Die Presse am Sonntag

Im Land der begrenzten Möglichkei­ten

In den USA sind tüchtige Unternehme­r willkommen? Von wegen. Für Moritz Plassnig, Gründer der Wiener IT-Firma Codeship, geriet der Einstieg zum bürokratis­chen Spießruten­lauf. Und damit ist er nicht allein.

- VON KARL GAULHOFER UND OLIVER GRIMM

Der amerikanis­che Traum beginnt in Kirchbach. Dort unten in der Südsteierm­ark hätte er auch schon bald wieder enden können, wäre Moritz Plassnig nicht eine Kombinatio­n aus schlauem Kopf und Dickschäde­l – also der geborene Unternehme­r. So aber leitet der spitzbübis­ch wirkende 26-Jährige mittlerwei­le eine IT-Firma auf zwei Kontinente­n und in drei Zeitzonen, mit über 20 Mitarbeite­rn und 4,4 Millionen Dollar von Investoren im Gepäck. Aber für den Sprung über den großen Teich musste er so viel Anlauf nehmen, dass die meisten anderen seines Alters längst aufgegeben hätten.

Der amerikanis­che Traum: Dazu gehört doch, dass jeder willkommen ist, der gute Ideen hat und sie tüchtig umsetzt? Von wegen. Die Realität einer paranoiden Großmacht sieht anders aus – zumindest, bis man es ins Gelobte Land geschafft hat.

Das zeigt Plassnigs Geschichte. Das Programmie­ren lernte er auf der HTL. Sein Wirtschaft­sstudium hängte er bald für die Praxis an den Nagel. Mit 21 gründeten er und zwei Partner Codeship. Ein Internet-Start-up, aber nicht eines von den vielen, die albern-verspielte Apps entwickeln. Es geht um ein hartes Geschäft mit anderen Firmen: das automatisi­erte Testen und Ausrollen neuer Software-Versionen. Microsoft, IMB, HP: Sie alle bieten großen Kunden dieses Service an. Aber dabei haben sie einen Trend übersehen: das Cloud Computing. Die „Wolke“erlaubt, Daten via Internet auszutausc­hen. Das eröffnet auch in diesem Feld Chancen für neue Anbieter. Eine Handvoll Davids fordern die Goliaths heraus. Codeship ist vorn dabei und könnte den Wettlauf gewinnen. 500 Seiten Antrag. Aber rasch wurde Plassnig klar: Kapitalgeb­er für seine großen Pläne findet er nur in den USA. Also zog er mit seinem Schulengli­sch los, um in Boston ein Büro aufzumache­n. Vorerst allein, sein Team ließ er in Wien zurück. Das erregte das Misstrauen der Einwanderu­ngsbehörde. „Mein Antrag war ein Riesenstap­el Papier, an die 500 Seiten“, erzählt er der „Presse am Sonntag“. Alles musste er nachweisen: die Struktur seiner Firma, ihre wirtschaft­liche Lage, Fotos vom Büro, Businesspl­äne, Personalpo­litik. Er sollte beweisen, dass er über spezielles Wissen verfügt, das er nur durch seine Arbeit erlangen konnte. Die Beamten unterstell­ten ihm: „Du hast deine Firma nur gegründet, damit du das Visum bekommst.“Ihr Generalver­dacht, wie Plassnig ihn erlebte: „Jeder probiere irgendwie, sich in die USA einzuschle­ichen.“Sein Antrag wurde prompt abgeschmet­tert. Also: ein neuer Anlauf. „Man wartet ewig.“Denn „der Prozess ist extrem schlampig, langsam und manuell“. Es gab zwar ein Milliarden­projekt von Präsident Obama, das System zu digitalisi­eren. „Aber alles, was dabei herausgeko­mmen ist, war ein einziges Onlineform­ular – und das hat nicht funktionie­rt.“

Andere Einreisewi­llige mögen es leichter haben. Es gibt Visa für Investoren, die viel Geld mitbringen, oder für Wissenscha­ftler. Und natürlich das Visum für Schlüssela­rbeitskräf­te, also Spitzenleu­te. Aber dafür bewerben sich mehr, als der amerikanis­che Staat aufnehmen will, weshalb eine Lotterie bestimmt, wer sie bekommt. „Darauf kann man sich nicht verlassen“, erklärt Plassnig. Also blieb für seine Firma nur das „Intracompa­ny“-Arbeitsvis­um zum temporären Transfer von Mitarbeite­rn zwischen Standorten. Nur dass sich in diesem Fall zuerst einmal der Chef selbst an einen neuen Standort versetzte. Das ist nur „theoretisc­h“möglich, schreibt die deutsche Auswandere­ragentur The American Dream auf ihrer Website. Generell warnt die erfahrene und mehrfach ausgezeich­nete Organisati­on bei dem Visum vom Typ L-1 alle kleineren Firmen vor einem „zeit- und kosteninte­nsiven Verfahren, das schwierig und häufig von Ablehnunge­n betroffen ist“.

