Schneiden ohne Kopfverdrehen
Sie brauchen eigene Messer, Stifte, Scheren, und auch ein angepasster Schöpflöffel ist fein. Im Geschäft von Maria Pröschl und ihrem Sohn können sich Linkshänder mit Mal-, Küchen- und Gartenutensilien eindecken.
Normalerweise denken Rechtshänder gar nicht daran, was für Probleme sich im Alltag auftun können. Mit einem Messer zum Beispiel. Nimmt ein Linkshänder ein Brotmesser zur Hand, ist die Schneidefläche für ihn auf der falschen Seite. Von der Sicht abgewandt. Die Folgen sind schiefe Schnitte. Im Kleinen wiederholt sich das bei gewöhnlichen Besteckmessern ebenso. Gebraucht er einen Korkenzieher, dreht er in die „falsche“Richtung, nämlich über den Daumen, was kein Drama ist, aber doch unangenehm.
Standardscheren sind für Linkshänder sowieso eine Qual. Der Haltegriff drückt unangenehm auf Daumen und Zeigefinger und ganz genau sieht der Benützer auch nicht, wohin er schneidet. Außer er verdreht den Kopf.
Probleme wie diese fallen einem Rechtshänder erst auf, wenn er seinen Blick durch das Warensortiment von „Es gibt auch . . . LinksDings“in Wien Landstraße gleiten lässt: dass es für Linkshänder Lineale gibt, auf denen die Null rechts ist, damit das Abmessen leichter fällt. Dass es Collegeblöcke gibt, deren Spirale auf der rechten Seite ist, damit der Benutzer beim Schreiben nicht immer mit dem Arm daranstößt. Dass Füllfedern eine leicht angeschliffene Spitze brauchen, weil ein Linkshänder die Hand beim Schreiben in einem anderen Winkel hält. Er sie schiebt und nicht – wie ein Rechtshänder – zieht. Besteck gibt es für Linkshänder, und Messer. Weiters noch Dosenöffner, Obstschalenschneider – und auch Gartenscheren. Letztere werden besonders oft verlangt.
Mit einem gewöhnlichen Brotmesser schneidet ein Linkshänder nicht gut.
Bitte links sitzen. Seit drei Jahren verkauft Maria Pröschl im Geschäft ihres Sohnes Mario Karner Alltagsutensilien für Linkshänder. Die Idee für den Linkshändershop kam dem Sohn, nachdem er krankheitsbedingt auf der Suche nach einer neuen Aufgabe war. Als Programmierer und Chemiker suchte er zuerst einen Raum, in dem er ungestört arbeiten konnte. Dann kam die Idee dazu, doch darin auch etwas zu verkaufen. Seine Mutter hatte davor elf Jahre lang die Kreativabteilung des Wiener Traditionspapiergeschäfts Mastnak geführt – und dort schon die Linkshänderabteilung aufgebaut. So führte das eine zum anderen.
Dabei isst, trinkt und schreibt Pröschl mit rechts. Der Sohn ist der Linkshänder in der Familie – und damit auch der Grund, warum sich Pröschl mit dem Thema seit mehr als 40 Jahren auseinandersetzt. Als der heute 43-jährige Mario in die Schule kam, beschloss seine Mutter, ihn so gut wie möglich zu fördern.
Von Füllfedern für Linkshänder war zu dieser Zeit noch keine Rede, überhaupt wurden Linkshänder damals noch häufiger gezwungen, mit der rechten Hand zu schreiben, als heute. Pröschls Sohn allerdings nicht. Sie bat die Lehrerin auch, den Buben doch bitte auf der linken Seite des Sitzpultes sitzen zu lassen: damit der Ellbogen mit jenem des Sitznachbarn (wenn dieser Rechtshänder ist) nicht zusammenstößt. „Eltern und Kinder berichten mir heute noch, wie sie das gestört hat“, erzählt die Frau, die ihre Lesebrille mit einem Band um den Hals gesichert hat, damit sie sie nicht verliert.
Die Linkshänder, und was sie benötigen: Pröschl kann unzählige Geschichten über sie erzählen. Und ist eine große Verteidigerin ihrer Anliegen. Das Wichtigste zuerst: Auch wenn heute jeder weiß, dass es Linkshänder gibt – in der Schule, findet sie, wird das noch immer nicht genug gefördert. „In der Ausbildung von Volksschullehrern ist das gerade einmal ein Absatz“, sagt sie. Dabei gehe es nicht nur darum, mit der richtigen Hand zu schreiben, sondern sie auch richtig zu halten. Linkshänder entwickeln leicht eine Klauenhand. Sie biegen ihre Hand in eine unnatürliche U-Form, damit sie beim Schreiben die Tinte nicht verwischen.
