Tod auf dem Steirerball
Eine gewisse Affinität zur Steiermark konnte man dem Wiener Kriminalinspektor nicht absprechen. Immerhin verbrachte Franz Enter jedes Jahr zumindest ein paar Urlaubstage in der grünen Mark. Für kommenden Herbst hatte er sich bereits zu einer Schnapsverkostung bei einer ausgezeichneten Edelbrandsommeliere` im Schilcherland angemeldet. Überhaupt kam ihm die Mentalität der genussfreudigen Steirerleut sehr entgegen, die es jahrein, jahraus verstanden zu feiern, gut zu essen und gern zu trinken. Ob sie nun in ihrer schönen Heimat, in der Bundeshauptstadt oder sonst wo lebten.
Steirerblut war schließlich kein Himbeersaft und auch keine Nudelsuppe. Das hatte sich längst bis nach Hollywood herumgesprochen. Umso reichlicher flossen Kernöl, Schilcher und Co., wo immer man auf dieser Welt einem oder mehreren Steirern begegnete. Das war auch in der Hofburg nicht anders, wenn der Verein der Steirer in Wien zum alljährlichen Steirerball lud. Zu diesem Anlass war die imperiale Fassade am Eingang in grünes Licht getaucht, der steirische Panther und das grüne Herz Österreichs zeigten sich in den Prunkhallen allgegenwärtig. Ebenso die Trachten, die möglichst traditionell, vor allem aber stolz getragen wurden. Lederhosen vom Diskonter und Wies’n-Dirndln vom Versandhaus zeugten nicht nur vom schlechten Geschmack ihrer Träger, sondern auch von nicht steirischer Herkunft.
Dermaßen billig gewandet, um sich unters fröhliche Steirervolk aus nah und fern zu mischen, wirkte so mancher Wiener in seiner Hofburg deplatziert. Dasselbe galt für jene Damen, deren Busen bis zum Gehtnichtmehr hochgepusht und im quietschbunten Polyesterbalkon ausgestellt wurden.
Für Franz Enter war dieser Dresscode heute kein Stresscode. Schließlich war er nicht zu seinem Vergnügen in gewöhnlicher Alltagskleidung beim Steirerball erschienen, sondern um in einem Todesfall zu ermitteln. Die abschätzigen Blicke einiger Gäste steckte er routiniert weg. Nur dass er an kulinarischen Köstlichkeiten wie VulcanoSchinken, Vanilleeis mit Kernöl und feinen Tropfen wie Sauvignon blanc und Morillon vorbeimusste, ohne sich
HONIGWABE
Claudia Rossbacher
hat in Städten von Teheran bis Osaka gelebt und als Model, Texterin und Kreativdirektorin gearbeitet. Seit 2006 schreibt sie u. a. Krimis. Ihr Bestseller „Steirerblut“, wurde verfilmt, „Steirerkreuz“2014 mit dem Buchliebling-Preis ausgezeichnet. Anfang Februar erscheint ihr zweiter Rätselkrimiband „Enter ermittelt in Wien“.
Der neue Krimiband
erscheint Anfang Februar im GmeinerVerlag. einen klitzekleinen Bissen oder ein Schluckerl gönnen zu dürfen, verlangte ihm allerhöchste Disziplin ab. Aber Dienst war nun einmal Dienst, und Schnaps war Schnaps.
Die Stimmung der meisten Ballgäste war zu dieser späten Stunde ausgelassen. Einige hatten sichtlich mehr vom Wein aus der Südsteiermark und/ oder dem Bier aus Göss getankt, als ihnen beim nächsten Erwachen lieb sein würde. Immer wieder mussten die zwei uniformierten Polizisten, die den Inspektor begleiteten, eine Schneise durch die übermütige Menge bahnen, bis sie am Tatort eintrafen.
Die Eingänge des Metternichsaals wurden seit 40 Minuten von Polizisten gesichert. Vor etwa einer Dreiviertelstunde hatte ein Gast das Zeitliche gesegnet, berichtete einer der Kollegen dem Inspektor. „Seit wir hier sind, hat niemand den Saal verlassen oder betreten“, versicherte er.