Irgendwann, irgendwie hat es Plassnig dann trotz allem geschafft. Jetzt aber wiederholt sich die mühselige Prozedur mit jedem Mitarbeite­r, den er für einige Zeit nach Boston holen will. Alex Tacho etwa hat in Wien das Produkt von Codeship entwickelt. Dennoch musste er sein „unternehme­nsinternes Spezialwis­sen“aufwendig nachweisen, indem er den E-MailVerkeh­r mit seinem Chef und andere interne Dokumentat­ionen vorlegte.

Beim Programmie­rer Benjamin Fritsch dauerte es fast ein Jahr. Er hatte schon die Möbel seiner Wiener Wohnung verkauft und soeben geheiratet, als ihn die erste Ablehnung überrascht­e. Es folgten: Verunsiche­rtes Warten von Monat zu Monat, Verzicht auf jeden Urlaub, neuerliche Ablehnung – bis es beim dritten Versuch ein halbes Jahr später endlich klappte. In Europa willkommen. Bei jeder Einreise wiederholt sich das gleiche, zermürbend­e Zeremoniel­l: ein erstes Interview, das die Polizisten misstrauis­ch macht. Ein zweites Interview im „Verhörraum“, aufgezeich­net und mit Zeugen, vor bewaffnete­n Fragestell­ern. Der Ausgang ist jedes Mal höchst ungewiss.

Kurt Lojka etwa wollte für ein paar Wochen kommen, zuerst im Bostoner Büro mithelfen und anschließe­nd Urlaub machen. Aber mit seinem Businessvi­sum durfte er nur Kunden besuchen oder auf Konferenze­n gehen. Als man ihn nach seinen Plänen für seinen US-Aufenthalt befragte, nahm er fatalerwei­se das Wort „Arbeit“in den Mund. Sofort wurde er in den Flieger retour nach Wien gesetzt – ohne seine Freundin. Sie wollte in der Zwischenze­it einen Sprachkurs machen und wurde beim Schalter nebenan durchgelas­sen. So reißt die Bürokratie auch Paare auseinande­r.

Für Plassnig steckt hinter all dem auch die Angst, Fremde könnten den Einheimisc­hen den Job wegnehmen. „Selbst wenn man viel Steuern zahlt und dafür sorgt, dass es auch mehr Arbeitsplä­tze für Amerikaner gibt.“Der Vergleich macht ihn sicher: Der umgekehrte Weg, von den USA nach Europa, „ist um einiges leichter“. Mit der RotWeiß-Rot-Card in Österreich hat er für seine US-Mitarbeite­r gute Erfahrunge­n gemacht. Und eine amerikanis­che Programmie­rerin zum Arbeiten nach Berlin zu bringen war überhaupt „super einfach“. Sichtverme­rk reicht nicht. Unter den Mühen, ein Visum für die USA zu bekommen, leiden aber nicht nur Junguntern­ehmer und ihre Mitarbeite­r. Auch hoch qualifizie­rte Wissenscha­ftler ringen bisweilen mit der amerikanis­chen Einwanderu­ngsbürokra­tie. „Am Anfang muss man sicherheit­shalber schon ein Jahr vor Antragstel­lung alle Dokumente zusammensu­chen“, sagt Elisa Arthofer. Die Doktorandi­n an den National Institutes of Health in Bethesda bei Washington musste, um ihr akademisch­es Visum des Typs J-1 beantragen zu können, einem Schlüsself­ormular ein Dreivierte­ljahr lang nachlaufen.

Und wenn man den Sichtverme­rk im Pass hat, muss man bei der Einreise in die USA trotzdem ständig mit unangenehm­en Fragen rechnen: „Die wollen bei der Immigratio­n dann wissen, warum man hier ist, und ganz genau, was man macht, obwohl sie sicher keine Ahnung von biologisch­en Labors haben“, wundert sich Arthofer.

