Gegen Paranoia hilft auch kein Impfen
Zu JŻhresãeginn entfŻchte ein Masernausbruch in den USA ©ie DeãŻtte um ©ie Immunisierung gegen Kin©erkrŻnkheiten. Vor Żllem ãessergestellte Eltern lehnen Schutzimpfungen Żã un© gef´hr©en so nicht nur ©ie Gesun©heit ihrer eigenen Kin©er.
Knapp vor Weihnachten gerieten amerikanische Impfgegner noch einmal richtig in Rage. „Masernimpfstoff tötet mehr Menschen als die Masern, beweisen CDC-Daten“, warnte eine Schlagzeile des bei Verschwörungstheoretikern beliebten Internetportals naturalnews.com (wo sich übrigens auch die Behauptung findet, die UN-Weltgesundheitsorganisation WHO würde Tetanusimpfstoffe mit einer „Sterilisationschemikalie“mischen, um einen Genozid an Afrikanern zu verüben). Den Beweis dieser angeblich von der US-Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control) vorgelegten Daten über die behauptete Tödlichkeit der Masernimmunisierung und sonstiger Schutzimpfungen gegen Kinderkrankheiten wie Mumps und Röteln sucht man auf auf der Website dieses selbst ernannten „Wahrheitsnachrichtenbüros“zwar vergeblich. Doch für Anhänger konspirativer Welterklärungsmodelle, die hinter allem und jedem den langen Arm globaler Konzerne und schattenhafter Machtzirkel wähnen, ist die Faktizität solcher Behauptungen nebensächlich. Das Impfen ist für sie ein von sinistren Regierungsbeamten und raffgierigen Pharmakonzernen organisierter Angriff auf die Gesundheit ihrer Kinder. Eine Krankheit der Reichen. Nicht nur in den USA ist die Ablehnung der Impfungen gegen Kinderkrankheiten vor allem bei wirtschaftlich bessergestellten und zumindest formal höher gebildeten Eltern bemerkenswert weitverbreitet. Eine im Jahr 2004 im Fachjournal „Pediatrics“veröffentlichte Auswertung der Daten von 151.720 amerikanischen Kindern legte zum Beispiel offen, dass ungeimpfte Kinder wesentlich öfter weiß sind, eine ältere, akademisch gebildete Mutter haben, die verheiratet ist und deren Haushalt jährlich mehr als 75.000 Dollar (69.000 Euro) verdient. „Es ist einfach, in Kalifornien Schulen zu finden, wo 30, 40, 50 Prozent der Kinder nicht gegen Masern geimpft sind. Diese Schulen sind tickende Zeitbomben“, sagte Richard Besser, ein früherer Leiter der CDC, im Februar im Gespräch mit Journalisten.
Genau dort, in Kalifornien, genauer im Vergnügungspark Disneyland, brachen Ende 2014 die Masern aus. Binnen weniger Wochen verbreiteten sie sich in sieben weiteren US-Teilstaaten sowie in Kanada und Mexiko. Zwar blieb die befürchtete Epidemie aus; 147 Erkrankungen, die auf diesen Ausbruch zurückzuführen waren, wurden bei den CDC registriert. Dennoch war dies eine bedenkliche Entwicklung, denn im Jahr 2000 hatten die USA die Masern für innerhalb ihrer Landesgrenzen ausgerottet erklärt. Doch das Zusammenspiel aus Esoterik, Klassen- dünkel und Autoritätsverlust der Schulmedizin hat den Masern eine zweite Chance in den Industriestaaten gegeben. „Wir haben eine Kehrtwende“, sagte die Immunologin Laurie Garrett von der Washingtoner Denkfabrik Council on Foreign Relations. „Als ich in Afrika zu arbeiten begann, waren die Masern dort der Kinderkiller Nummer eins. Sie waren eine Krankheit der Armut, aber jetzt sind sie eine Krankheit des Wohlstandes.“
Der esoterische Glaube daran, dass man Kinder dadurch immunisieren kann, indem man sie bewusst mit den Masern ansteckt, verknüpft sich mit Geschichtsvergessenheit. Bevor der erste Masernimpfstoff 1963 in den USA zugelassen wurde, erkrankten jährlich drei bis vier Millionen Amerikaner, von denen rund 48.000 in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten und 400 bis 500 starben. An diese Tatsachen erinnerten die CDC Anfang Dezember auf ihrer Website in einem Rückblick auf den Masernausbruch zu Jahresbeginn, und das war auch der Anlass für die wütenden Reaktionen der Impfgegner und Verschwörungstheoretiker. Das Beispiel Hepatitis B. Doch um die neue Impfdebatte wirklich zu verstehen, muss man die Wirkung eines Klassendünkels berücksichtigen. „Debatten über das Impfen werden oft als Debatten über die Rechtschaffenheit der Medizin dargestellt, obwohl sie genauso gut als Konversationen über Macht verstanden werden können“, schreibt die Autorin Eula Biss in ihrem Buch „Immunity: An Inoculation“. Maßnahmen zur Stärkung der Volksgesundheit seien in den Augen der Oberschicht oftmals nicht für sie selbst bestimmt, sondern für die Ärmeren, Ungebildeten, Zugereisten, denen man einen riskanten Lebensstil unterstelle. Biss erinnert an die Einführung der Impfung gegen Hepatitis B in den USA. Sie wurde zuerst nur für „Risikogruppen“empfohlen, also Gefängnisinsassen, Homosexuelle, Ärzte und Pfleger sowie Drogensüchtige, die an der Nadel hängen. Doch erst, als jedes Baby verpflichtend geimpft wurde, gingen die Ansteckungsraten zurück.