Die Presse am Sonntag

Aus Bakterien wird Schnee

Die heurige Wintersais­on wurde nur durch Kunstschne­e gerettet. Zu seiner Herstellun­g braucht man Minusgrade – aber an diesem Problem arbeitet man.

- VON NORBERT RIEF

Serafin Siegele ist ein mächtiger Mann. Wenn er will, dann schneit es in Ischgl. Es genügt ein Knopfdruck zu Hause an seinem Laptop, und aus 950 Lanzen und 150 Kanonen rieselt – nicht unbedingt leise – der Schnee.

Siegele ist Pistenchef in Ischgl, einem der größten Skigebiete Österreich­s. 238 Kilometer Piste (bzw. 172 Kilometer bei reiner Schussfahr­t), 45 Lifte, die zu den modernsten der Welt gehören, an Spitzentag­en sind um die 21.000 Menschen mit Skiern und Snowboards unterwegs, und in den etwas mehr als fünf Wintersais­onsmonaten setzt die Silvretta Seilbahn AG mehr als 70 Millionen Euro um (eine Dividende wurde übrigens noch nie ausbezahlt, der Gewinn wird investiert, die Eigenkapit­alquote der AG liegt bei weit über 90 Prozent).

Dass die Zahlen so sind, wie sie sind, und die 1500-Einwohner-Gemeinde sehr gut vom Wintertour­ismus leben kann, hat man nicht allein der Lage und der Natur zu verdanken, sondern auch dem künstliche­n Schnee. „Die Skifahrer sind mittlerwei­le sehr anspruchsv­oll geworden“, erklärt Siegele. „Apere Stellen auf der Piste werden nicht akzeptiert, und das garantiere­n wir nur mit technische­m Schnee.“

Die Beschneiun­g in Ischgl ist keine kleine Sache und auch keine billige. Etwa zehn Millionen Euro gibt das Skigebiet jede Saison aus, um der Natur nachzuhelf­en und auch dort Schnee hinzubring­en, wo zu wenig ist, oder es schneien zu lassen, damit das Skigebiet wie geplant Ende November eröffnet und bis 1. Mai betrieben werden kann.

Die 22 Pistenraup­en (neun weitere sind in Samnaun im Einsatz) sind mit GPS ausgestatt­et. Weil alle Abfahrten im Sommer detaillier­t vermessen wurden, sieht der Fahrer auf einem Bildschirm den Höhenunter­schied im Winter – und damit die Schneehöhe. Am Ende des Abends hat Siegele auf seinem PC eine recht präzise Übersicht über alle Pisten: Gebiete, die rot unterlegt sind, haben zu wenig Schnee. Dort muss beschneit und nachgebess­ert werden. „Auf geraden Strecken im Flachen kann man auf 15 Zentimeter­n Schnee perfekt fahren, bei Steilhänge­n benötigt man 30 bis 40 Zentimeter.“Und diese Höhe erreicht er mit den 39 Mann, die ihm als Fahrer und Beschneier zur Verfügung stehen, immer.

Selbst heuer, denn Ischgl hat einen großen Vorteil: Es liegt sehr hoch. „Oben auf den Bergen ist es eigentlich immer kalt genug zum Beschneien, und den Schnee kann man gut verteilen“, sagt Serafin Siegele. Ideale Bedingunge­n sind Außentempe­raturen von weniger als vier Grad Celsius, eine möglichst geringe Luftfeucht­igkeit und eine Wassertemp­eratur von maximal zwei Grad.

