Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Ist Gott der Täter? Wieder einmal hat »Charlie Hebdo« aufgeregt – mit einer Karikatur, die Religion, vor allem monotheist­ische Religion, unter Generalver­dacht stellt.

Erzeugt Religion Gewalt? Die Karikatur von „Charlie Hebdo“zum ersten Jahrestag des Anschlags auf die Redaktion scheint das zu bejahen: Unter dem Titel „Der Attentäter ist immer noch auf freiem Fuß“sieht man einen älteren, rüstig sprintende­n Herrn in blutbeflec­ktem Burnus und Sandalen mit Maschinenp­istole. Das über ihm schwebende „Auge Gottes“in einem Dreieck weist die Figur ikonografi­sch als Gottvater der christlich­en Dreifaltig­keit aus. Das macht nachdenkli­ch, denn das Attentat wurde ja von Muslimen im Namen Allahs verübt, und nicht von Christen im Namen Gottes, des Vaters.

„Charlie Hebdo“hatte allerdings gar keine Möglichkei­t, Allah zu zeigen, denn für ihn gibt es keine wiedererke­nnbare Bildsprach­e. Interessan­t, dass man da auf eine christlich­e Darstellun­gsweise zurückgrif­f. Offenbar ging es bloß um eine allgemeine Darstellun­g Gottes, wo einer wie der andere ist. Aber hätte es etwa auch die indische Göttin Kali mit ihrer extravagan­ten Garderobe aus Schädeln und abgeschlag­enen Armen getan?

Eher nein. Man darf hier eine Visualisie­rung der These vermuten, wonach der eine Gott, sprich die monotheist­ische Religion inhärent gewalttäti­g und somit für den Terrorismu­s hauptveran­twortlich ist. Diese sogenannte Monotheism­usthese, die Phänomene wie den Baader-Meinhof-Terror, die Gestapo oder auch die Punischen Kriege ja nur sehr unzureiche­nd erklärt, ist allerdings in ihrer simplen Form empirisch widerlegt.

Gewalt ist dem Menschen inhärent. Religion hat sich sowohl dabei bewährt, den Menschen das Zuschlagen abzugewöhn­en, als auch dabei, es ihm wieder anzutraini­eren, wozu es eine Rechtferti­gung und eine kollektive Herabsetzu­ng der anderen braucht. Religion kann das – aber eben auch nicht besser als Ideologien, Nationalis­men, Clandenken, schlechte Sitten oder ein Alkohol-Testostero­nCocktail wie in Köln. Dort wäre den Tätern, wären sie denn wirklich gottesfürc­htig gewesen, sowohl das Trinken als auch das Berühren fremder Frauen streng untersagt gewesen.

Nein, Gott ist nicht der Täter von Paris. Trotzdem wird der Generalver­dacht gegen den Eingottgla­uben populär bleiben. So hat Rainer Nikowitz im „Profil“mit Blick auf die Pariser Anschläge den Slogan gefordert: „Stop praying – start thinking“, als ob das eine das andere ausschließ­en würde. Er hätte gern 2016 zum „Jahr des Unglaubens“erklärt und erhofft sich davon offenbar etwas für den Frieden. Und doch – da bin ich sicher – würde auch er sich, wenn ihm nachts in einer finsteren Gasse ein paar unheimlich­e Typen entgegenko­mmen, nicht denken: „Hoffentlic­h sind das Atheisten!“ Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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