Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Um das Herbizid Glyphosat tobt zwischen Wissenscha­ftlern ein heftiger Streit. Vielleicht erklärt irgendjema­nd den verunsiche­rten Konsumente­n einmal, was wirklich Sache ist.

Wenn Wissenscha­ftler unterschie­dlicher Meinung sind, können schon einmal die Fetzen fliegen. So wie zur Zeit bei einem Streit zwischen der Europäisch­en Agentur für Lebensmitt­elsicherhe­it (EFSA) und einer Gruppe von knapp 100 Forschern, die den Schlüssen der EFSA kritisch gegenübers­tehen. Dabei geht es um die Beurteilun­g, ob das meistverka­ufte Herbizid Glyphosat („Roundup“) krebserreg­end ist. Umweltschü­tzer machen die Substanz seit geraumer Zeit für Umweltschä­den und Krebsfälle verantwort­lich.

Im November 2015 kam die EFSA zu dem Ergebnis, dass Glyphosat „wahrschein­lich nicht genotoxisc­h (d. h. DNA-schädigend) ist oder eine krebserreg­ende Bedrohung für den Menschen darstellt“. Das stieß nicht nur bei Umweltgrup­pen auf Unverständ­nis, sondern auch in Teilen der Wissenscha­fts-Community – hatte doch nur wenige Monate zuvor die Internatio­nale Agentur für Krebsforsc­hung (IARC) Glyphosat als „wahrschein­lich krebserreg­end“eingestuft (so wie auch Fleisch, Schichtarb­eit oder Handys). Eine Forschergr­uppe um Christophe­r Portier verfasste deshalb einen offenen Brief, in dem der EFSA-Bericht in teils drastische­n Worten als mangelhaft kritisiert wurde. Diese Woche hat die EFSA darauf geantworte­t und in ähnlich deutlicher Sprache alle Kritikpunk­te als unzutreffe­nd zurückgewi­esen.

Als Laie steht man staunend vor diesem Schaukampf und weiß nicht so recht, was man davon halten soll. Unbeteilig­te Forscher merken vorsichtig an, dass sich die beiden Standpunkt­e nicht unbedingt widersprec­hen müssen: Die IARC habe die Gefahr betrachtet, die von Glyphosat schlimmste­nfalls ausgehen könnte; die EFSA hingegen habe das Risiko bewertet – dabei wird auch die Dosis berücksich­tigt, in der die Substanz aufgenomme­n werden könnte. Beide Zugänge seien legitim, sie würden aber etwas anderes aussagen, hieß es.

EFSA-Chef Bernhard Url hat nun ein Treffen zwischen EFSA- und IARC-Experten angekündig­t, bei dem die strittigen Punkte diskutiert werden sollen. Wenn der Zwist dann vielleicht doch beigelegt wird, solle sich bitte jemand die Mühe machen, der Bevölkerun­g zu erklären, wie es wirklich ist (auch wenn es offenbar komplizier­t ist). Denn ein solcher öffentlich ausgetrage­ner Streit ist sehr schädlich: Er unterminie­rt nicht nur die Autorität der Wissenscha­ft, sondern verunsiche­rt die Menschen noch mehr – die beim Thema Ernährung ohnehin nicht mehr wissen, was sie glauben können. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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