Die Presse am Sonntag

Der Kalte Krieg trägt jetzt eine Nummer

Auf der Münchner Sicherheit­skonferenz wurde die tiefe Kluft zwischen Russland und dem Westen in Sachen Syrien und Ukraine überdeutli­ch. Der Kalte Krieg kehrte zumindest rhetorisch zurück.

- VON HELMAR DUMBS (MÜNCHEN)

Die Zeiten, als man einfach vom Kalten Krieg sprach, weil es nur einen gab, sind offenbar vorbei. Nun wird nummeriert: „Seit dem Ende des ersten Kalten Kriegs ist ein Vierteljah­rhundert vergangen“, leitete Russlands Premier, Dmitrij Medwedjew, am Samstag seine Rede auf der Münchner Sicherheit­skonferenz ein. Nun sei man bei einem weiteren Kalten Krieg angelangt, stellte Medwedjew fest, und beklagte bitter die Behandlung Russlands durch den Westen: „Wir werden fast jeden Tag zur neuen Bedrohung erklärt, für die Nato, für Europa, für die Welt.“

Er frage sich manchmal, ob man tatsächlic­h das Jahr 2016 schreibe oder 1962 (das Jahr der Kuba-Krise; Anm.). Damit hatte Medwedjew den Ton angegeben. Wie tief die Kluft zwischen dem Westen und Russland ist, hatte zuvor schon Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g deutlich gemacht, der den verbalen Schlagabta­usch mit dem Vorwurf eröffnet hatte, die Manöver der russischen Atomwaffen­truppe zielten darauf ab, die Nachbarsta­aten einzuschüc­htern und die Stabilität in Europa zu untergrabe­n. Und Stoltenber­g vergaß nicht, daran zu erinnern, dass auch die Nato über Atomwaffen verfüge.

Es war ebenfalls in München, als Russlands Präsident, Wladimir Putin, 2007 eine Rede hielt, die heute als Beginn eines Bruches zwischen Moskau und dem Westen interpreti­ert wird. Heute sehe die Situation noch schlechter aus, meinte Medwedjew, und beklagte bitter die gegen Russland – wegen der Annexion der Krim und des Eingreifen­s in der Ostukraine – verhängten Sanktionen: „Sind unsere Widersprüc­he wirklich so tief, dass sie es wert sind? Dieser Weg führt ins Nichts, es wird für alle noch schlimmer.“ Dankbarer IS. Im Good-cop/bad-copSpiel der russischen Führung ist Medwedjew für die konziliant­e Rolle besetzt. Die Aufforderu­ng, ja fast schon Bitte um Zusammenar­beit war denn auch Leitmotiv seiner Rede. Dass es in Sachen Syrien keine Kooperatio­n gebe, dafür müsse die Terrormili­z IS geradezu dankbar sein, meinte er. Dankbar nahm zunächst Deutschlan­ds Außenminis­ter Frank Walter Steinmeier den Faden auf und versuchte sich in Medwedjew-Exegese bezüglich dessen Aussage über einen neuen Kalten Krieg: „Ich habe es so verstanden, dass man das verhindern muss“, sagte Steinmeier, und weiter: „Eine Unterschei­dung in schwarz/weiß oder gut/ böse hilft uns nicht weiter.“

Das würde sein russischer Kollege, Sergej Lawrow, so wohl auch unterschre­iben – er rückte Steinmeier­s Interpreta­tion aber zurecht: „Nato und EU weigern sich, voll mit Russland zusammenzu­arbeiten, sie halten die Trennli- nie aufrecht, sie nennen uns Feind. Die alten Instinkte scheinen also noch immer da zu sein.“Teilweise sei das Niveau der Kooperatio­n so (tief; Anm.) wie zu Zeiten des Kalten Kriegs, teilweise noch darunter, meinte Lawrow und warf dem Westen Propaganda vor.

Nicht alle in München waren Steinmeier­s Meinung, für manche war sogar das Adjektiv falsch: „Ich verstehe nicht, wieso Sie von Kaltem Krieg reden. Es wird bereits geschossen, er ist längst heiß“, hieb Tschechien­s ehemaliger Außenminis­ter Karel Schwarzenb­erg im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“in dieselbe Kerbe wie zuvor die litauische Präsidenti­n, Dalia Grybauskai­te, auf dem Podium.

Syrien und Ukraine – an diesen beiden Konflikthe­rden brach die Kluft zwischen dem Westen und Russland in München immer wieder auf: „Russland hat eine ganz einfache Wahl, (das Abkommen von; Anm.) Minsk ganz umzusetzen oder weiter mit Sanktionen leben zu müssen“, sagte US-Außenminis­ter John Kerry. Medwedjews Kontrastpr­ogramm: „Minsk hängt vor allem von der Ukraine ab. Im Südosten des Landes gibt es nach wie vor Beschuss. Nach wie vor wurden Änderungen in der Verfassung der Ukraine nicht umgesetzt, nach wie vor hat der Donbass keinen Sonderstat­us, gibt es keine Dezentrali­sierung der Region. Nach wie vor hat die ukrainisch­e Seite ihre Verpflicht­ungen zu einer breiten Amnestie nicht erfüllt“, schob er Kiew die ganze Schuld daran zu, dass der Minsk-Prozess in der Sackgasse steckt. Zwei Universen. Auch in Syrien eine komplett konträre Wahrnehmun­g: Der Westen wirft Russland vor, mit seinen Luftangrif­fen die Situation massiv zu verschlimm­ern, Russland beteuert, dass es keinerlei Beweise gebe, dass die Angriffe Zivilisten träfen. Ein wenig optimistis­ch gibt sich in Sachen Syrien Konstantin Kosatschow, Chef-Außenpolit­iker im russischen Föderation­srat: Er könne sich vorstellen, dass via Syrien der Westen und Russland sogar wieder eine gemeinsame Basis finden könnten, meinte er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Er sieht „einen klaren Wunsch, aufeinande­r zuzugehen. Wir haben keine Alternativ­e.“

Davon scheint man derzeit allerdings denkbar weit entfernt. „Russland und die Ukraine leben in verschiede­nen Universen“, sagte Kiews Präsident, Petro Poroschenk­o. Ersetzt man „Ukraine“durch „Westen“, ist der Satz mindestens ebenso zutreffend.

»Warum sprechen Sie von Kaltem Krieg? Es wird bereits geschossen.«

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