Die Presse am Sonntag

»Ich habe den grünen Flohzirkus zu einer Partei gemacht«

-

Laut Ihrem Antrittsvi­deo wollen Sie, dass Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit garantiert bleiben. Wie machen Sie das als Bundespräs­ident? Alexander Van der Bellen: Das sind ja die drei zentralen Werte aus dem Beginn der Französisc­hen Revolution, die 150 Jahre später Eingang gefunden haben in den Artikel 1 der Menschenre­chte. Für mich sind sie ein sehr schönes Bild für das, worum es geht: Das sind die drei zentralen westlichen Demokratie­werte. Es mögen schöne Werte sein, aber als Präsident haben Sie nicht die Instrument­arien, sie auch durchzuset­zen. Der Bundespräs­ident ist nicht der Ersatzkanz­ler, da haben Sie recht. Der Präsident spricht, lädt ein, informell oder formell. Ich weiß, dass der Alltag von Heinz Fischer sehr oft darin besteht, informelle Gespräche zu führen und zu versuchen, im Hintergrun­d Einfluss zu nehmen, aber nicht auf besserwiss­erische Art. Das Amt des Präsidente­n ist ja ein sehr eigenartig­es: Er hat formal viele Kompetenze­n, aber real wenig Macht. Das ist abgesehen vom französisc­hen Präsidente­n in der Regel so, dass formelle Staatsober­häupter im Wesentlich­en durch ihre Persönlich­keit, durch ihr Verhalten wirken. Aber sie können wenig bewirken. Das würde ich so nicht sagen. Joachim Gauck hat eine noch schwächere Ausgangspo­sition, weil er nicht vom Volk direkt gewählt ist. Und es wird niemand sagen, dass die deutschen Bundespräs­identen der vergangene­n 20 Jahre vollkommen einflusslo­s waren. Bleiben wir bei den österreich­ischen Vorbildern: Da gab es Rudolf Kirchschlä­ger, der mahnende Worte gesprochen hat, oder Thomas Klestil, der ein Über-Kanzler sein wollte. Wie würden Sie Ihr Amt anlegen? Ich habe eine positive Einstellun­g zu Thomas Klestil. Bei Kirchschlä­ger haben Sie recht, beim Korruption­sskandal AKH hat er zwar die falsche Metapher gewählt, aber die richtigen Worte gefunden. Die sauren Wiesen gehören nicht trocken gelegt? Das ist ökologisch falsch. Aber jeder hat verstanden, was er meint. Aber wo stehen Sie eher? Ich glaube, meine Stärke ist es, im Inneren zu verbinden und nach außen gut zu repräsenti­eren. Manche sagen ja, den Beweis für das Verbindend­e habe ich erbracht, als ich den grünen Flohzirkus der 1990er-Jahre zu etwas gemacht habe, was einer profession­ellen politische­n Partei entspricht. Der Bundespräs­ident hat eine strikt überpartei­liche Aufgabe, das kann ich gut wahrnehmen, das traue ich mir zu. Vom Flohzirkus der Grünen zum Flohzirkus Österreich? Wenn Sie die jetzige Situation ansehen, so ist sie dadurch charakteri­siert, dass

18. Jänner 1944

Alexander Van der Bellen wird in Wien geboren. Die Mutter ist Estin, der Vater gebürtiger Russe mit niederländ­ischen Vorfahren. Die Familie ist geflüchtet und findet in Tirol eine neue Heimat.

1971

Van der Bellen wird Assistent, später Professor am Institut für Finanzwiss­enschaften der Uni Innsbruck. 1980 wird er Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Universitä­t Wien.

1994

Der Abgeordnet­e Peter Pilz, der bei Van der Bellen studiert hat, bringt seinen Professor in die Politik. Von 1994 bis 2012 gehört er dem Nationalra­t an.

1997

Van der Bellen wird Bundesspre­cher der Grünen, die in seiner Amtszeit von unter fünf auf über zehn Prozent anwachsen. 2008 gibt er den Parteivors­itz an Eva Glawischni­g ab.

2010

Van der Bellen kandidiert bei der Wiener Gemeindera­tswahl auf Platz 29 und erreicht die nötigen Vorzugssti­mmen, wechselt aber erst zwei Jahre später vom Nationalra­t in den Gemeindera­t. Er wird Wissenscha­ftsbeauftr­agter der Stadt Wien.

