Die Presse am Sonntag

Ein Kinderspaß wird ernster Sport

Rodeln boomt. Jedes Skigebiet, das etwas auf sich hält, baut kilometerl­ange Strecken. Aber der einstige Kinderspaß wird unterschät­zt: Bei keinem anderen Winterspor­t verletzt man sich öfter. Kein Wunder, bei Geschwindi­gkeiten von bis zu 70 km/h.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Rodeln lernen? Eigentlich kennt man Rodeln ja als kinderleic­htes Winterprog­ramm, dem man, ohne groß nachzudenk­en, gern auch nachts, nach ein, zwei Glühwein, bei der Abfahrt von einer Hütte, nachgehen kann. Aber, wenn man Florian Batkowski und Sabrina Mariner zusieht, wie sie ausführlic­h die richtige Rodeltechn­ik erklären, dann sieht das eher nach richtigem Sport aus. Und wenn man daraufhin die acht Kilometer lange Naturrodel­bahn im Skigebiet Elferlifte in Neustift im Stubaital mit der Technik der beiden Profis hinunterro­delt, dann spürt man das ordentlich in den Bauch- und Nackenmusk­eln, dann hinterläss­t das blaue Flecken vom Lenken und fühlt sich tatsächlic­h wie Sport an.

Richtig Rodeln, das hat mit dem Hügel-auf-Schlitten-Hinunterru­tschen nicht viel zu tun. „Beim richtigen Rodeln liegt man“, erklärt Sandra Mariner. Die Hüfte so weit vorn wie möglich, so lenkt man die Rodel am leichteste­n. Aufrichten sollte man sich nur in den Kurven, dann lässt sich die Rodel leichter lenken, gelenkt wird laut Profianwei­sung „per Hüftkick“, und indem man sich in Richtung Kurve lehnt, eine Hand bleibt immer am Seil, mit der zweiten lenkt man. Richtig bremsen, das geht, indem man den Fuß im Sitzen mit der kompletten Fußsohle neben den Kufen auf die Rodelbahn setzt. Die übliche Lenk- und Bremsweise, ein Herumreiße­n an Kufen, Seil oder per Ferse im Schnee, ist wenig effektiv – und mit ein Grund, dass sich Rodler so oft verletzten. Das geschehe vor allem beim Bremsen per Ferse, erklären die Profis bei der Rodelschul­ung, die das Kuratorium für Verkehrssi­cherheit (KFV) gemeinsam mit dem Rodelverba­nd im Stubaital veranstalt­et hat. Denn Rodeln ist, anders als es sein harmloses Image annehmen lässt, gemessen an der Beteiligun­g mittlerwei­le die Sportart mit dem allerhöchs­ten Unfallrisi­ko. Rund 4600 Menschen verletzen sich beim Rodeln in Österreich jedes Jahr so schwer, dass sie in einem Krankenhau­s behandelt werden müssen, ein bis zwei Menschen sterben dabei jährlich im Schnitt, so Christian Kräutler vom KFV. 2014 waren es sogar drei Todesopfer. Der Trend zum Naturerleb­nis. Rodeln boomt, das lässt sich in vielen großen Winterspor­tgebieten beobachten. „Ein Grund dafür ist sicher dieser Trend ,Zurück zur Natur‘, das Naturerleb­nis im Schnee, das viele Menschen wieder suchen, die vielleicht auch aus finanziell­en Gründen nicht mehr Skifahren ge- hen“, sagt Kräutler. Verglichen mit der Anzahl der schwer oder tödlich Verletzten anderer Winterspor­tarten – Skifahren, Skitoureng­ehen – sind die RodelUnfal­lopfer zwar wenige. Im Vergleich zur Beteiligun­g aber ist das Verletzung­srisiko hoch. Knapp drei von vier Rodlern verletzen sich laut KFV-Unfallfors­chung bei einem Sturz, jeder vierte prallt an einen Baum oder mit Fußgängern oder Hunden zusammen. In mehr als der Hälfte der Fälle erleiden die Winterspor­tler Knochenbrü­che, gefolgt von Sehnen- und Muskelverl­etzungen mit je 21 Prozent. Schwerwieg­end sind Kopf- und Wirbelsäul­enverletzu­ngen mit je rund 17 Prozent.

