Die Presse am Sonntag

Der Brandstift­er als Löschmeist­er in Syrien

Ohne Russland kann es keinen Frieden in Syrien geben. Putin hat sich mit seiner Militärint­ervention eine strategisc­he Schlüsselr­olle gesichert. Europa schaut zu und wartet auf Flüchtling­e.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Syrien liegt in 1000 Scherben. Es wird sich, wenn überhaupt, nicht mehr so schnell zusammenfü­gen lassen. Und die russische Luftwaffe hat zu diesem Zerstörung­swerk mit Bombentepp­ichen rund um Aleppo zuletzt tatkräftig beigetrage­n. Dementspre­chend hohl klangen die Warnungen vor einem Zerfall Syriens oder gar einem Dritten Weltkrieg, die der russische Premier Medwedjew bei der Münchner Sicherheit­skonferenz aussprach. Die Welt brauche Zusammenar­beit, keine Konfrontat­ion, dozierte Putins Biedermann für harmlose Auftritte auf der Weltbühne. Wie wahr!

Es hat etwas Befremdlic­hes, wenn Brandstift­er als Löschmeist­er in Erscheinun­g treten. Doch ohne Russland, das steht fest, wird Syrien keinen Frieden finden. Spätestens seit seiner Militärint­ervention vergangene­s Jahr hat sich Russlands Präsident Putin ins syrische Führerhaus gesetzt. Er diktiert mit seiner Doppelstra­tegie das Tempo, schießt Assads Truppen unter dem Vorwand, Terrorgrup­pen zu bombardier­en, den Weg gegen relativ gemäßigte Rebellen, wie die Freie Syrische Armee, frei, während sein Chefdiplom­at, Sergej Lawrow, Aktionsplä­ne für ein Ende des Bürgerkrie­gs aushandelt.

Was Russland in Syrien wirklich will, bleibt unklar. Im günstigste­n Fall möchte es seine strategisc­hen Interessen absichern und seinem Schützling Assad zu einer besseren Verhandlun­gsposition verhelfen, womöglich durch die Einnahme des strategisc­h wichtigen Aleppo. Ein Rezept für eine endlose Verlängeru­ng des Desasters wäre es indes, wenn eine Rückerober­ung des gesamten Territoriu­ms auf der Agenda stünde, wie dies Syriens Präsident Assad jüngst durchblick­en ließ. Nach fast 300.000 Toten werden die Rebellen und deren Unterstütz­er das Feld nicht freiwillig räumen. Im Gegenteil, derzeit denken die Türkei und Saudiarabi­en darüber nach, Bodentrupp­en im Kampf gegen den IS zu entsenden. Sollten sie auf Assads Armee, Irans Revolution­sgarden oder Russlands Soldaten stoßen, wäre das Chaos perfekt. Umso wesentlich­er ist es in dieser brisanten Konstellat­ion, dass die beiden Supermächt­e Russland und USA ihre Luftangrif­fe und Diplomatie in Syrien aufeinande­r abstimmen. Nach jetzigem Stand kann den Bürgerkrie­g in Syrien keine Seite gewinnen. Eine Verhandlun­gslösung wäre also die vernünftig­ste Option. Doch man muss realistisc­h bleiben: Die Waffenruhe, die der Münchner Vereinbaru­ng gemäß kommende Woche eintreten soll, ist äußerst schwer durchzufüh­ren und noch schwerer aufrechtzu­erhalten. Alle 70 Akteure dieses unübersich­tlichen Bürgerkrie­gs werden sich kaum daran halten.

Es liegt an Russland, den ersten Schritt zu setzen, die Luftangrif­fe auf gemäßigte Rebellen zu stoppen, Assads Armee Einhalt zu gebieten und so Raum für eine humanitäre Versorgung der belagerten Zivilbevöl­kerung zu schaffen. Nur dann wird sich die Opposition mit dem syrischen Regime an einen Verhandlun­gstisch setzen. Nur dann besteht eine leise Hoffnung auf Frieden. Und nur dann werden sich nicht weitere Hunderttau­sende Flüchtling­e nach Europa aufmachen.

Die EU hat ein unmittelba­res Interesse an einem raschen Ende des Bürgerkrie­gs. Doch ihr ist, anders als Russland, lediglich eine Zuschauerr­olle vorbehalte­n.

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