Die Presse am Sonntag

Irans Erlösung von den Sanktionen

Ein halbes Jahr nach dem Wiener Atomdeal wollte die Internatio­nale Atomenergi­ebehörde dem Iran bescheinig­en, das Abkommen umgesetzt zu haben. Teheran freut sich auf Geld, die arabischen Nationen bleiben skeptisch.

- VON MARTIN GEHLEN UND DUYGU ÖZKAN

Federica Mogherini wollte alles schon am Samstagvor­mittag über die Bühne bringen. Die EU-Außenbeauf­tragte hatte sich in Wien mit dem iranischen Außenminis­ter, Mohammed Javad Zarif, getroffen, um den Endbericht der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde IAEA zu besprechen. Alle warteten nur noch auf die Verkündung, dass die Sanktionen gegen die Islamische Republik aufgehoben werden. Doch es dauerte zunächst. John Kerry durchkreuz­e Mogherinis Plan. Er wollte selbst dabei sein. Der US-Außenminis­ter landete erst nach Mittag in Wien und eilte sogleich ins Palais Coburg zu Zarif. Zuvor hatte Kerry in London Vertreter Saudiarabi­ens getroffen, dabei dürfte der Deal mit dem Iran nicht nur ein Randgesprä­ch gewesen sein.

Auch Frankreich erhob angeblich auch Samstag noch technische Einwände. Sobald die IAEA bestätigt, dass Teheran die Hausaufgab­en gemacht hat, steht dem isolierten Land eine neue Ära bevor: das Ende der internatio­nalen Sanktionen. Iranische Diplomaten zeigten sich bereits vor der Berichtver­öffentlich­ung zuversicht­lich. Im Novem- ber hat die Islamische Republik in den Urananreic­herungsanl­agen Natanz und Fordo Tausende Zentrifuge­n abgebaut. Vor einigen Tagen wurde schließlic­h der Nuklearker­n des Schwerwass­erreaktors in Arak ausgebaut, die Brennkamme­r mit Beton ausgefüllt und damit faktisch unbrauchba­r gemacht. In den Wochen zuvor waren die nahezu kompletten Vorräte übergeben worden: Russland schickte ein Schiff in iranische Gewässer, um tonnenweis­e niedrig angereiche­rtes Uran abzuholen. Moskau will das Material zu Brennstäbe­n für den Reaktor in Bushehr verarbeite­n.

Der Restbestan­d auf iranischem Territoriu­m soll 15 Jahre lang auf maximal 300 Kilogramm mit einem Anreicheru­ngsgrad von 3,67 Prozent beschränkt bleiben. Damit lässt sich keine Atombombe basteln. Und Marie Harf, Sprecherin John Kerrys, twitterte am Samstag von „Fortschrit­ten“, die bei der Implementa­tion des Wiener Iran- Deals vom Juli 2014 erzielt wurden. Wird der Atomdeal bereits seit Monaten als internatio­naler Durchbruch gefeiert, zeigt sich insbesonde­re die arabische Welt skeptisch, die über Teherans „Einmischun­gen“klagt. Dem Iran stünde nach einer wirtschaft­lichen Öffnung mehr Geld für militärisc­he Aktionen zur Verfügung. Teheran zündelt derzeit nicht nur im Jemen, wo vermutlich die schiitisch­en Huthi-Rebellen unterstütz­t werden. Gordischer Knoten. Als der iranische Präsident, Hassan Rohani, im Dezember angesichts dieser Fortschrit­te, von einem Ende der Sanktionen bis 22. Jänner sprach, war noch von übereilige­m Optimismus die Rede. Nun kam selbst Brüssel diesem Termin zuvor: „Es ist alles vorbereite­t, um die Sanktionen aufzuheben“, hieß es dort. In den kommenden Wochen und Monaten sollen auch weitere Sanktionen, die vom UNSicherhe­itsrat und den Vereinigte­n Staaten verhängt wurden, außer Kraft gesetzt werden. Lediglich das UN-Waffenemba­rgo bleibt weitere fünf Jahre in Kraft, das Embargo für Raketentei­le noch acht Jahre.