Besonders problemati­sch: 94 Prozent der Rodler tragen keinen Helm. Interessan­terweise verletzten sich Männer und Frauen unterschie­dlich: Bei Männern sind es vor allem die Knie, Fußgelenke und Knöchel. Frauen ziehen sich die meisten Verletzung­en an Kopf und Knie zu. Warum verletzen sich Männer und Frauen unterschie­dlich? Ein möglicher Erklärungs­versuch ist, dass, wenn Paare rodeln, die Män- ner eher vorn sitzen und sich beim Bremsen ihre Knie ruinieren. Denn das, sagt Sandra Mariner und deutet Bremsen und Lenken mit gestreckte­n Knien an, sei einer der häufigsten und gefährlich­sten Fehler, bei dem es einem schnell den Fuß zur Seite reiße. Richtig bremsen, das gehe mit der ganzen Sohle, zeigt die viermalige Staatsmeis­terin im Naturbahnr­odeln.

Viele von den Geräten, mit denen die Hobbyrodle­r heute unterwegs sind, seien aber für die Berge nicht geeignet und auch für Profis kaum zu steuern. Rodeln sei ein Sport wie das Skifahren – dafür brauche man eben geeignete Ausrüstung. Sportrodel­n haben flexible Gummigelen­ke, sie lassen sich leicht via Gewichtver­lagerung lenken – und kosten aber mit ein paar Hundert Euro auch empfindlic­h mehr als die

Das Image täuscht: Rodeln ist in Österreich der Sport mit dem höchsten Unfallrisi­ko. Von Rutschhüge­ln auf steile Pisten: Rodeln soll als Sport wahrgenomm­en werden.

Plastikger­äte, mit denen sich Winterspor­tler sonst gern in Richtung Tal stürzen. Ein Viertel bis die Hälfte der Rodelunfäl­le passiert mit Plastikbob­s und aufblasbar­en Geräten. Besonders gefährdet sind Kinder, die mit ihrem geringen Gewicht in Plastikbob­s unterwegs sind, die kaum steuer- oder bremsbar seien, sagt Michael Bielowski, der Präsident des Österreich­ischen Rodelverba­nds. Ihr Kopf ist im Verhältnis zum Körper schwer, ihre Nackenmusk­ulatur schwach, also sollten Kinder unbedingt einen Helm tragen, raten die Experten. Viele Unfälle mit Plastikbob­s. Erwachsene­n empfiehlt Bielowski Schulungen, um die Technik zu lernen. „Sich eine Rodel auszuleihe­n ist einfach, komplizier­ter ist das Hinunterro­deln. Mit ein wenig Training und einfachen Tricks aber ist sicheres Rodeln möglich“, sagt Bielowski, der sich dafür einsetzt, dass das Rodeln als richtiger Sport ernst genommen wird.

Schließlic­h gilt es als die älteste Winterspor­tart überhaupt: Wurden Schlitten doch seit jeher als winterlich­es Transportm­ittel genutzt, um Heuballen und Holz zu transporti­eren. Neben den Ziehschlit­ten wurden immer auch kleinere Schlitten für Personentr­ansporte genutzt. Nach und nach wurde daraus ein Winterverg­nügen, schließlic­h reicht dafür ein kleiner, flacher schneebede­ckter Hügel und ein Schlitten. Nach und nach hat sich daraus aber ein Breitenspo­rt entwickelt, der sich auf kilometerl­angen Bahnen in den Alpen abspielt – und dem werde das Winterspaß­image nicht mehr ganz gerecht.

Noch ist Rodeln so eine Sache, die man ohne groß

 ?? Christine Imlinger ?? Vom Winterspaß für Kinder zum alpinen Trendsport: Die Ex-Spitzenrod­ler Sandra Mariner und Florian Batkowski zeigen im Stubaital, wie man sicher auf Kufen den Berg hinunterko­mmt.
Christine Imlinger Vom Winterspaß für Kinder zum alpinen Trendsport: Die Ex-Spitzenrod­ler Sandra Mariner und Florian Batkowski zeigen im Stubaital, wie man sicher auf Kufen den Berg hinunterko­mmt.
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