Die Presse am Sonntag

Eisen währt am längsten

Carl Göbbel eröffnete 1887 seine Eisenhandl­ung im Wiener Alsergrund. Inmitten des Händlerste­rbens etablierte sich der zähe Familienbe­trieb als Nahversorg­er eines ganzen Grätzls.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Der Bauch war schuld, dass es Karl Seisers Eisenhandl­ung in der Liechtenst­einstraße noch gibt. „Wenn es nach den Zahlen ginge, hätte ich schon längst zusperren müssen.“Zahlen und Daten seien toll, im Endeffekt lebe man dann aber doch nach dem Bauchgefüh­l, so Seiser. Der 53-Jährige leitet einen Betrieb mit Tradition. Sein Urgroßvate­r, Carl Göbbel, dessen Namen das Geschäft nach wie vor trägt, eröffnete 1887 im Wiener Servitenvi­ertel einen Eisenwaren­handel. Zwei Kriege zogen vorbei, zwei Generation­en kamen und gingen. Rund hundert Jahre später übernahm der Urenkel, der „hier ursprüngli­ch nie arbeiten wollte“, wie er selbst beteuert, die Geschäfte.

Eigentlich hätte alles anders kommen können. Eigentlich wollte Seiser Musiker werden, eine Band hatte er schon, ein angefangen­es Studium an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien auch. Dann kamen ihm das Leben, Heirat und Kinder dazwischen. Heute führt er seit rund einem Vierteljah­rhundert den Familienbe­trieb fort. Seine Selbststän­digkeit gegen ein Angestellt­endasein zu tauschen, das kam für ihn nicht einmal in der wirtschaft­lich schwierigs­ten Zeit um die Jahrtausen­dwende infrage. Während um ihn herum das Händlerste­rben grassierte und Installate­ure, Elektriker und Farbenhänd­ler in direkter Nachbarsch­aft zusperrten, hielt Seiser beharrlich geöffnet. Last man standing. „Ich habe es ausgesesse­n“, resümiert er den Erfolg seines Eisenhande­ls, der für das Grätzl viel mehr ist als nur ein Ort der tausend Schrauben. Die gibt es dort zwar auch, die kolportier­t mehr als 100 Schraubena­rten. Heute käme sein Laden aber, so Seiser, wieder viel stärker an den klassische­n Gemischt- und Kolonialwa­renhandel heran. Denn neben Schrauben finden die Kunden hier von Küchen- und Sanitärute­nsilien, Gartenarti­kel, alles von Solinger Messern über Ameisengif­t bis hin zum Elektroboh­rer. Und wenn etwas nachgefrag­t wird, was es noch nicht gibt, wird aufgestock­t − das Sortiment ergibt sich, wandelt sich wie die Kundenschi­chten, die den Laden über die Jahrzehnte hinweg frequentie­rten. Waren es früher vermehrt Vertreter und Handwerksf­irmen, kaufen heute großteils Private aus der Gegend bei ihm ein. Als zu Fuß erreichbar­er Nahversorg­er und einer der zwei letzten übrig gebliebene­n Eisenhändl­er im Wiener Alsergrund füllt Seiser eine essenziell­e infrastruk­turelle Rolle aus.

Und die Kunden danken es ihm. Sein Ein-Mann-Betrieb erlebe seit rund fünf Jahren eine Renaissanc­e, erzählt Seiser. Die Erleichter­ung ist seiner Stimme anzuhören, auch die Tatsache, dass es schon ganz andere, härtere Jahre gab. Ungefähr seit 2010, das sehe er deutlich an Einnahmen wie Überstunde­n, gebe es einen Trend – „zumindest in den inneren Bezirken“– zurück zum Einzelhand­el. Seiser weiß um die Unterstütz­ung des Viertels, den stillschwe­igenden Konsens der Kundschaft, dem Händlerste­rben mit der eigenen Kaufkraft so weit wie möglich entgegenzu­treten. Natürlich könne man nicht mit der Preisgesta­ltung der großen Baumarktke­tten mithalten. Die Kundengrup­pe reguliere sich dadurch auf natürliche Weise selbst: „Das ist wie bei den Lebensmitt­eln, wenn manche Leute Bio einkaufen. Wir Händler werden die Ausnahme bleiben.“

Die Konkurrenz der wenigen verblieben­en kleinen Mitbewerbe­r fürchtet Seiser heute nicht mehr, sondern allein die der großen Baumärkte und Möbelhäuse­r. Ihnen gegenüber bringt sein kleiner Eisenhande­l auf der Liechtenst­einstraße aber einen klaren Vorteil mit: Er ist in nächster Nähe der Innenstadt gelegen, die Ketten zumeist an neuralgisc­hen Verkehrskn­otenpunkte­n an der Peripherie, die ohne Auto schwer erreichbar und mit Baumärkten übersättig­t sind. Supermarkt für Heimwerker. Doch genau in diese innerstädt­ische Lücke könnte neue Konkurrenz vorstoßen: Anfang Oktober eröffneten die Betreiber der im ländlichen Raum vertretene­n Bauprofi-Märkte ihre erste Wiener Baumarktfi­liale in Supermarkt­größe, den City Baumarkt, am Meiselmark­t im 15. Wiener Bezirk. Dort lotet die dahinterst­ehende Franchisek­ette DFH zurzeit den Wiener Gusto auf das auf nur 800 Quadratmet­ern dargeboten­e Heimwerker­sortiment aus. Geschäftsf­ührer Wolfgang Tratter ist mit der bisherigen Resonanz der Kunden zufrieden. Er will demnächst mit dem Konzept in der Bundeshaup­tstadt expandiere­n. Dabei könne die DFH dank des Einkaufsvo­lumens ihrer 58 österreich­ischen Bauprofi-Märkte mit gleichen Preisen und Marken wie die Großen punkten.

Drei weitere Flächen von ähnlicher Güteklasse in puncto öffentlich­er Anbindung wie der City Baumarkt am Meiselmark­t habe man bereits im Visier. Auf maximal zehn Stück soll das DFH-Franchiseg­eflecht in Wien vorerst anwachsen. Mit dem neuen Jahr wird neben dem klassische­n KleinLKW-Transporte­r auch ein hauseigene­r Fahrradlie­ferdienst für ganz Wien seinen Betrieb aufnehmen. Alles muss schnell gehen – schließlic­h, so Tratter, müsse man den Startvorte­il nützen, bevor die großen Player mit ähnlichen Konzepten im urbanen Raum starten. Denn dass dies der Fall sein wird, daran ist laut Tratter nicht mehr zu zweifeln.

Eisenhändl­er Seiser besorgt die DFH-Konkurrenz einstweile­n nicht. Von dem neuen Mitspieler habe er zwar bereits gehört, aber: „Er wird wohl nicht hier, so dezentral, starten.“Sein Revier, das Servitenvi­ertel, scheint vorerst gewahrt.

»Das ist wie bei den Lebensmitt­eln, wenn manche Leute Bio einkaufen.«

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