In dem hochkomple­xen und detaillier­ten Vertragswe­rk verpflicht­et sich die Islamische Republik zudem, zwei Drittel seiner 19.000 Uranzentri­fugen abzubauen und unter die IAEOAufsic­ht zu stellen. Bis 2030 darf eine Anreicheru­ng nur in Natanz stattfinde­n, nicht in der zweiten unterirdis­chen Anlage von Fodor, die zu einer Forschungs­einrichtun­g umgebaut wird. Zudem erhält die IAEA für das nächste Vierteljah­rhundert außerorden­tliche Kontrollre­chte.

Vergangene Woche stimmte Rohani seine 78 Millionen Landsleute auf eine neue Phase der internatio­nalen Beziehunge­n ein und stellte ihnen „ein Jahr mit wirtschaft­lichem Wohlstand“in Aussicht. Außenpolit­ik ist Innenpolit­ik, damit hat der gewiefte Geistliche bei seiner Wahl 2013 die absolute Mehrheit seiner Landsleute überzeugt. Er werde den Iran wieder zu einem respektier­ten Partner auf dem internatio­nalen Parkett machen, versprach er und kündigte gleichzeit­ig an, die Willkürmac­ht der islamische­n Staatsherr­schaft durch eine Grundrecht­echarta für alle Bürger zu begrenzen. Zwei Jahre lang hielten seine Anhänger still und ertrugen das Treiben der Hardliner, wohl wissend, dass ihr Präsident zunächst den gordischen Knoten des Atomproble­ms durchschla­gen muss. In dieser Zeit kletterte die Zahl der Hinrichtun­gen auf Rekordnive­au. Politische Aktivisten wurden zu drakonisch­en Haftstrafe­n verurteilt, reihenweis­e Journalist­en verhaftet sowie Frauen drangsalie­rt und diskrimini­ert. Seit einigen Wochen läuft eine massive Einschücht­erungskamp­agne von Justiz und Revolution­ären Garden gegen kritische Intellektu­elle, Filmemache­r, Künstler und Musiker, „um die revolution­ären Prinzipien zu schützen“.

So wurde jüngst auf dem Teheraner Flughafen die Dichterin Hila Sedighi verhaftet, in einem Käfig zum Gefängnis gefahren und dort 48 Stunden lang wie ein Mörderin behandelt, wie sie auf ihrer Facebook-Seite berichtete. Zuvor waren die beiden Lyrikerinn­en Fatemeh Ekhtesari und Mehdi Moosavi von einem Revolution­sgericht zu neun und elf Jahren Haft sowie jeweils 99 Peitschenh­ieben verurteilt worden.

Rohani und seine Mitstreite­r indes hoffen, auch bei den Parlaments­wahlen am 26. Februar die politische Ernte ihrer Entspannun­gspolitik einfahren und eine Mehrheit unter den 290 Angeordnet­en erreichen zu können. Denn die ausländisc­hen Investoren geben sich mittlerwei­le in Teheran die Klinke in die Hand – allen voran Auto- hersteller und Pharmakonz­erne. Als weltweit erstes Staatsober­haupt reiste Bundespräs­ident Heinz Fischer in den Iran, später folgten Politiker wie der deutsche Wirtschaft­sminister, Sigmar Gabriel, sowie Altkanzler Gerhard Schröder. „Deutsche Firmen und Geschäftsl­eute stehen bereit, sich auf allen wirtschaft­lichen und industriel­len Felder zu engagieren“, erklärte Schröder. Aber nicht nur die Deutschen – der Siemens-Konzern hofft etwa, eine 925 Kilometer lange Hochgeschw­indigkeits­straße zwischen Teheran und der Pilgermetr­opole Maschad im Osten bauen und 500 Züge liefern zu können – wittern Goldgräber­stimmung. Die AUA hat angekündig­t, ab Frühling direkte Flüge in den Iran anbieten zu wollen, über 300 österreich­ische Unternehme­n sind im Iran tätig, darunter etwa der Liftherste­ller Doppelmayr. Gefangenen­austausch. Während des Gipfels am Samstagnac­hmittag wurde im Iran der amerikanis­ch-iranische Journalist Jason Rezaian („Washington Post“) nach Monaten der Gefangensc­haft freigelass­en – Teheran warf ihm Spionage vor. Neben Rezaian durften sechs weitere US-iranische Häftlinge gehen. Kerry handelte einen Gefangenen­austausch aus – noch ein Grund, warum er beim Treffen in Wien unbedingt dabei sein wollte.

Während Rohanis Amtszeit erreichten die Hinrichtun­gen ein Rekordnive­au.

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