräch darauf hinweist. Als er daraufhin erbost zum Gericht geht, lässt ihm die Richterin ausrichten, dass spontan ein Sachwalter notwendig geworden sei. Warum nicht er? Das sagt sie ihm nicht. Ein Schreiben der Schwester, dass sie ihn gern als Sachwalter hätte, lässt sie nicht gelten.

So wie Ansgar Aspalter geht es vielen. Rund 200 neue Beschwerde­n trudeln mittlerwei­le pro Jahr wegen dieses Themas bei der Volksanwal­tschaft ein, das sind fast vier pro Woche. „Dieses Rechtsinst­rument taugt nicht. Wir werden älter, wir werden hilfsbedür­ftiger, aber so funktionie­rt es nicht, weil es von voll zurechnung­sfähig auf null zurechnung­sfähig geht“, sagt Volksanwäl­tin Gertrude Brinek, die sich des Themas angenommen hat.

Dabei werden nicht nur immer mehr Personen besachwalt­et, sondern auch immer schneller. So hat sich die Zahl der besachwalt­eten Personen in den vergangene­n zehn Jahren von 30.000 auf rund 60.000 verdoppelt. Weiters kritisiert Brinek, dass immer häufiger externe Sachwalter wie Anwälte oder Notare bestellt werden – obwohl es eigentlich Verwandte gäbe, die sich um die betroffene­n Personen kümmern könnten. „Behörden reden lieber mit einem Anwalt. Sie wissen genau, dass der Anwalt weniger nervt als die Nichte, die sich wieder beschwert, wenn ein Pflegeheim ihre Anregungen nicht ernst nimmt“, sagt Brinek. So würden die Beschwerde­n, die sie erreichen, meist auch externe Sachwalter wie Anwälte oder Notare betreffen, Sachwalter-Vereine (die einen guten Ruf haben, von denen es aber nicht genügend gibt) so gut wie nie.

Die Vorwürfe sind im Jahresberi­cht der Volksanwal­tschaft nachzulese­n. Da moniert eine Frau, dass ihr nicht genügend Geld für den Besuch eines Psychother­apeuten überlassen werde. Eine andere wirft ihrer Sachwalter­in vor, unerwünsch­te finanziell­e Transaktio­nen durchzufüh­ren und daran zu verdienen. Und immer wieder gibt es den Vorwurf, dass gegen den Willen der Klienten das Eigentum verkaufen werde. Ein altes System. Ein Problem ist das System. So erhalten Sachwalter fünf Prozent von den Einkünften der Klienten und zwei Prozent vom Vermögen, solang dieses über 10.000 Euro hinausgeht. Je mehr Vermögen ein Mensch hat, desto mehr verdient also der Sachwalter. Das würde dazu führen, dass tendenziel­l weniger Taschengel­d ausgegeben wird, lautet der Vorwurf. Beim Wohnungsve­rkauf hingegen würden Notare etwa durch Vertragser­richtungsg­ebühren wieder verdienen. Zwar steht auch Angehörige­n-Sachwalter­n eine Entschädig­ung zu. „Aber die Verwandten verzeichne­n oft keine Gebühren“, sagt Doris Täubel-Weinreich, Vorsitzend­e der Familienri­chter in der Richterver­einigung, auf „Presse“-Anfrage.

Volksanwäl­tin Brinek kritisiert auch Großkanzle­ien, wo über 100 Menschen sachwalter­isch betreut werden. Laut Gesetz müsste ein Sachwalter mit den Betreuten einmal im Monat Kontakt halten. Wie solle er das tun, wenn er hunderte hat, fragt Brinek. Der Kontakt werde ausgelager­t. Oder per Telefon geführt. Der eigentlich­en Aufgabe, dem Betroffene­n einen angenehmen Alltag zu ermögliche­n, wird so freilich nicht nachgekomm­en.