Damit das nicht passiert, gibt es auch Schreibunterlagen, die dem Linkshänder zeigen, wie er Heft und Stift halten soll. Heft diagonal, Stift normal, so schreibt man ohne Patzer. Der Sohn von Pröschl durfte in der Schule übrigens den Fineliner verwenden, damit er die Schrift nicht verwischt.
Freilich sind die Lehrer keine Garantie für das Schreiben mit der dominanten Hand und auch nicht immer die Ursache dafür, dass Kinder sie nicht verwenden. Der eigene Enkel von Pröschl jedenfalls wurde erst mit zehn Jahren bei einem Test als Linkshänder diagnostiziert. „Er ist mit der Masse gegangen und wollte halt so schreiben wie alle anderen“, erklärt Pröschl. Ihn jetzt wieder umzugewöhnen, sei schwierig. Mit der linken Hand schreiben will der Bub im Moment jedenfalls nicht. Stottern und Konzentration. Dabei kann das Schreiben mit der nicht dominanten Hand mit allerlei negativen Begleiterscheinungen einhergehen. Linkshänder, die zum Schreiben mit der rechten Hand gezwungen werden, entwickelten im späteren Alter häufig Probleme wie Stottern oder Konzentrationsschwierigkeiten. Das späte Rückschulen ist zwar möglich, aber trotzdem hinterlässt es bei manchen Menschen Spuren. In Wien gibt es jedenfalls eine Selbsthilfegruppe für „erwachsene umgeschulte Linkshänder“, die sich regelmäßig treffen, um sich auszutauschen.
Wissenschaftler schätzen, dass zehn bis 15 Prozent aller Menschen es bevorzugen, die linke Hand zu benützen. Die beiden Linkshänder-Expertinnen Margit Rieger und Andrea HayekSchwarz, mit denen der Linkshändershop zusammenarbeitet, schätzen, dass es sogar weitaus mehr sind.
Sie zu erkennen ist für die Eltern trotzdem nicht leicht. Immerhin wird bereits im Kleinkindalter die Greifhand quasi vorgegeben. Wenn in einem Hochstuhl die Ausbuchtung für das Trinkgefäß auf der rechten Seite ist und nicht auf der linken. Pröschl rät, Kleinkindern das Besteck immer mittig auf den Tisch zu legen, um zu sehen, mit welcher Hand das Kind danach greift.
Ansonsten ist sie aber für möglichst wenig Druck und Trennen. Nicht das ganze Leben muss für Linkshänder anders gestaltet werden, sondern so, dass es für beide gut passt. Viele (Farb-)Stifte können sowohl von Links- als auch von Rechtshändern benutzt werden. Diese findet sie auch am besten, „damit alle Kinder damit malen können“, sagt sie. Ein Ort für Farben. Überhaupt sind ihr das Malen und Sich-Ausdrücken in Farben große Anliegen. Abgesehen von den Linkshänderprodukten ist das Geschäft voll mit Mal- und Schreibutensilien. Farbstifte, Bleistifte, Acrylfarben, Wasserfarben, Blöcke. Jedes Produkt kann vor dem Kauf auch ausprobiert werden. „Damit man weiß, ob das Werkzeug in der Hand passt“, erklärt sie. Gerade Kinder würden sich darüber besonders freuen.
Zusätzlich gibt es im Hinterraum Platz für Mal- und Bastelkurse für Kinder. Eine Kooperation mit der Flüchtlingsunterkunft im Grätzel ist geplant. In Zukunft sollen die Kinder dreimal pro Woche zum Malen vorbeikommen. „Wir sind ziemlich im Grätzel verankert“, sagt Pröschl. Weswegen es in dem Geschäft auch eine große Couch gibt. Auf ihr sollen Besucher sich auch einfach mal entspannen können, einen Tee trinken, vielleicht etwas malen oder reden. Ob sie die Tasse mit der rechten oder linken Hand halten, ist dabei völlig egal.
Besser Farbstifte für beide Hände, als Kinder unnatürlich zu trennen.