Die Musiker hatten zu spielen aufgehört und hockten auf der Bühne. Die Leiche lag unweit davon abgedeckt neben einem der 68 Vierertische auf dem Boden. Die insgesamt 272 Sitzplätze im Saal seien allesamt reserviert gewesen, erfuhr Enter. „Nur knapp die Hälfte war zum Tatzeitpunkt besetzt. Wir sind noch dabei, die Personalien der Anwesenden aufzunehmen. Die übrigen Gäste mit Sitzplätzen im Metternichsaal sind entweder schon nach Hause gegangen, tanzen oder feiern in anderen Ballräumen der Hofburg.“
Die Frau des Opfers habe plötzlich um Hilfe gerufen, berichtete der Kollege weiter. Ein zufällig anwesender Arzt sei sofort zu Hilfe geeilt und habe versucht, den röchelnden Mann mit einem improvisierten Luftröhrenschnitt zu retten. Doch vergeblich. Der Mann im Salonsteirer habe einen plötzlichen Bolustod erlitten. Demnach war er nicht erstickt, sondern der letzte Bissen hatte sich so unglücklich in seinem Kehlkopf verfangen, dass der Reiz auf das sensible Nervengeflecht einen letalen Herz-Kreislauf-Stillstand auslöste, kombinierte Enter. „Es war also ein Unfall“, sagte er.
„Kann sein“, meinte der Kollege kryptisch. „Es ist aber nichts zum Essen auf dem Tisch gestanden, auch keine leeren Teller. Nur Getränke“, sagte er und hielt dem Inspektor diskret einen kleinen Plastikbeutel hin. „Den hier hat
BUCHSTABENBUND der Arzt bei seinem missglückten Rettungsversuch aus dem Kehlkopf des Opfers entfernt. Er hat mir das Corpus Delicti zugesteckt, bevor es jemand anderer sehen konnte.“Und wieder erblickte Enter das Wappentier der Steiermark. Diesmal thronte der Panther auf einem Trachtenring. „Jetzt frage ich dich, Franz: Wie kann jemand so ein Trumm verschlucken?“Gute Frage, dachte Enter und nahm das Beweisstück an sich. „Vielleicht war der Mann ja betrunken.“Der Uniformierte nickte.
„Mir san zu viert von Stainz auf Wean außi g’fahrn“, erzählte der einzige Mann am Tisch des Opfers, bestimmt nicht nüchtern. „Der Karli, i und unsere besseren Höulftn.“Die Damen nickten mit bestürzten Mienen. „Sie waren also befreundet?“, fragte Enter. „Schou lang.“
„Ich hab’s g’wusst, dass der Karli eines Tages an seine depperten Zuckerln dasticken wird. Allweil lutschn und redn z’gleich . . . Und daunn a no saufn.“Die Witwe seufzte. „Richtig süchtig war er nach dei. Obwohl er si eh schon olle Zähnt ruiniert hat.“
„Oba der Karli hat dou mir sei letztes Bonbon auf der Fahrt geb’n“, erwiderte die andere Dame. „A sou? Woahrscheinlich hat er si neue besorgt.“Schulterzucken der Witwe. „Vielleicht war jou Gift im Glasl“, warf der Freund ein. „I trink heit nix mehr.“
„S’eh besser“, erwiderte seine Frau. „Kennen Sie den hier?“, fragte Enter und legte den Beutel mit dem Ring auf den Tisch. Allgemeines Kopfschütteln. „Dann hat er niemandem von Ihnen gehört? Auch nicht Ihrem Mann?“Die Witwe verneinte. „Den kennt a jeder in Karli sei Glasl einitan ham“, meinte sie. „Fragn S’ dou amol den Köullner.“Enter glaubte, dass er sich das getrost sparen konnte. Der Täter saß ihm vermutlich direkt gegenüber.
Wen verdächtigt Franz Enter? Lösung der vergangenen Woche: Doblhofer verdächtigt Kozak. Zwar sind bei Pays Baum die Kerzen noch nicht angezündet, aber das liegt daran, dass sich Pay vor einem Wohnungsbrand fürchtet. Kozak war bis vor Kurzem auf Auslandsreise, hatte also keine Zeit, vor Weihnachten einen Baum zu kaufen und zu schmücken, sodass er sich auf diese Weise einen besorgt hat.
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