Weiblicher Sieg in Taiwan
Wen©e. Oppositionsführerin Tsai Ing-wen wird erste Präsidentin des Inselstaats. Sie steht für eine härtere Linie gegenüber China.
TŻipeh. Vor vier Jahren war Tsai Ing-wen der Sprung an die Spitze des Inselstaats noch nicht gelungen – jetzt, im zweiten Anlauf hat die 59-jährige in den USA ausgebildete Juristin es geschafft: Sie wird Taiwans erste Präsidentin. Die Oppositionskandidatin hat mit ihrer Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) Eric Chu von der bisher regierenden Kuomintang (KMT) klar geschlagen; Chu gestand noch am Samstag seine Wahlniederlage ein und trat als Parteichef zurück.
„Keine weitere Anbiederung an das Festland“, skandierten die jubelnden Massen der DPP-Spitzenkandidatin Tsai Ing-wen, die ihren Sieg auf einer Bühne unmittelbar vor dem Präsidentenpalast genoss. „Heute beginnt eine neue Zeitrechnung“, rief sie ihren Anhängern zu. Die Wähler haben damit vor allem der China-Politik von Präsident Ma Ying-jeou, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte, eine Abfuhr erteilt. Ma und seine KMT stehen für eine aus Sicht vieler Taiwaner allzu Peking-freundlichen Annäherungspolitik.
China erkennt die de facto unabhängig regierte Insel Taiwan nicht als eigenständiges Land an, sondern betrachtet sie als eine abtrünnige Provinz. Taiwan hält zwar ebenfalls an der Ein-China-Politik fest, betont jedoch seine demokratische Verfassung. Die DPP hatte in der Vergangenheit die komplette Unabhängigkeit des Inselstaats gefordert, rückte von dieser Position aber ab, als sie zwischen 2000 und 2008 schon einmal die Regierung stellte. Verwerfungen mit Peking führten die beiden Kontrahenten an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung.
Auch wenn sich die Kommunistenführer in Peking im Wahlkampf nicht eingemischt haben und am Wahlabend zu keiner Stellungnahme bereit waren, ist es kein Geheimnis, dass sie den Sieg der DPP mit Misstrauen sehen. DPPSpitzenfrau Tsai hat zwar mehrfach versichert, die Verhandlungen fortzuführen. Aber sie macht keinen Hehl daraus, dass sie sehr viel härter als ihr Vorgänger mit Peking verhandeln wird. Einstweilen aber versucht sie zu beruhigen: Sie werde China nicht provozieren, sagte sie am Samstag nach der Wahl. (Felix Lee).