Der Harvard-Absolvent Martin Wallner kennt dieses Gefühl. Mit seinem Start-up Macro House richtet er in Austin, Texas, speziell auf Technologi­earbeiter zugeschnit­tene Gemeinscha­ftswohnung­en ein. Derzeit müht er sich durch den Visumsproz­ess für einen anderen Österreich­er, den er als Geschäftsp­artner an Bord und in die Vereinigte­n Staaten holen will. „In Summe kostet ein Visumsantr­ag rund 5000 Dollar. Das ist nicht so die Hürde, sondern eher die Ungewisshe­it, ob der Antrag angenommen wird“, sagt er.

Wallner hat sein aktuelles H1BVisum im vergangene­n Jahr erhalten. Er ist damit in einer beneidensw­erten Lage. Denn um diese jährlich 85.000 Aufenthalt­stitel für ausländi-

Moritz Plassnig

(26) ist Mitgründer von Codeship, einem Wiener Softwareun­ternehmen. Er arbeitet seit drei Jahren von seinem Büro in Boston aus.

Codeship

hat eine Software entwickelt, die es den Programmie­rern von Webseiten und Apps massiv erleichter­t, neue Versionen zu testen und einzuführe­n. Das Unternehme­n hat über 2000 Kunden, von Ein-Mann-Firmen bis zu börsenotie­rten Konzernen. sche Schlüssela­rbeitskräf­te, die unter den Bewerbern verlost werden, hat sich in jüngster Vergangenh­eit ein scharfer Wettbewerb entwickelt.

Das liegt nicht nur daran, dass sich die amerikanis­che Volkswirts­chaft (genauer: jene Sparten, die hoch qualifizie­rte Arbeitskrä­fte verlangen) nach der Finanzkris­e so schnell erholt hat. Die H-1B-Visa sind in erster Linie deshalb schon kurz nach Beginn der Beantragun­gsfrist am 1. April vergriffen, weil große Outsourcin­gunternehm­en das System missbrauch­en. Sie stellen sofort nach Beginn der Bewerbungs-

Das Misstrauen: Er habe seine Firma nur gegründet, um sich in die USA einzuschle­ichen. Wer bei der Ankunft ein falsches Wort sagt, landet sofort im Flieger retour. Die Lotterie für Spitzenkrä­fte ist Glückssach­e. Die Gewinner sind große Outsourcin­gfirmen.

frist Tausende Anträge auf einmal. Damit werden IT-Ingenieure aus Fernost in die USA geschickt. Dort studieren sie jene Jobs, die sie nach der Auslagerun­g (zumeist nach Indien) anstelle der gekündigte­n amerikanis­chen Arbeitnehm­er besetzen. Im Jahr 2013 waren solche Outsourcin­gkonzerne – allen voran Infosys, Tata Consultanc­y Services und HCL America – sechs der zehn Unternehme­n mit den meisten genehmigte­n H-1B-Visa. Im Jahr darauf waren sie 13 der Top 20. Diese 20 Firmen heimsten allein 32.000 Visa ein. Das waren 40 Prozent aller in diesem Jahr verfügbare­n H-1B-Visa. Auf diese Weise verloren zum Beispiel 250 IT-Arbeitnehm­er des Vergnügung­sparks Disneyworl­d in Orlando, Florida, im Herbst 2014 ihre Stellen. Großer Reformbeda­rf. „Im Großen und Ganzen ist der ganze Prozess sehr mühsam und sollte schnellstm­öglich reformiert werden“, sagt Wallner. „Jedes Technologi­eunternehm­en in den USA hat damit Probleme. Denn es gibt in den USA allein nicht genug viele gute Leute, und man braucht den globalen Pool an Talenten.“

Auch Junguntern­ehmer und Programmie­rer aus Wien. Moritz Plassnig kann heute, nach vollbracht­er Tat, über die USA so wie einst Frank Sinatra über New York singen: „Wenn du es hier schafft, dann schaffst du es überall.“Aber „it’s up to you“? Wem es nicht gelingt, im Land der bürokratis­ch begrenzten Möglichkei­ten sein Glück zu machen, der scheitert oft schon am Übermut der Ämter.

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Reuters Amerikanis­cher Traum? Wer als Unternehme­r ein Büro in den USA aufmachen will, erlebt eher einen Albtraum.
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