Viele Skigebiete in Österreich hatten diese Bedingunge­n heuer nicht. Zwar hat jedes Gebiet mittlerwei­le Kanonen und Lanzen, um Kunstschne­e erzeugen zu können. Doch oft spielt die Natur nicht mit, denn eines braucht man auch bei den raffiniert­esten Geräten: Minusgrade. Zumindest in Österreich, wo mancher etwas neidvoll in die Schweiz blickt oder in die USA. Dort kann man auch bei Plusgraden Schnee erzeugen – dank des Bakteriums Pseudomona­s syringae. Rekordumsa­tz dank Schneemang­el. „Wir setzen das nur punktuell ein“, erklärt man in Zermatt. In anderen Skigebiete­n, etwa in Davos oder CransMonta­na, will man gar nichts dazu sagen. Die jährliche Diskussion über Sinn und Unsinn von Kunstschne­e, den Liftbetrei­ber lieber als „technische­n Schnee“bezeichnen – „er ist nicht künstlich, er besteht genauso wie richtiger Schnee nur aus Wasser“–, ist schon unerfreuli­ch genug. Da will man nicht auch noch eine Debatte über Bakterien im Schnee haben.

Die Methode, die aus den USA kommt und unter dem Namen Snowmax bekannt ist, ist einzigarti­g. Zum Einsatz kommen die abgetötete­n Pseudomona­s-syringae-Bakterien. Ihr Eiweiß lässt Wasser auch bei plus fünf Grad Celsius zu schneeähnl­ichem Pulver werden, bei minus drei Grad entsteht bereits pulvriger, weicher Schnee. In den USA werden ganze Skigebiete mit der Snowmax-Technik beschneit, in der Schweiz ist dies in manchen Kantonen möglich.

In Österreich ist Snowmax verboten, ebenso in Deutschlan­d. Zum Beschneien darf nur reines Wasser verwendet werden, aber keine chemischen oder bakteriell­en Zusätze. Beim Alpenverei­n befürchtet man freilich, dass es früher oder später eine Diskussion über den Einsatz des Schneebakt­eriums auch bei uns geben wird – vor allem, wenn die Temperatur­en im Winter so hoch bleiben.

Der weltweit größte Hersteller von Beschneiun­gsanlagen, das Südtiroler Unternehme­n Techno Alpin, glaubt das nicht. „Es gibt jetzt schon so ausgereift­e Geräte auf dem Markt, dass man auch bei leichten Plusgraden noch beschneien kann“, meint Martin Eppacher, Ge-

»Apere Stellen auf der Piste werden von den Skifahrern nicht mehr akzeptiert.« Die TF10, der Rolls-Royce der Schneekano­nen, kostet 35.000 bis 40.000 Euro.

schäftsfüh­rer der österreich­ischen Niederlass­ung in Innsbruck. Bei einer Luftfeucht­igkeit von 30 Prozent könne man beispielsw­eise bei drei Grad Umgebungst­emperatur beschneien. Hilfreich sind in diesen Fällen freilich Kühltürme, die das Wasser auf ein, zwei Grad temperiere­n.

Die schneearme­n Winter sind für Techno Alpin recht ertragreic­h. Die Umsätze stiegen in den vergangene­n Jahren um zehn Prozent pro Jahr und mehr. 2014 hält man bei 145 Millionen Euro. Aushängesc­hild ist die Propellerm­aschine TF10, die mobil ist und den Schnee über große Weiten verteilen kann. Kostenpunk­t: 35.000 bis 40.000 Euro pro Stück.

Natürlich hat man auch eine Snowfactor­y im Programm: eine mobile Containera­nlage, die völlig unabhängig von den Außentempe­raturen Schnee erzeugen kann. An einem Tag bis zu 220 Kubikmeter. Eingesetzt wird die Schneefabr­ik vor allem für Events in Städten, notfalls genügen die Kapazitäte­n aber auch für kleinere Pisten.

Und wenn es gar nicht mehr geht, wendet man sich an die schneesich­eren Skigebiete: In Tirol verkaufen sie den Kubikmeter Schnee schon ab fünf Euro. Nur heuer bekommt man keinen: „Den brauchen wir selbst.“

Art on Snow.

Mit Schnee kann man mehr machen, als nur darauf zu fahren. Was, das zeigt Gastein beim größten Kunstfesti­val der Alpen.

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