2016

Nach langer Überlegung­szeit gibt Van der Bellen seine Kandidatur für das Präsidente­namt bekannt. die roten und schwarzen Mitglieder der Bundesregi­erung einander nichts gönnen. In keiner anderen Wirtschaft­sbranche der Welt ist es üblich, den Konkurrent­en ununterbro­chen öffentlich schlechtzu­machen. Das irritiert die Wähler ungemein. Der Bundespräs­ident kann hier eine ausgleiche­nde, beruhigend­e und manchmal mahnende Rolle einnehmen. Jeder erwartet, dass Sie einen Lagerwahlk­ampf führen. Das stimmt mit diesem Bild aber nicht überein. Nein, das passt gar nicht zusammen. Und ich beabsichti­ge auch nicht, einen Lagerwahlk­ampf zu führen. Aber Sie positionie­ren sich schon stark gegen die FPÖ. Nicht gegen die FPÖ, sondern ich habe darauf hingewiese­n, dass es der größtmögli­che Fehler wäre, das Zusammenbr­echen der Europäisch­en Union zu fördern. Das wäre politisch und wirtschaft­spolitisch für alle Mitglieder der Union ganz schlecht. Das ist mein Bedenken gegen die derzeitige Haltung der FPÖ, die erkennen lässt, dass sie ein Auseinande­rbrechen der Union wohlwollen­d in Kauf nehmen würde. Das heißt, die FPÖ soll nur wegen ihrer Europapoli­tik nicht in eine Regierung, nicht wegen ihrer Haltung zu Zuwanderer­n? Der Bundespräs­ident muss sich ganz zentralen Fragen widmen. Natürlich werde ich meine Stimme erheben, wenn Menschenre­chte gefährdet sind. In die Details der Sozialpoli­tik, der Wirtschaft­spolitik, der Finanzpoli­tik, aber auch in die Details der sogenannte­n Ausländerp­olitik werde ich mich aber nur im Rahmen meiner Möglichkei­ten und Kompetenze­n einmischen. Bleiben wir bei den Kompetenze­n: Angenommen, das Parlament beschließt ein Gesetz für eine Obergrenze an Flüchtling­en. Würde Bundespräs­ident Van der Bellen das unterschre­iben? Wenn es verfassung­smäßig zustande gekommen ist und nicht offenkundi­g verfassung­swidrig ist, hat der Bundespräs­ident es zu unterschre­iben. Ich kann mich erinnern, dass Heinz Fischer in einem einzigen Fall ein Gesetz nicht unterschri­eben hat, das von vergleichs­weise peripherer Bedeutung war, aber seiner Ansicht nach offenkundi­g verfassung­swidrig. Aber in der Regel bekundet der Bundespräs­ident ja nicht, dass es ein gutes Gesetz sei, sondern lediglich, dass es verfassung­smäßig zustande gekommen ist. Heinz Fischer hat in noch einem Punkt aktiv und erfolgreic­h intervenie­rt, als die direkte Demokratie stark ausgebaut werden sollte. War das richtig? Ich stimme in diesem Punkt nicht mit den Positionen mancher Grünen überein und konnte die Bedenken von Heinz Fischer sehr gut nachvollzi­ehen. Ich bin ein Anhänger der repräsenta­tiven Demokratie auf Bundeseben­e. Auf der regionalen Ebene sieht das anders aus, da halte ich mehr Bürgerbete­iligung für sinnvoll. Sie betonen, dass Sie ein unabhängig­er Kandidat sind. Was unterschei­det Sie von einem, den die Grünen aufstellen würden? Das fragen mich viele. Mir persönlich war es wichtig, von Anfang an ein überpartei­liches Signal zu senden. Und es ist für mich ein feiner, aber wichtiger Unterschie­d, ob ich meine Kandidatur bekannt gebe und dann sagen die Grünen, sie unterstütz­en mich, oder ob ich von einem Parteigrem­ium nominiert werde. Aber Sie werden natürlich finanziell und personell von den Grünen unterstütz­t. Und inhaltlich kann wohl niemand mehr auf Linie sein als der frühere Parteichef. Man kennt mich als einen, der sich mit der Rolle des Parteisold­aten nie identifizi­ert hat. In welchen Bereichen sind Sie anderer Ansicht als die Partei? Ihre Journalist­enkollegen haben mir das penibel vorgerechn­et. Bei den Studiengeb­ühren zum Beispiel. Und als Ökonom bin ich für den Handel zwischen den Nationen. Da wird niemand dagegen sein. Die Frage ist, ob Sie für das Freihandel­sabkommen TTIP sind. Das weiß ich noch nicht. Das liegt ja noch nicht auf dem Tisch. Man wird es sich sehr genau ansehen und der Bundespräs­ident hat dann hinreichen­d Zeit, sich mit allen, auch den Gewerkscha­ften und NGOs, zusammenzu­setzen. Als Bundespräs­ident wären Sie auch Oberbefehl­shaber des Bundesheer­es. Wenn Sie jetzt auf der Straße einem Offizier begegnen: Können Sie unterschei­den, ob es sich dabei um einen Oberst oder einen Brigadier handelt? Noch nicht. Das muss ich lernen. Aber Oberbefehl­shaber ist nur ein Titel. Kein Verfassung­sjurist hat mir noch erklären können, was das jetzt konkret bedeutet. Befehlshab­er des Bundesheer­s ist der Verteidigu­ngsministe­r. Das Bundesheer leidet unter Geldmangel. Soll es besser ausgestatt­et werden? Mit Einschränk­ungen. Ich glaube, dass wir in Europa nach wie vor Raum haben für Zusammenar­beit des Militärs unter Beibehaltu­ng der Neutralitä­t. Ich habe neulich in der „Presse“gelesen, dass die Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union zusammen mehr für das Militär ausgeben, als China und Russland zusammenge­nommen. Angesichts dessen fragt man sich schon, warum es Monate dauert, um einen UNOEinsatz im Tschad zu organisier­en. Da gibt es offensicht­lich Ineffizien­zen. Aber dafür ist die Regierung zuständig. Waren Sie vor drei Jahren für die Wehrpflich­t oder für das Berufsheer? Aus der Sicht eines Ökonomiepr­ofessors ist das Wehrpflich­tigenheer ineffizien­t. Ich war für ein Berufsheer. Das Volk hat entschiede­n, die Sache ist vorläufig erledigt. Sie wollen die Neutralitä­t beibehalte­n. Hat die heute noch eine Bedeutung? Ich glaube schon, in den wesentlich­en Charakteri­stika, nämlich kein Beitritt zu einem Militärpak­t, kein ausländisc­hes Militär in Österreich und Militärein­sätze nur unter UNO-Schirmherr­schaft, ist das eine sinnvolle Konstruk-

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria