Ein Kinderspaß wird ernster Sport
Rodeln boomt. Jedes Skigebiet, das etwas auf sich hält, baut kilometerlange Strecken. Aber der einstige Kinderspaß wird unterschätzt: Bei keinem anderen Wintersport verletzt man sich öfter. Kein Wunder, bei Geschwindigkeiten von bis zu 70 km/h.
Rodeln lernen? Eigentlich kennt man Rodeln ja als kinderleichtes Winterprogramm, dem man, ohne groß nachzudenken, gern auch nachts, nach ein, zwei Glühwein, bei der Abfahrt von einer Hütte, nachgehen kann. Aber, wenn man Florian Batkowski und Sabrina Mariner zusieht, wie sie ausführlich die richtige Rodeltechnik erklären, dann sieht das eher nach richtigem Sport aus. Und wenn man daraufhin die acht Kilometer lange Naturrodelbahn im Skigebiet Elferlifte in Neustift im Stubaital mit der Technik der beiden Profis hinunterrodelt, dann spürt man das ordentlich in den Bauch- und Nackenmuskeln, dann hinterlässt das blaue Flecken vom Lenken und fühlt sich tatsächlich wie Sport an.
Richtig Rodeln, das hat mit dem Hügel-auf-Schlitten-Hinunterrutschen nicht viel zu tun. „Beim richtigen Rodeln liegt man“, erklärt Sandra Mariner. Die Hüfte so weit vorn wie möglich, so lenkt man die Rodel am leichtesten. Aufrichten sollte man sich nur in den Kurven, dann lässt sich die Rodel leichter lenken, gelenkt wird laut Profianweisung „per Hüftkick“, und indem man sich in Richtung Kurve lehnt, eine Hand bleibt immer am Seil, mit der zweiten lenkt man. Richtig bremsen, das geht, indem man den Fuß im Sitzen mit der kompletten Fußsohle neben den Kufen auf die Rodelbahn setzt. Die übliche Lenk- und Bremsweise, ein Herumreißen an Kufen, Seil oder per Ferse im Schnee, ist wenig effektiv – und mit ein Grund, dass sich Rodler so oft verletzten. Das geschehe vor allem beim Bremsen per Ferse, erklären die Profis bei der Rodelschulung, die das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) gemeinsam mit dem Rodelverband im Stubaital veranstaltet hat. Denn Rodeln ist, anders als es sein harmloses Image annehmen lässt, gemessen an der Beteiligung mittlerweile die Sportart mit dem allerhöchsten Unfallrisiko. Rund 4600 Menschen verletzen sich beim Rodeln in Österreich jedes Jahr so schwer, dass sie in einem Krankenhaus behandelt werden müssen, ein bis zwei Menschen sterben dabei jährlich im Schnitt, so Christian Kräutler vom KFV. 2014 waren es sogar drei Todesopfer. Der Trend zum Naturerlebnis. Rodeln boomt, das lässt sich in vielen großen Wintersportgebieten beobachten. „Ein Grund dafür ist sicher dieser Trend ,Zurück zur Natur‘, das Naturerlebnis im Schnee, das viele Menschen wieder suchen, die vielleicht auch aus finanziellen Gründen nicht mehr Skifahren ge- hen“, sagt Kräutler. Verglichen mit der Anzahl der schwer oder tödlich Verletzten anderer Wintersportarten – Skifahren, Skitourengehen – sind die RodelUnfallopfer zwar wenige. Im Vergleich zur Beteiligung aber ist das Verletzungsrisiko hoch. Knapp drei von vier Rodlern verletzen sich laut KFV-Unfallforschung bei einem Sturz, jeder vierte prallt an einen Baum oder mit Fußgängern oder Hunden zusammen. In mehr als der Hälfte der Fälle erleiden die Wintersportler Knochenbrüche, gefolgt von Sehnen- und Muskelverletzungen mit je 21 Prozent. Schwerwiegend sind Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen mit je rund 17 Prozent.
Besonders problematisch: 94 Prozent der Rodler tragen keinen Helm. Interessanterweise verletzten sich Männer und Frauen unterschiedlich: Bei Männern sind es vor allem die Knie, Fußgelenke und Knöchel. Frauen ziehen sich die meisten Verletzungen an Kopf und Knie zu. Warum verletzen sich Männer und Frauen unterschiedlich? Ein möglicher Erklärungsversuch ist, dass, wenn Paare rodeln, die Män- ner eher vorn sitzen und sich beim Bremsen ihre Knie ruinieren. Denn das, sagt Sandra Mariner und deutet Bremsen und Lenken mit gestreckten Knien an, sei einer der häufigsten und gefährlichsten Fehler, bei dem es einem schnell den Fuß zur Seite reiße. Richtig bremsen, das gehe mit der ganzen Sohle, zeigt die viermalige Staatsmeisterin im Naturbahnrodeln.
Viele von den Geräten, mit denen die Hobbyrodler heute unterwegs sind, seien aber für die Berge nicht geeignet und auch für Profis kaum zu steuern. Rodeln sei ein Sport wie das Skifahren – dafür brauche man eben geeignete Ausrüstung. Sportrodeln haben flexible Gummigelenke, sie lassen sich leicht via Gewichtverlagerung lenken – und kosten aber mit ein paar Hundert Euro auch empfindlich mehr als die
Das Image täuscht: Rodeln ist in Österreich der Sport mit dem höchsten Unfallrisiko. Von Rutschhügeln auf steile Pisten: Rodeln soll als Sport wahrgenommen werden.
Plastikgeräte, mit denen sich Wintersportler sonst gern in Richtung Tal stürzen. Ein Viertel bis die Hälfte der Rodelunfälle passiert mit Plastikbobs und aufblasbaren Geräten. Besonders gefährdet sind Kinder, die mit ihrem geringen Gewicht in Plastikbobs unterwegs sind, die kaum steuer- oder bremsbar seien, sagt Michael Bielowski, der Präsident des Österreichischen Rodelverbands. Ihr Kopf ist im Verhältnis zum Körper schwer, ihre Nackenmuskulatur schwach, also sollten Kinder unbedingt einen Helm tragen, raten die Experten. Viele Unfälle mit Plastikbobs. Erwachsenen empfiehlt Bielowski Schulungen, um die Technik zu lernen. „Sich eine Rodel auszuleihen ist einfach, komplizierter ist das Hinunterrodeln. Mit ein wenig Training und einfachen Tricks aber ist sicheres Rodeln möglich“, sagt Bielowski, der sich dafür einsetzt, dass das Rodeln als richtiger Sport ernst genommen wird.
Schließlich gilt es als die älteste Wintersportart überhaupt: Wurden Schlitten doch seit jeher als winterliches Transportmittel genutzt, um Heuballen und Holz zu transportieren. Neben den Ziehschlitten wurden immer auch kleinere Schlitten für Personentransporte genutzt. Nach und nach wurde daraus ein Wintervergnügen, schließlich reicht dafür ein kleiner, flacher schneebedeckter Hügel und ein Schlitten. Nach und nach hat sich daraus aber ein Breitensport entwickelt, der sich auf kilometerlangen Bahnen in den Alpen abspielt – und dem werde das Winterspaßimage nicht mehr ganz gerecht.
Noch ist Rodeln so eine Sache, die man ohne groß