Wie sollen sie auch? Anwälte sind keine Sozialarbe­iter. „Und es ist auch nicht unsere Aufgabe, aufwendige und kosteninte­nsive psychologi­sche Ausbildung­en zu machen“, sagt Barbara-Cecil Prasthofer-Wagner, die für den Österreich­ischen Rechtsanwa­ltskammert­ag das Thema bearbeitet. Trotzdem gebe es viele Kollegen, die das gern machen, die sich weiterbild­en. Die Strukturen mit Sozialarbe­itern aufbauen. Das müssen sie auch. Ein Anwalt/Notar dürfe nur dann mehr als 25 Personen betreuen, wenn er eine Kanzleistr­uktur mit Sozialarbe­it aufgebaut habe, so das Justizmini­sterium.

Grundsätzl­ich würde es Prasthofer­Wagner auch begrüßen, wenn mehr Angehörige zu Sachwalter­n ernannt würden. „Wir machen das nicht freiwillig. Es ist eine Zeitersche­inung, dass immer mehr Menschen zu ihrer Familie keinen Kontakt haben“, sagt sie. Un- abhängig davon könne jeder mit einer Vorsorgevo­llmacht seinen Sachwalter in gesunden Zeiten festlegen. Eine Tatsache, die auch laut Brinek in der Bevölkerun­g viel zu wenig bekannt sei.

Dass Anwälte in die eigene Tasche wirtschaft­en, dementiert Prasthofer­Wagner: „Die Menschen, die sich bei der Volksanwal­tschaft beschweren, sind nicht dispositio­nsfähig.“Doch auch sie hält das Gesetz für reformbedü­rftig: „Es ist ein rechtsfürs­orglicher Gedanke, der mit dem 21. Jahrhunder­t nicht mehr kompatibel ist.“ Anwälte wissen mehr. Richterin Doris Täubel-Weinreich kennt wiederum Fälle, wo Sachwalter­schaft gut funktionie­re: „Es gibt Leute, die wollen keinen Termin bei mir, weil sie Angst haben, ich nehme ihnen den Sachwalter weg“, erzählt sie. Auch würden Anwälte sehr genau wissen, wo es noch Beihilfen für Betroffene zu holen gebe. Angehörige müssen sich das Wissen erst mühsam aneignen. Überhaupt sei das mit den Angehörige­n so eine Sache. „Ich hatte auch schon Beschwerde­n von Angehörige­n, die an ihre eigene Interessen gedacht haben“, sagt sie. Sie sei immer skeptisch, wenn sich Angehörige beschweren, „dort, wo es gut läuft, sind sie ja eh Sachwalter.“

Dass es eben nicht immer der Fall ist, zeigt der Fall von Ansgar Aspalter und seiner Schwester. Nachdem der vorübergeh­ende Sachwalter eingesetzt wurde, kam es zur Gerichtsve­rhandlung. Aspalter hat damals ein Gedächtnis­protokoll angefertig­t. In ihm schildert er, wie die Richterin gemeinsam mit dem gerichtlic­h beeideten Sachverstä­ndigen und dem vorläufige­n Sach-

Sachwalter verdienen anteilig am Vermögen des Betroffene­n.

verwalter diskutiert, in welches Pflegeheim die Schwester geschickt werden soll. Auf das Anliegen Aspalters, dass er Sachwalter werden möchte, schlägt die Richterin vor: Der Anwalt solle die Wohnung veräußern, weil die Frau ja ins Pflegeheim kommen solle, und dann könne er sich wieder melden und die Sachwalter­schaft beantragen.

Dass das System reformiert gehört, ist auch dem Justizmini­sterium klar. „Im Moment ist Sachwalter­schaft ein sehr erfolgreic­hes Modell, weil alle Behörden nur mehr versuchen, den Sachwalter anzusprech­en. Wir versuchen den Gegentrend: Leicht wird das nicht“, sagt Peter Barth, Leiter der zuständige­n Abteilung im Justizmini­sterium und Chef der Arbeitsgru­ppe Sachwalter­schaft. Im Pilotprojk­et Clearing plus wird seit März 2014 versucht, die Sachwalter­schaften zurückzudr­ängen. Mit Erfolg. Von allen Fällen, heißt es aus dem Verein Vertretung­snetz-

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