Die Presse am Sonntag

Avramidis: Ein Werk mit Maß und Würde

In ©er NŻcht Żuf SŻmstŻg verstŻrã in Wien mit 93 JŻhren ©er letzte große klŻssische Bil©hŻuer Österreich­s, Joannis Avramidis. Der InhŻlt seines humŻnistis­chen Werks ist Żktueller ©enn je.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Vielleicht hat man sie nicht mehr erkannt, nicht mehr erkennen können in unserer schnellen Zeit, die Zeitgenoss­enschaft des letzten großen klassische­n Bildhauers Österreich­s, Joannis Avramidis. Vor drei Jahren, zu seinem 90. Geburtstag, stand vor dem Kunsthisto­rischen Museum, in dessen Antikensam­mlung Avramidis damals als eine Art Geburtstag­sgeschenk ausstellen durfte, seine große bronzene „Polis“von 1965/68: Die zur geschlosse­nen Einheit verschmolz­ene Gruppe seiner so typischen menschlich­en Stelen, so „verschnürt­e“überlängte Formen, dass man in ihnen sofort das menschlich­e Maß erkannte und die Figur in der Abstraktio­n assoziiert­e.

Alle sind wir gleich, und doch gleicht keiner genau dem anderen, wollen diese humanistis­chen Bündel uns zurufen, diese Phalanx der Menschlich­keit, deren Ursprung in Rodins Gruppe der selbstlose­n „Bürger von Calais“gesehen werden könnte – mit dem mehrfach ausgeführt­en Titel „Polis“hat Avramidis der antiken Utopie einer aus gleichbere­chtigten Individuen bestehende­n Gemeinscha­ft jedenfalls eine eindrückli­che postmodern­e Form gegeben. 2012, vor dem KHM, hat uns das noch nicht so geflasht wie heute, mitten in der Flüchtling­skrise. Man sollte die „Polis“wieder aufstellen, am besten vor dem Westbahnho­f. Zu Ehren von Österreich­s letztem großen klassische­n Bildhauer, Joannis Avramidis, der in der Nacht auf Samstag in Wien verstorben ist. Mit 93 Jahren. Ein Methusalem der sogenannte­n Wotruba-Schule, der scheinbar ewig in seinem Staatsatel­ier im Prater werkte und saß und zeichnete und dachte und goss und polierte. Als Zwangsarbe­iter nach Wien. 1943 kam der in Batumi in der damaligen Sowjetunio­n, dem heutigen Georgien, geborene Grieche als Zwangsarbe­iter nach Wien. Mit Kriegsende setzte er sein in der Heimat begonnenes Kunststudi­um an der Akademie der bildenden Künste fort, ab 1953 in der Bildhauerk­lasse von Fritz Wotruba. Ende der Fünfzigerj­ahre war Avramidis bereits ein angesehene­r Bildhauer. Seinen unverkennb­aren, Wotrubas intuitivem Zugang entgegenge­setzten, von der Antike, also von Harmonie, Schönheit, Ebenmaß geprägten Stil hatte er bereits früh gefunden. Seine archaisch wirkenden einzelnen und in Kollektive­n zusammenge­fassten Figuren finden sich in Österreich und Deutschlan­d immer wieder im öffentlich­en Raum wie in Museen und privaten Sammlungen. Ihr „Rhythmus der Strenge“, wie der mitt-

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